Kurznachrichten live vom Op-Tisch: Modische Macke oder ernster Trend?

Am Laptop im Wartezimmer verfolgen Angehörige eine Operation, aus dem Op-Saal heraus kommen die Kurzmitteilungen: Der Internetdienst Twitter stellt Mediziner vor neue Kommunikations-Herausforderungen.

Von Rebecca Beerheide Veröffentlicht:
Mit 140 Zeichen Nachrichten in die Welt schicken: Das ist Twitter.

Mit 140 Zeichen Nachrichten in die Welt schicken: Das ist Twitter.

© Foto: imago

Twittern als neue Form der Internetnutzung ist zurzeit fast schon omnipräsent: Auf der Plattform, die es erlaubt, Kurzmitteilungen in einer Länge von 140 Zeichen ins weltweite Netz zu schicken, konnten bei den vergangenen Bundestagswahlen bereits vor 18 Uhr erste Prognosen gelesen werden -  die Zahlen stimmten allerdings nicht. Weltweit bekannt wurde der Online-Dienst, als im Iran die Opposition gegen den vermeintlichen Wahlbetrug auf die Straße ging.

Nun hält das Twittern auch Einzug in Krankenhäusern. In einer Klinik in Cedar Rapidis im US-Bundesstaat Iowa wurde eine Gebärmutteroperation übertragen -  die Angehörigen saßen im Wartezimmer am Laptop und waren durch die 300 Kurzmitteilungen "live" dabei, als die Chirurgen das Peritoneum der 70-jährigen Patientin öffneten. Da nicht nur die Angehörigen diese Operation verfolgten, sondern auch andere Twitter-Nutzer die Nachrichten lesen konnten, stellten sie die Frage, was denn das Peritoneum sei. Routiniert antwortete die Kliniksprecherin darauf - und twitterte weiter, bis die Frau aus der Narkose wieder erwachte.

Was die Angehörigen als Informationen schätzten und andere Internetnutzer freute, gibt es in Deutschland im Moment noch nicht. Im Gegenteil: Die Empörung und das Unverständnis sind bei den deutschen Verbänden groß. Der Marburger Bund (MB) bezeichnete das Twittern im Op als "modische Macke". "Das würde die Konzentration des Teams nur unnötig stören und das Fehlerrisiko erhöhen", so Dr. Andreas Botzlar, der zweite Vorsitzende des MB. Twittern sei eher ein Sicherheitsrisiko als ein Gewinn für Patienten und Angehörige.

Ähnlich sieht dies auch der Berufsverband der Niedergelassenen Chirurgen (BNC): "Die Konzentration auf die Operation ist wichtiger, als die Angehörigen sofort über alles zu informieren", sagt BNC-Präsident Dr. Dieter Haack. Auch warnt er vor der Verunsicherung: "Soll berichtet werden, dass es gerade heftig blutet, obwohl die Angehörigen ohne medizinische Fachkenntnisse die Tragweite des Problems nicht einschätzen können?" Auch Botzlar vom MB bezweifelt, dass die Details eines Eingriffs für die Angehörigen interessant sind. "Das geht an den wirklichen Informationsbedürfnissen der Angehörigen völlig vorbei."

Bei den bisher ins Internet übertragenen Operationen in Dallas, Iowa und Detroit haben Patienten, Angehörige und Ärzte zugestimmt - ein viel größeres Problem entsteht allerdings, wenn Ärzte oder Klinikpersonal in der Freizeit über Patienten im Internet schreiben. Bei den Plattformen Facebook oder MeinVZ können kurze Nachrichten an Freunde und Bekannte geschickt werden - einsehbar für fast jeden, der sich angemeldet hat. Eine Studie an amerikanischen Universitäten, die im JAMA veröffentlicht wurde, zeigte, dass bereits 47 der 78 befragten Medizinfakultäten wegen "unprofessionellen Inhalts von Medizinstudenten" handeln mussten. 30 Verwarnungen wurden ausgesprochen, drei Studenten mussten die Uni verlassen. Die Autoren stellten fest, dass es oft keine Richtlinien gibt, wie mit Datenverstößen umgegangen werden soll.

Solche Fälle sind an den 36 deutschen medizinische Fakultäten nicht bekannt. Verschwiegenheitserklärungen seien deutlich strenger, heißt es beim Medizinischen Fakultätentag. Auch unter den Studenten ist das Problem bekannt: "Es sollte aber selbstverständlich sein, dass Patientendaten auf keinen Verbreitungsweg kommen, egal ob am Stammtisch oder bei Twitter", sagt Dominique Ouart, Präsident der Bundesvertretung der Medizinstudierenden (bvmd). Man diskutiere im Netz eher über Schichtdienste oder das Lernen.

Soziale Netze im Internet

Soziale Netze/Web 2.0: Die beiden Begriffe bezeichnen Internetseiten, auf denen Nutzer Inhalte selbst erstellen und diese mit anderen teilen. Das können neben Texten und Kommentaren auch Fotos und Videos sein. Die Nutzung der Netzwerke ist oft kostenlos.

Twitter: 140 Zeichen ist eine Nachricht lang, also etwas kürzer als eine SMS. Mitlesen können alle, die auf www.twitter.com nach einem Stichwort suchen - oder sich als "Follower" eines Profils eingetragen haben. Der Dienst ist kostenlos.

Facebook: Die amerikanische Seite ist weltweit beliebt. Hier erstellen Nutzer ein Profil mit Fotos, Interessen und persönlichen Angaben. In Statusnachrichten können Gefühle und Meinungen angegeben werden. Auf das Profil können Nutzer Freunden Leserechte zugestehen. (bee)

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