Gesundheitswirtschaft

Nicht alles muss Gold bleiben

Das Gesundheitswesen hat das Potenzial, zum dauerhaften Motor der Gesamtwirtschaft zu werden. Dennoch gibt es weiter keine Antworten auf den Fachkräftemangel und die Finanzierbarkeit des steigenden Bedarfs.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Nicht alles muss Gold bleiben

© David Vogt

In der deutschen Gesundheitswirtschaft geht es um einen Markt von über 324 Milliarden Euro, der in den vergangenen Jahren in schöner Regelmäßigkeit doppelt so schnell wie die Gesamtwirtschaft gewachsen ist. Ein Markt, der mit seiner Robustheit selbst der Finanzkrise trotzen konnte und dem Analysten auch für die kommenden Jahre überdurchschnittliche Wachstumsraten vorhersagen.

Im April 2015 erreichte die Gesundheitswirtschaft in Deutschland erstmals die Marke von zwölf Prozent des Bruttoinlandproduktes. Solch prosperierende Märkte ziehen neue Marktteilnehmer an. Neuer Bedarf entsteht, wie eine Spirale dreht sich der Markt mit immer neuen Rekordzahlen in ungeahnte Höhen.

Längst sind viele Gesundheitsunternehmen an der Börse, und keine Bank hat es versäumt, eigene Healthcare-Abteilungen aufzubauen. Es sind Pflegeketten entstanden, Krankenhäuser sind in fast jeder Region unter den wichtigsten Arbeitgebern, und die Medizintechnikunternehmen zementieren Deutschlands Ruf als Exportweltmeister.

Sie alle stützen sich auf die unleugbaren Fakten der demografischen Entwicklung und des technischen Fortschritts. Wir werden im Durchschnitt immer älter und haben damit größeren Bedarf an Gesundheitsleistungen.

Angebotsseite gut aufgestellt

Die Angebotsseite ist gut aufgestellt, um diesen Bedarf zu befriedigen. Die medizinische und pflegerische Versorgung übernehmen rund 100.000 Arztpraxen, 25.000 Pflegeeinrichtungen, 20000 Apotheken, 2000 Krankenhäuser und Vertreter vieler Gesundheitsberufe, die freiberuflich und selbstständig tätig sind.

Die wichtigen Teilmärkte Klinik, Medizintechnik und zum Teil auch Pharma sind überwiegend mittelständisch geprägt, daneben gibt es große Konzerne und Ketten. Für diese Unternehmen ist die 30 Milliarden- Euro-Umsatzgrenze in Sicht, ihre Beschäftigtenzahlen sind fünfstellig.

Solche Daten werden gerne in Studien oder auf Kongressen präsentiert. Dabei wird überwiegend auf die - unbestreitbar vorhandenen - Marktchancen abgehoben. "Die demografische Entwicklung in Kombination mit einem steigenden Gesundheitsbewusstsein lässt innerhalb aller Bevölkerungsschichten neue Absatzmärkte für Gesundheitsgüter entstehen", heißt es etwa in einer jüngst veröffentlichten Studie der HSH Nordbank. Dort wird prognostiziert: "Im Ergebnis wird die Gesundheitswirtschaft weiterhin mit überdurchschnittlichen Jahresraten zwischen drei und vier Prozent wachsen."

Wird sich die Spirale also tatsächlich immer weiter drehen, bleibt das Gesundheitswesen der Motor der Gesamtwirtschaft, wie es Professor Leo Nefiodow schon vor 20 Jahren prognostiziert hat? Manches spricht dafür, aber auf zwei zentrale Risiken gibt es bislang keine Antworten: Den Fachkräftemangel und die Finanzierbarkeit des steigenden Bedarfs.

Der erste Punkt wird ständig thematisiert, der zweite nach wie vor kaum beachtet. Auch Studien klammern diese Frage gerne aus und ignorieren damit das Kernproblem des Gesundheitswesens - dass bei begrenzten Mitteln nicht jede neue Leistung finanziert werden kann.Fachleute wie der Gesundheitsökonom Professor Fritz Beske weisen seit Jahrzehnten auf den steigenden Bedarf hin, der zugleich steigende Kosten und damit ungelöste Finanzierungsfragen bedeutet.

Unstrittig ist, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen allein diesen Anstieg nicht finanzieren können. Die daraus resultierenden Beitragssatzanhebungen werden weder in der Bevölkerung, noch in der Politik auf Akzeptanz stoßen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Bürgerversicherung eingeführt wird oder nicht.

Zugleich ist aber nicht erkennbar, dass die Politiker in naher Zukunft Lösungen anbieten werden. Dazu müssten sie zunächst eine gesamtgesellschaftliche Diskussion anschieben.

Die Bevölkerung müsste sich in einem zweiten Schritt mit der Frage beschäftigen, welche Gesundheitsleistungen solidarisch und welche privat bezahlt werden sollten. Das könnte in der Umsetzung auch in Entscheidungen münden, ob eine Region etwa einen zusätzlichen Rettungshubschrauber oder ein neues Angebot in ihrer Klinik finanziert.

Priorisierung wirkt wie ein Damoklesschwert

Erste Ansätze in dieser Richtung gab es, etwa die 2010 einberufene Lübecker Bürgerkonferenz. Über Modellprojekte sind diese Ansätze nie hinausgekommen. Schon der Begriff der Priorisierung erschwert eine Diskussion. Dabei würde sie die Gesundheitswirtschaft nicht abwürgen, sondern könnte ihr sogar helfen.

Eine öffentliche Diskussion über die Finanzierbarkeit von Gesundheitsleistungen rückt deren Bedeutung in das Bewusstsein. Damit steigt auch die Chance, dass Menschen sich für Investitionen in diesen Sektor entscheiden.

Dies gilt nicht nur für private Ausgaben, sondern auch für öffentliche Mittel. Politikern, denen in der Vergangenheit der Mut für entsprechende Investitionen gefehlt hat, könnte die Entscheidung erleichtert werden.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit könnten Ärzte von einer solchen Entwicklung profitieren. Auf wessen Urteil sollen sich die Menschen in solch wichtigen Fragen sonst stützen? Ärztliche Leistungen werden von der Bevölkerung immer ganz vorn in der Prioritätenliste stehen. Ohne die Diskussion darüber aber laufen wir Gefahr, dass viel Geld in Bahnen gelenkt wird, von denen vielleicht die Wirtschaft profitiert, die aber für die Gesundheitsversorgung von untergeordneter Bedeutung sind.

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