Arndt Striegler bloggt

NHS und Big Ben – very britisch, indeed!

In dieser Woche ist in Großbritannien etwas höchst Seltenes geschehen – oder besser gesagt: nicht geschehen: Big Ben, jene weltberühmte Turmuhr mitten in London, ist verstummt. Was das mit dem Brexit und Ärzten zu tun hat? Dazu muss ich ein wenig ausholen....

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:
Bloggt für die "Ärzte Zeitung" aus London: Arndt Striegler. © privat

Bloggt für die "Ärzte Zeitung" aus London: Arndt Striegler. © privat

© privat

LONDON. Big Ben gehört fest zu Großbritannien. Fragt man Menschen, egal wo auf der Erde, was sie mit Großbritannien verbinden, dann steht Big Ben neben der Queen, Teetrinken und schlechtem Wetter vermutlich ganz weit oben auf der Liste. Und wenn man den Briten dieselbe Frage stellt, was für sie "typisch britisch" ist, dann dürfte Big Ben neben der Queen und eben jenem Tee und Regenwetter ebenfalls ganz vorne rangieren.

Noch etwas wird freilich von den Briten immer wieder als "typisch britisch" klassifiziert: der staatliche britische Gesundheitsdienst (National Health Service). Jene 1948 gegründete Institution, die mehr als eine Million Ärzte, Krankenschwestern und –pfleger und anderes Gesundheitspersonal beschäftigt und die laut aktuellen Meinungsumfragen ganz, weit oben auf der Liste der von den Briten als "schützenswert" und "wichtig zu verteidigen" bezeichneten Dinge steht.

Und hier schließt sich quasi der Kreis: Big Ben und der NHS sind beide so typisch britisch wie das Teetrinken und das miese Schmuddelwetter. Und beides erfährt gerade einen dramatischen Wandel: Big Ben verstummt für mehrere Jahre; der NHS kann Patienten nicht mehr ordentlich behandeln, weil als Folge des bevorstehenden Brexit nicht nur das Krankenpflegepersonal knapper und knapper wird. Jüngste Zahlen belegen das: Der Brexit-bedingte Exodus in den Kliniken und Praxen hat längst schon begonnen....

Regierung bleibt am Spielfeldrand

Das erschreckende daran ist: Die britische Regierung, deren Aufgabe es ist, erst den Brexit mit Brüssel zu verhandeln und dann ab März 2019 den EU-Ausstieg so wenig schädlich wie möglich für dieses Land und dessen Menschen zu gestalten , diese Regierung bleibt weiter quasi am Spielfeldrand des Geschehens. Ein Zuschauer statt Akteur. Ein Statist im eigenen Theaterstück. Und das sorgt nicht nur die Ärzte und andere NHS-Beschäftigte, sondern inzwischen auch mehr und mehr Bürger, die zumindest beruflich nichts mit dem Gesundheitswesen zu tun haben..

Der Brexit-Blog der "Ärzte Zeitung"

» Seit mehr als zwei Jahrzehnten berichtet Arndt Striegler für die „Ärzte Zeitung“ aus Großbritannien. Den Umbruch durch den Brexit spürt er am eigenen Leib – etwa als Patient im Gesundheitsdienst NHS.

» Die Versuchsanordnung ist einmalig: Ein von der Globalisierung geprägtes Gesundheitswesen soll renationalisiert werden. Das durchkreuzt Lebenspläne von Ärzten und Pflegekräften aus dem Ausland.

» Im Wochenrhythmus schildert Blogger Arndt Striegler, der seit 31 Jahren auf der Insel lebt, von nun an die politischen und kulturellen Folgen des Brexit.

» Lesen Sie dazu auch: "Warum der Brexit körperlich krank macht"

Eins ist jetzt schon klar: Der Brexit wird das britische Gesundheitswesen fundamental verändern. Wo und mit wem sollen die jährlich bis zu 80.000 frei werdenden Pflegejobs nach März 2019 besetzt werden? Was geschieht mit hunderten deutschen und anderen europäischen Ärztinnen und Ärzten, die heute im NHS praktizieren? Von Fragen wie diesen einmal ganz abgesehen: Wer wird nach dem EU-Ausstieg die Einfuhr von radioaktiven medizinischen Diagnostika und anderen von Ärzten benötigten medizinischen Verbrauchsmaterialien überwachen, was derzeit noch Aufgabe der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) ist?

Eine von hunderten wichtigen Detailfragen, auf die Premierministerin Theresa May schleunigst eine Antwort geben müsste. Doch Frau May wanderte kürzlich lieber vier Wochen lang im Sommerurlaub mit ihrem Mann in Italien und Wales – die Länge des Urlaubs nicht nachvollziehbar angesichts des Brexit-Arbeitsberges, der sich in der Downing Street gerade auftürmt.

"Mit dem Brexit vor der Tür, brauchen wir jede Touristenattraktion die wir haben, um unser Land weiter attraktiv zu machen", stellte vergangene Woche der Labour-Unterhausabgeordnete Barry Gardiner trocken fest, als in Westminster über das Abschalten des Glockenwerks von Big Ben debattiert wurde. Bleibt zu ergänzen: Mit dem Brexit vor der Tür, brauchen deutsche und andere europäische Ärzte in Großbritannien schleunigst Klarheit, wie ihre beruflichen und privaten Zukunftsaussichten auf der Insel aussehen. Patienten wie ich bräuchten das übrigens auch....

Schlagworte:
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Ibuprofen plus Paracetamol

Metaanalyse: Duale Medikation senkt Fieber von Kindern effektiv

Vertreterversammlung

KBV fordert kompletten Neustart in der Gesundheitspolitik

cVDPV2 im Abwasser

Erneut Polioviren in deutschen Städten gemeldet

Lesetipps
Frau fässt sich an die Brust

© Maridav / stock.adobe.com

Interview zu den Leitlinien

Hausarzt zu Asthma: „Wir haben nichts gegen die Fixkombi, wir sind nur nicht so pauschal“

Seit Dezember 2023 regelhaft möglich in Deutschland: die Krankschreibung per Telefon.

© Christin Klose/dpa-tmn/picture alliance

Umfrage unter gut 1000 Beschäftigten

Jeder dritte Arbeitnehmer hat bereits Gebrauch von der Tele-AU gemacht

Eine gute Behandlungsqualität braucht vor allem auch gute Ausbildung. Dafür müssen aber die personellen Ressourcen in den Kliniken gegeben sein.

© Robert Kneschke / stock.adobe.com

Kolumne „Hörsaalgeflüster“

Klinikreform: Zwischen Bundesrat und Bettkante