Arndt Striegler bloggt

Mays Immigrationspolitik – das geht fatal für den NHS aus

Gegen alle Ratschläge von Fachleuten hält die britische Regierungschefin an ihrem Anti-Einwanderungskurs fest. Das gilt auch für qualifizierte Ärzte aus dem Ausland. Dabei hat die Versorgungskrise im NHS im Winter einen neuen Höhepunkt erreicht, schreibt unser Blogger Arndt Striegler.

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:
Lebt und arbeitet seit 32 Jahren in London: Arntdt Striegler, Korrespondent für die "Ärzte Zeitung" in London.

Lebt und arbeitet seit 32 Jahren in London: Arntdt Striegler, Korrespondent für die "Ärzte Zeitung" in London.

© Privat

Aufmerksamen Leserinnen und Leser dieses Blogs werden sich vielleicht noch an meine häufig geäußerte Sorge erinnern, dass der bevorstehende Brexit zu schlimmen Zuständen auch im britischen Gesundheitswesen führen wird.

Immer wieder konnte ich in den vergangenen Monaten als Patient im staatlichen britischen Gesundheitsdienst (National Health Service, NHS) bei Gesprächen mit Ärzten, Krankenpflegekräften und sogar mit Pförtnern hören, wie dünn die Personaldecke vielerorts ist. Und das, bevor der Brexit überhaupt stattgefunden hat.

Nun, es gibt Updates zu diesem Thema. Und die bestätigen leider meine Befürchtung, dass der Brexit für die Arztpraxen und Kliniken zwischen London und Liverpool zu einem riesigen Problem werden dürfte. Doch der Reihe nach.

Der vergangene Winter war hier in Großbritannien sowohl aus Sicht der Ärzte als auch aus Sicht der Patienten der schlimmste in der 70-jährigen NHS-Geschichte. Überfüllte Wartezimmer, Bettenmangel und tausende gestrichene Operationen und Konsultationen. Einer der Gründe für die teils haarsträubenden Zustände war und ist der Mangel an Ärzten, Krankenschwestern und -pflegern und anderem qualifiziertem NHS-Personal.

Theresa May stellt sich stur

So verwundert es nicht, dass diverse Ministerien, darunter auch das Gesundheitsministerium unter Gesundheitsminister Jeremy Hunt seit Monaten vergeblich bei Premierministerin Theresa May auf der Matte stehen und geradezu flehen, mehr qualifizierte Ärzte ins Land zu lassen. Vergeblich, wie sich jetzt heraus stellte.

Die britische Regierungschefin, deren Beliebtheit selbst in der eigenen Partei gerade gegen den Nullpunkt tendiert, stellt sich stur. Mays erklärtes Ziel bleibt es weiter, die Zahl der Zuwanderer - und zwar egal of qualifiziert und damit vom NHS dringend gebraucht oder nicht – auf "einige Zehntausend im Jahr" zu reduzieren.

Selbst der gewöhnlich gesundheitspolitisch recht einflussreiche britische Ärztebund (British Medical Association, BMA) schaffte es nicht, die EU-feindliche Regierungschefin umzustimmen. Ergebnis: Im ersten Quartal 2018 wurden landesweit 53 qualifizierten Ärzten aus dem Nicht-EU-Ausland ein Visum zur Einreise nach Großbritannien verweigert. Nach Informationen der Londoner Abendzeitung "Evening Standard" wollten diese 53 Ärzte nach Großbritannien kommen, um dort zu arbeiten.

Ungefähr gleichzeitig schrieben mehr als 30 Gesundheitsverwaltungen aus dem Norden Englands an die Downing Street und verlangten, "sofort mindestens 100 zusätzliche Assistenzärzte" ins Land zu lassen, um so zumindest die schlimmsten Versorgungsengpässe in Nord-England zu beseitigen. Auch dies wurde von May mit dem Hinweis auf neue Einwanderungs-Obergrenzen abgelehnt. Quoten über Patientenleben. Welcome to Great Britain anno 2018.

Patienten ziehen den Kürzeren

Das muss man sich vorstellen: Während in den Kliniken und anderen medizinischen Versorgungseinrichtungen Patienten leiden und oftmals entweder gar nicht oder nur zeitlich sehr verzögert behandelt werden können, pocht eine extrem ausländerfeindliche Regierung auf ihre selbst gestellten Ziele, die Einwanderung ins Königreich drastisch zu reduzieren! Und weder ärztliche Berufsverbände noch die britische Wirtschaft vermögen es, diese beklagenswerte Situation groß zu ändern. Brexit madness.

Wir haben wir hier in Großbritannien seit Kurzem einen neuen Innenminister (das Innenministerium ist maßgeblich dafür verantwortlich, nicht zu viele Ausländer ins Land zu lassen). Politische Beobachter bezweifeln freilich, ob Sajid Khan Grundlegendes verändern will und kann. Dementsprechend blickt man in Medizinerkreisen skeptisch in die Zukunft – in zehn Monaten wird Großbritannien die EU verlassen.

Immer wieder stellt sich schon vor dem eigentlichen Brexit heraus, dass das derzeitige Quoten-System für Einwanderer unzulänglich ist. Ein gutes Beispiel dafür sind die so genanten "Tier 2 Visa". Davon gibt es pro Jahr 20.700 Stück und sie sollen dafür sorgen, von NHS und Wirtschaft dringend benötigte qualifizierte Arbeitskräfte ins Land zu lassen.

Freilich: Immer wieder stellt sich heraus, dass 20.700 Visa pro Jahr längst nicht genug sind, um alle vakanten Jobs zu besetzen. Dennoch beharrt die Regierungschefin auf diesen Quoten. Der Brexit dürfte die Situation weiter verschlimmern, sagen Experten.

Einwanderungsquoten kippen!

Dr. Chaand Nagpaul, der zu den höchsten Funktionären des BMA im Land zählt und der sich gewöhnlich selten öffentlich zu gesundheitspolitischen Themen zu Worte meldet, schrieb vor wenigen Tagen einen Leserbrief an den "Evening Standard". Darin wies Dr. Nagpaul darauf hin, dass das derzeitige Visasystem "qualifizierte und arbeitswillige Ärztinnen und Ärzte nicht ins Land lässt, obwohl im NHS bis zu 100.000 Stellen mangels Bewerbern unbesetzt bleiben".

Und: "Deshalb verlangen wir als Ärzte von der Regierung eine dringende Reform der Einwanderungsquoten mit dem Ziel, qualifizierte Ärzte und Krankenpflegepersonal künftig nicht mehr diesem Quotensystem zu unterwerfen und diese unbürokratisch und schnell ins Land zu lassen!"

Wenn man als Journalist in diesen Tagen bei der BMA anruft und fragt, wie der bevorstehende Brexit die Versorgungslage in den Praxen und auf den Stationen beeinflussen wird, erntet man meist Sätze wie diese: "Niemand weiß, wie stark sich der Brexit auf die Personalsituation im NHS wirklich auswirken wird. Aber wir sind uns ziemlich sicher, dass die Folgen ziemlich fatal werden könnten."

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