Darmkrebsmonat März

Mit Hühnern und Humor gegen Darmkrebs

Chance vertan? Das Einladungsverfahren zur Koloskopie wird so, wie es ist, kaum etwas bringen, kritisiert Dr. Christa Maar von der Felix Burda Stiftung. Diese will die Menschen mit ungewöhnlichen Mitteln zur Früherkennung bringen.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Kampagnenmotiv: Mit der aktuellen Kampagne zum Darmkrebsmonat März will die Felix BurdaStiftung mit Humor die Aufmerksamkeit für das Thema Koloskopie hochhalten.

Kampagnenmotiv: Mit der aktuellen Kampagne zum Darmkrebsmonat März will die Felix Burda Stiftung mit Humor die Aufmerksamkeit für das Thema Koloskopie hochhalten.

© Felix-Burda-Stiftung

Ärzte Zeitung: Wenn Sie auf das vergangene Jahr seit dem letzten Darmkrebsmonat zurückblicken: Sind Sie zufrieden mit dem Erreichten?

Dr. Christa Maar: Ganz und gar nicht! Seit Juli 2019 haben wir endlich das Einladungsverfahren zur Darmkrebsfrüherkennung, für das wir und viele andere uns seit Jahren eingesetzt haben. Aber wie das Verfahren jetzt aussieht, kann es niemanden zufriedenstellen.

Das müssen Sie uns erklären.

In der Zeit, in der der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) die Umsetzungsmodalitäten beraten hat, haben wir zwei Veranstaltungen im GBA durchgeführt, zu denen wir die Verantwortlichen des niederländischen Einladungswesens für die Darmkrebsfrüherkennung eingeladen hatten.

Dort schickt man den Versicherten, um ihnen die Teilnahme so einfach wie möglich zu machen, den immunologischen Stuhltest zusammen mit dem Einladungsschreiben und einem frankierten Umschlag fürs Labor zu. Es war der erklärte Wunsch aller an der Diskussion beteiligten Fachgesellschaften, dass wir so auch in Deutschland verfahren sollten, da ein solches Konzept eine hohe Teilnahmerate erwarten lässt.

Doch wie sieht das Einladungskonzept in Deutschland nun aus? Der Versicherte wird aufgefordert, sich den immunologischen Stuhltest beim Arzt abzuholen und ihn nach Inanspruchnahme auch wieder dorthin zurückzubringen. Er muss also zwei Wege einplanen und vermutlich auch noch Wartezeiten beim Arzt, da kann schon ein halber Tag draufgehen.

Dass dieses Prozedere motivierend ist, wage ich zu bezweifeln. Es ist davon auszugehen, dass die Teilnahmequote kaum über der liegen wird, die wir bisher ohne Einladungsbrief haben, und die liegt bei rund 20 Prozent. Die Niederländer haben hingegen eine Teilnahmerate von 70 Prozent!

 Dr. Christa Maar

Dr. Christa Maar

© FELIX BURDA STIFTUNG

Wieso, glauben Sie, hat sich der GBA für das umständlichere Verfahren entschieden?

Es fehlt in Deutschland an Präventionsintelligenz. Prävention ist in Deutschland kein Thema, das im Gesundheitswesen die ihm zustehende Rolle spielt. Wenn wir die hohen Inzidenz- und Sterblichkeitsraten von Krebs herunterbringen wollen, müssen wir auf risikoangepasste Früherkennung und Vorsorge setzen.

Und wir müssen den Menschen vor allem verständliche Informationen liefern, warum die Teilnahme an Vorsorge und Früherkennung für sie wichtig ist.

Die sogenannte Entscheidungshilfe, die dem Einladungsschreiben beiliegt, tut das Gegenteil. Statistische Angaben wie die, dass von 1000 Frauen im Alter von 50 Jahren ohne Früherkennung eine, mit Stuhltest null bis eine an Darmkrebs sterben, werden die angeschriebenen Frauen kaum zur Teilnahme an der angebotenen Untersuchung bewegen.

Und wenn dann im nächsten Satz auch noch gesagt wird, es sei nicht nachgewiesen, dass der Stuhltest das Risiko senkt, an Darmkrebs zu erkranken, werden Sinn und Zweck der Vorsorge eigentlich ad absurdum geführt. Schade, wir hatten eine große Chance, wir haben sie nicht genutzt.

Ende Januar 2019 wurde unter Federführung des Bundesbildungsministeriums die „Nationale Dekade gegen Krebs“ ausgerufen, in der Sie als Patin für die Arbeitsgemeinschaft Prävention berufen wurden. Ist die Bilanz in diesem Gremium nach einem Jahr ebenso ernüchternd?

Nein. Hier ist die Rolle, die der Prävention für die Reduktion der hohen Krankheitslast zukommt klar. Prävention ist eines der drei Hauptthemen der Dekade. Es besteht offensichtlich ein politischer Wille, das Thema voranzubringen. Wir werden uns zunächst auf die großen Entitäten konzentrieren: Brust-, Prostata-, Darm- und Lungenkrebs.

Ziel ist es, für die Erforschung der Risikoprädiktion und der risikoangepassten Vorsorge bei diesen Krebsarten die neuesten Erkenntnisse der Grundlagenforschung zusammenzuführen und nicht nur fächerübergreifend, sondern auch länderübergreifend mit den Besten ihres Faches zusammenzuarbeiten. Dabei werden natürlich auch Big Data und Künstliche Intelligenz eine zentrale Rolle spielen.

Eins der ersten Projekte befasst sich mit dem Anstieg von Darmkrebs bei jungen Menschen.

Leider wird jetzt vermehrt auch schon bei Menschen im Alter von 20 oder 30 Jahren Darmkrebs diagnostiziert. Da in diesem Alter niemand an Darmkrebs denkt, wird der Tumor oft erst im metastasierten Stadium erkannt. Die Frage ist nun: Wie kann man herausfinden, wer im jungen Alter ein erhöhtes Risiko für Darmkrebs hat und früh vorsorgen sollte? Da die Mehrzahl der jungen Erkrankten kein familiäres Risiko hat, das als Erklärung dienen könnte, muss man schauen, welchen Einfluss Lebensstilfaktoren wie Rauchen, Ernährung, Übergewicht und Bewegungsmangel auf das individuelle Risiko für Darmkrebs haben.

Das familiäre Risiko steht im Mittelpunkt des von der Felix Burda Stiftung angestoßenen und 2017 in Bayern gestarteten Modellprojekts FARKOR, bei dem alle Versicherten im Alter von 25 bis 49 Jahren zustimmen können, dass der Arzt die Familienanamnese erhebt und feststellt, ob ein erhöhtes Risiko vorliegt. Ist ein solches vorhanden, kann der Betroffene altersunabhängig eine Darmspiegelung vornehmen lassen. Das auf drei Jahre terminierte Projekt nähert sich seinem Ende, wie ist Ihre Bilanz?

Obwohl sämtliche Leistungen, die Ärzte im Rahmen von FARKOR erbringen, extrabudgetär vergütet werden, haben sich weniger Ärzte als erwartet dafür eingeschrieben. Das liegt vermutlich daran, dass bei einem solchen Projekt alles dokumentiert werden muss und viele Ärzte den zeitlichen Mehraufwand scheuen. Um noch mehr Ärzte zu erreichen – außer Hausärzte und Gastroenterologen, sind dies auch andere an Krebsvorsorge beteiligte Ärzte wie Gynäkologen und Urologen – wollen wir das Projekt um ein Jahr verlängern. Die Teilnehmerzahlen könnten sicher deutlich erhöht werden, wenn die Ärzte größere Teile der Dokumentation an ihre MFA delegieren würden. Es ist immerhin ein Projekt, das junge Menschen vor Darmkrebs zu schützen versucht.

Das Risiko, ein kolorektales Karzinom zu entwickeln, ist für Menschen mit einer familiären Disposition im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung um das Zwei- bis Dreifache erhöht. Warum interessieren sich dennoch so wenige Betroffene für die Vorsorge?

Weil viele keine Ahnung von ihrem familiären Risiko haben. Hermann Brenner vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), der mein Ko-Partner in der Arbeitsgruppe Prävention der „Nationalen Dekade gegen Krebs“ ist, hat in einer Studie sogar festgestellt, dass sich die Hälfte derer, die von ihrem familiären Risiko wissen, gegen die Vorsorge entscheiden. Sie haben entweder Angst und wollen nichts wissen, oder sie sind nicht ausreichend informiert, dass sie, wenn sie früh genug mit der Vorsorgekoloskopie anfangen, verhindern können, dass sie irgendwann selbst Darmkrebs bekommen.

Sie sprachen eingangs von der fehlenden Präventionsintelligenz. Welche Maßnahmen wären Ihrer Meinung nach intelligent, um den Kampf gegen den Darmkrebs voranzubringen?

In den Strukturen des deutschen Gesundheitswesens dauert alles schrecklich lang. Es gibt wenig Raum zum Ausprobieren. Beispielsweise gibt es für den immunologischen Stuhltest eine App, die offenbar zuverlässig erkennt, wann ein Test positiv ist. Damit könnte dem Arzt der ganze Laboraufwand erspart bleiben. Oder nehmen Sie den Bluttest, der über viele Jahre entwickelt und erprobt wurde und jetzt für die Versicherten einer Schweizer Krankenkasse zur Verfügung steht. Solche innovativen Entwicklungen müssten auch in Deutschland erprobt werden können. Und insgesamt fehlt es an Daten. Zur Risikoabschätzung und Entwicklung risikoadaptierter Früherkennung brauchen wir zum Beispiel dringend ein Koloskopie-Register, in dem nicht nur die Vorsorgekoloskopien und ihre Befunde, sondern auch die kurativ durchgeführten Darmspiegelungen und ihre Befunde dokumentiert werden.

In Ihrer aktuellen Kampagne zum Darmkrebsmonat März setzen Sie auf Humor: In dem witzigen Spot posiert der Schauspieler Wayne Carpendale als Patient, der an Alektorophobie, der Angst vor Hühnern, Anthophobie, der Angst vor Blumen, und Xerophobie, der Angst vor Trockenheit, leidet. Aber nur eine Phobie kann tödlich sein, heißt es am Schluss …

… die Präventionsphobie, ja. Die Kampagne ist ein echter Hingucker. Damit wollen wir die Menschen aber nicht aufklären, sondern vor allem die Aufmerksamkeit für das Thema Koloskopie hochhalten. Wenn sich der ein oder andere durch die Spots daran erinnert, dass er noch immer nicht bei der Vorsorge war, obwohl er das doch schon lange vorhatte, haben wir unser Ziel erreicht.

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