Interview

Miroslau: „Ohne die ländlichen Krankenhäuser geht es nicht“

Das Dritte Bevölkerungsschutzgesetz sorgt dafür, dass nicht mehr alle Krankenhäuser einen Ausgleich für ihre Corona-Mehraufwendungen bekommen. Für viele Kliniken im ländlichen Raum ist das eine Katastrophe. Benjamin Lassiwe sprach dazu mit Dr. Steffi Miroslau, medizinische Geschäftsführerin der „Gesellschaft für Leben und Gesundheit“, die Kliniken, Rehakliniken und Arztpraxen in den Brandenburger Landkreisen Barnim und Uckermark betreibt.

Benjamin LassiweVon Benjamin Lassiwe Veröffentlicht:
Ohne die ländlichen Krankenhäuser würden die Schwerpunktkliniken jetzt nicht entlastet werden: Dr. Steffi Miroslau, medizinische Geschäftsführerin der „Gesellschaft für Leben und Gesundheit“ in Brandenburg.

Ohne die ländlichen Krankenhäuser würden die Schwerpunktkliniken jetzt nicht entlastet werden: Dr. Steffi Miroslau, medizinische Geschäftsführerin der „Gesellschaft für Leben und Gesundheit“ in Brandenburg.

© GLG-Presse

Ärzte Zeitung: Frau Dr. Miroslau, die GLG betreibt mehrere Krankenhäuser in Eberswalde, Angermünde und Prenzlau, im äußersten Nordosten Brandenburgs. Wie ist bei Ihnen gerade die Situation?

Dr. Steffi Miroslau: Wir sind in einer sehr angespannten Situation. Ich bin seit 35 Jahren als Ärztin in der Region aktiv, seit einigen Jahren auch als medizinische Geschäftsführerin. Eine Situation wie wir sie derzeit haben, habe ich so noch nicht erlebt. Das ist eine große Herausforderung für das ganze Personal und die Abstimmung in den Regionen. Zumal Sie ja unterschiedliche Teams benötigen: Ein Team für COVID-Patienten auf der Normalstation, ein Team für die COVID-Intensivstation und Teams für Patienten mit Krebserkrankungen oder aus der Neurochirurgie, die auch weiterhin hochspezialisiert versorgt werden müssen.

Was konkret haben Sie unternommen, um sich auf die zweite Welle vorzubereiten?

Wir haben schon seit März einen Krisenstab im Haus, der über das komplexe Geschehen berät. Über den Sommer wurden die Leitlinien für die Behandlung von COVID-Patienten immer weiter geschärft. Gleichzeitig gab es gefühlt täglich neue Gesetzesgrundlagen und hygienische Leitlinien. Auf unserer COVID-Intensivstation haben wir die Plätze erweitert. Wir haben mittlerweile sehr ausgefeilte Dienstpläne, weil Mitarbeiter ausfallen und zum Beispiel in Quarantäne sind. Eine der größten Herausforderungen für uns ist die Personalsituation: Um genügend Personal für Corona-Patienten freizubekommen, lassen wir Patienten, die nicht unbedingt in unserem Schwerpunktkrankenhaus, dem Werner Forßmann Krankenhaus in Eberswalde behandelt werden müssen, auch in unseren Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung in Prenzlau und Angermünde behandeln. Und auch Verwaltungsmitarbeiter, die eine medizinische Ausbildung haben, unterstützen uns in der Praxis.

Das Land Brandenburg hat sich dafür eingesetzt, dass auch Rehakliniken Nicht-Corona-Patienten übernehmen können. Welchen Effekt hat das?

Für uns ist das eine große Entlastung. Unsere Fachklinik in Wolletzsee übernimmt jetzt sehr schnell Patienten aus Eberswalde in die Reha. Das gilt für Patienten nach Herzinfarkten und schwereren neurologischen Erkrankungen – damit die Betten dort frei werden, wo man sich mit COVID-Patienten auskennt.

Wie geht es Ihnen in dieser Situation finanziell?

Im März hatten wir den ersten Rettungsschirm. Der funktionierte nach dem Prinzip der Gießkanne, um die Krankenhäuser zu motivieren, Betten freizuhalten. Das hat für die Krankenhäuser, also den Kernbereich, gut funktioniert, auch wenn die Servicebereiche nicht betroffen waren. Insgesamt wurde das damals nicht jedem speziellen Haus gerecht. Es hat uns aber in die Lage versetzt, die finanzielle Sorge etwas zur Seite zu schieben. Die aktuelle Situation jetzt ist eine andere: Wir haben im Bereich der GLG insgesamt elf GmbHs – aber nur eine, das Werner Forßmann Krankenhaus in Eberswalde, erhält nun die Zuschüsse aus dem Dritten Bevölkerungsschutzgesetz.

Was hat das für Folgen?

Wir müssen intensiver als bisher über die Zukunft der ländlichen Versorgung sprechen. Wenn Sie in den Bericht zur Entwicklung der ländlichen Räume schauen, den Frau Ministerin Klöckner im Oktober vorgestellt hat, dann sieht man, dass es schon vor der Pandemie Gebiete gab, wo etwa Hausärzte nur schwer erreichbar waren. Schon vor Corona gab es Gebiete, und so ist es hier bei uns im Norden Brandenburgs, wo die Probleme der ländlichen Versorgung diskutiert werden mussten. Jetzt haben wir die Corona-Pandemie, wo wir dringend auf die ländlichen Krankenhäuser angewiesen sind. In diesen Kliniken haben wir mit der Telemedizin mittlerweile eine hohe Versorgungsqualität erreicht: Ein 80jähriger Patient mit einem Schlaganfall kann in Prenzlau sehr gut vor Ort behandelt werden, weil das Krankenhaus telemedizinisch mit Eberswalde und der Charité sowie der regionalen Stroke-Einheit dort verbunden ist. Das bedeutet, dass 90 Prozent dieser Patienten sofort eine Behandlung in Prenzlau bekommen können, sie müssen nicht erst zwei Stunden verlegt werden, bis eine Behandlung beginnen kann. Und nur die, die profitieren, werden auch verlegt. Und in der Krise merken wir: Ohne die ländlichen Krankenhäuser würden die Schwerpunktkliniken jetzt nicht entlastet werden.

Was heisst das wirtschaftlich?

Das ist das Problem. Dieser Einsatz wird den ländlichen Klinken nicht honoriert. Es gibt eine Bundesgesetzgebung unter der Überschrift der Zentralisierung, die aber die 20 Prozent Flächenländer nicht einbezieht. Unsere Ministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) macht immer wieder darauf aufmerksam: Wir erleben, dass diese Zentralisierung vor allem über wirtschaftlichen Druck und Bürokratisierung umgesetzt wird. Das Argument der Versorgungssicherheit kommt nicht mehr vor.

Wie groß werden Ihre Verluste denn sein?

Das können wir noch nicht sagen, weil es so kleinteilige Finanzierungsregeln gibt. Im Werner Forßmann Krankenhaus erhalten wir nur Ausgleichszahlungen, die unsere Kosten zu 90 Prozent erstatten, von den anderen Häusern will ich gar nicht reden. Aber die Vorhaltekosten, insbesondere die Bezahlung des Personals, bleiben bei 100 Prozent. Da können Sie sich vorstellen, wie lange das noch funktionieren kann. Wir werden erst im 1. Quartal mit dem Jahresabschluss 2020 sehen, was an wirtschaftlichem Schaden entstanden ist. Aber bundesweite Studien zeigen, dass 40 Prozent der Krankenhäuser in den roten Zahlen sind und zehn Prozent knapp davor stehen.

Was haben Sie für Lösungsvorschläge?

Alle Studien, die es gibt, sehen eine vorrangige Orientierung am Patienten und die Sicherung der Versorgungseffizienz als Lösung vor. Dafür muss die sektorübergreifende Versorgung verbessert werden, um im ländlichen Bereich Gesundheitszentren (stationär/ambulant) errichten zu können. Nirgendwo in Europa gibt es eine so strenge Trennung zwischen stationär und ambulant wie bei uns. Will man diese Trennung auflösen, braucht es eine Finanzierung, die dafür sorgt, dass wir bei jeder ambulanten Ermächtigung und der Einrichtung von MVZs nicht in den Topf der KV greifen müssen. Wir brauchen Gesetze, um ambulant versorgen zu können, ohne zum Gegner der KV zu werden. Von der Landespolitik und unseren kommunalen Gesellschaftern haben wir große Unterstützung. Im Bund hat man aber den Eindruck, dass die Flächenländer keine Lobby haben. Und bei uns im Norden Brandenburgs wird es als erstes brennen.

Wir danken für das Gespräch.

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