Kodierung

"Faire-Kassenwahl-Gesetz" treibt Verbände auf die Barrikaden

Minister Spahn will im „Faire-Kassenwahl-Gesetz“ jede Verbindung zwischen Kodierung und der Vergütung ärztlicher Leistungen verhindern. Verbände warnen, dass er in seinem Eifer zu weit geht.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Vermeidung von Kodieranreizen – auch um den Preis, dass innovative Versorgungsformen unterbleiben?

Vermeidung von Kodieranreizen – auch um den Preis, dass innovative Versorgungsformen unterbleiben?

© Till Schlünz

BERLIN. Das sogenannte Faire Kassen-Wahl-Gesetz will verhindern, dass Kassen durch zusätzliche Vergütungen Kodieranreize für Ärzte schaffen, um Mittelzuweisungen aus dem Gesundheitsfonds zu erhöhen. Indes warnten bei der Anhörung des Referentenentwurfs im Bundesgesundheitsministerium Verbände vor den Kollateralschäden einer solchen Regelung.

So auch Professor Josef Hecken in seiner Funktion als Vorsitzender des Innovationsausschusses beim Gemeinsamen Bundesausschuss.

Die geplante Regelung würde dazu führen, dass in Verträgen nach Paragraf 140a SGB V keine bestimmten Diagnosen mehr aufgegriffen werden können, „um ein konkretes Versorgungsdefizit für die Evaluation einer neuen Versorgungsform zu nutzen“.

ICD-Obergruppe viel zu unscharf

Die Regelung im Kassenwahl-Gesetz gehe viel zu weit, warnt Hecken. Alle Vertragsklauseln würden in diesem Fall für unzulässig erklärt, obwohl „bestimmte Diagnosen die Voraussetzung für die Teilnahme an der selektivvertraglichen Versorgung und somit auch für die ärztlichen Vergütungen bilden“. Der im Gesetzentwurf aufgezeigte „legale“ Weg, dass Ärzte nur noch die jeweilige ICD-Obergruppe kodieren, gehe fehl.

Bei einem Projekt des Innovationsausschusses beispielsweise für Typ 2-Diabetiker müssten Ärzte zu Rekrutierungszwecken analog zur ICD-Obergruppe „Diabetes mellitus“ (E 10-E 14) auch Patienten mit Typ 1 und mit Schwangerschaftsdiabetes ansprechen – obwohl es sich um völlig andere Erkrankungsgruppen handelt.

Ähnlich argumentiert der Deutsche Hausärzteverband und hat dabei Verträge nach Paragraf 73b Absatz 5 im Blick. Der Gesetzgeber schieße mit dem geplanten Eingriff über das Ziel hinaus, da er den „enorm wichtigen Vertragswettbewerb der Krankenkassen unterbinden will“. Tatsächlich gibt es nach Ansicht des Hausärzteverbands bis heute „keine belastbaren Beweise für – behauptete – Manipulationen bei der Vergabe von RSA-relevanten Diagnosen“ in der HZV.

Herabsetzung von Hausärzten?

HZV-Verträge dürften nicht mit Betreuungsstrukturverträgen „verwechselt oder gleichgesetzt“ werden, heißt es in der Stellungnahme. Mehrere dutzend dieser Vereinbarungen sind in den vergangenen Monaten vom Bundesversicherungsamt (BVA) einkassiert worden. Beinharten Widerstand kündigt der Hausärzteverband gegen das Vorhaben an, im Risikostrukturausgleich identische Diagnosen danach zu unterscheiden, ob sie von Haus- oder Fachärzten kodiert wurden.

Das sei nicht nur „systemfremd“, sondern müsse als „Herabsetzung der hausärztlichen Tätigkeit“ gewertet werden. In den Eckpunkten für den Gesetzentwurf argumentierte das Ministerium, bisher führten identische Diagnosen von Haus- und Fachärzten zu gleichen Zuschlägen, die eine Kasse aus dem RSA erhält, obwohl die „hausärztliche Versorgung bei vielen Krankheiten in der Regel zu niedrigeren Ausgaben führt“.

Der Hausärzteverband sieht darin eine Strafaktion gegen Kassen, die Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung schließen. Das werde als „Frontalangriff“ auf die HZV wahrgenommen.

Finanzielle Folgen einer Zwei-Klassen-Kodierung

Auch die KBV verweist in ihrer Stellungnahme auf die finanziellen Folgen einer Zwei-Klassen-Kodierung. Wenn der Morbiditätserfassung durch Hausärzte künftig ein geringerer Stellenwert beigemessen wird, dann werde sich das auch in unterschiedlichen Investitionsentscheidungen der Kassen im Hinblick auf die „haus- und fachärztliche Versorgung in allen Vertragsformen niederschlagen“, warnt die KBV.

Klar stellt sich die KBV gegen die vorgesehene Streichung der Programmkostenpauschale von zuletzt rund 145 Euro, die Kassen für jeden eingeschriebenen Versicherten in einem Disease-Management-Programm erhalten. Die ersatzlose Streichung der Pauschale werde „zu einer raschen Beendigung vieler DMP-Verträge führen“, vermutet die KBV.

Die DMP stellten den auf nationaler Ebene konsentierten Standard bei der Versorgung von Patienten mit den großen Volkskrankheiten dar. Insoweit ergäben sich hier auch „deutliche qualitative Unterschiede zu selektiven Vertragsformen“.

Ohne DMP werde sich die strukturierte Versorgung chronisch kranker Patienten verschlechtern, „weil qualitativ gleichwertige Versorgungsverträge nicht mehr zustande kommen“. Zudem drohten Ärzten Honorareinbußen, wenn DMP-Verträge auslaufen.

„Faire Kassenwahl- Gesetz“

  • Der Risikostrukturausgleich soll weiterentwickelt werden, so durch die Schaffung einer Regionalkomponente, eines Risikopools und Einführung eines Krankheits-Vollmodells.
  • Die Strukturen des GKV-Spitzenverbands sollen „professionalisiert“ werden – zu Lasten des Ehrenamts.
  • Das Organisationsrecht der Kassen soll verändert werden, etwa durch ein neues Haftungssystem und die bundesweite Öffnung der Kassen.

Lesen Sie dazu auch: Neues Gutachten: Kodierberatung weiter Usus

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