„Kaum zu gewinnender Wettlauf“

Pflegebranche fürchtet fatalen Wettbewerb um Personal

Deutschland sucht und braucht händeringend Pflegekräfte. Vor allem die Altenpflege sieht sich bei der Nachwuchsgewinnung im Hintertreffen.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Abstrakte Darstellung von Pflege: Der bpa fürchtet einen desaströsen Wettkampf um Fachkräfte.

Abstrakte Darstellung von Pflege: Der bpa fürchtet einen desaströsen Wettkampf um Fachkräfte.

© LIGHTFIELD STUDIOS / stock.adobe.com

BERLIN. Vertreter der Pflegebranche haben vor einem ruinösen Wettbewerb beim Anwerben von Fachkräften gewarnt. Gerade für Einrichtungen der Altenpflege sei das „ein kaum zu gewinnender Wettlauf“, sagte der Geschäftsführer des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), Herbert Mauel, bei einer Diskussionsrunde des Vereins „Gesundheitsstadt Berlin“ am Mittwochabend in Berlin.

Mauel verwies auf das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz. Die Reform ist seit Januar in Kraft. Krankenhäuser bekommen seither jede neue Pflegestelle refinanziert. Damit habe der beim Gesetz federführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) „die Plünderung der Altenpflege eingeläutet“, kritisierte Mauel.

Die mit der Reform bezweckte bessere Personalausstattung in Kliniken gehe „klar“ zulasten der Heime und Pflegedienste. Mittlerweile gebe es sogar in Konzernen, die sowohl Häuser der stationären Akutversorgung wie auch der Langzeitpflege im Portfolio führten, „untereinander Stress“.

Hohe Abwerbeprämien im Umlauf

Auch der Vorsitzende des Vereins „Gesundheitsstadt Berlin“, Ulf Fink, berichtete von „hohen Abwerbeprämien“. Die Demografie treibe den Personalbedarf in der Pflege kräftig in die Höhe. Um ihn zu decken, brauche es auch eine verstärkte Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte. „Manche Länder arbeiten inzwischen mit Menschen 80 verschiedener Nationalitäten.“

Die Pflegedirektorin der Berliner Charité, Judith Heepe, sprach von einem „Kampf“ und ständigen Überlegungen, „wie wir an Personal kommen“. Die Pflegepersonaluntergrenzen auf ausgewählten Klinikstationen verschärften die Situation. Kranken- und Altenpflege machten sich inzwischen „gegenseitig Konkurrenz“ bei der Personalgewinnung, so Heepe.

Christine Vogler, pädagogische Geschäftsführerin für den gemeinsamen Bildungscampus von Charité und dem Berliner Klinikkonzern Vivantes, betonte, Deutschland habe in den 1990er-Jahren Tausende Ausbildungsplätze in der Pflege abgebaut. Das räche sich jetzt. „Alle müssen immer über Bedarf ausbilden.“ Der Bildungscampus ist Teil des Konzepts „Gesundheitsstadt Berlin 2030“. Am Campus sollen in den kommenden Jahren mehr als 3000 junge Menschen in acht verschiedenen Gesundheitsberufen ausgebildet werden. Diese stünden dann der gesamten Stadt zur Verfügung, betonte Vogler.

Ambulante Pflege unterfinanziert

Der Vorstands-Vize des Anbieterverbands qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen (AVG), Thomas Meißner, stellte klar, viele ambulante Pflegedienste arbeiteten „weit, weit unter den Personalgrenzen arbeiten, um die es aktuell im stationären Bereich geht“.

Die ambulante Pflege sei in den „vergangenen Jahren unterfinanziert“ worden. Das mache es den zumeist kleinen und mittelständischen Betrieben schwierig, neue Mitarbeiter über höhere Gehälter anzulocken. Wenn der Grundsatz „ambulant vor stationär“ noch Bedeutung habe, müssten Politik und Kostenträger auch entsprechende Rahmenbedingungen setzen, forderte Meißner.

Zuschuss bei Weiterqualifizierung

Berlins Gesundheits-Staatssekretärin Barbara König (SPD) sagte, die Bundeshauptstadt habe die Themen Pflegeausbildung und Vergütung auf die politische Agenda gehoben. Mit dem Anfang April geschlossenen „Pakt für die Pflege“ sei Berlin sogar ein „Schrittchen früher“ dran gewesen als die „Konzertierte Aktion Pflege“ (KAP) mit ihren 111 Einzelmaßnahmen.

Zu den KAP-Beschlüssen gehöre, die Ausbildungskapazitäten bis zum Jahr 2023 um zehn Prozent zu erhöhen. Berlin wolle „verdoppeln“, sagte König. Mit „Minimalzielen“ komme man dem steigenden Pflegebedarf nicht bei.

Außerdem wolle die Stadt Pflegehelfern, die sich zu Pflegekräften weiterqualifizieren wollten, einen Zuschuss zahlen. Wer sich für den Schritt entscheide, müsse in der Weiterbildungsphase nicht selten auf monatlich 500 Euro verzichten. Diesen Ausfall wolle man kompensieren.

„Bürgerdialog“ zu Pflegethemen

Mit den an diesem Donnerstag beginnenden „Bürgerdialog Pflege 2030“ lade der Senat die Berliner zum Austausch über Pflegefragen ein, betonte König. Klar sei, dass mehr Ausbildungsstellen und höhere Personalschlüssel die Ausgaben „in die Höhe“ trieben. „Am Ende des Tages tragen die Pflegebedürftigen die Kosten.“

Deshalb setze sich ihre Partei auch für eine Begrenzung der Zuzahlungen bei Pflege ein, sagte die SPD-Politikerin. Auch ein Steuerzuschuss sei richtig. Denn „Pflege betrifft alle“.

Gesundheitsminister Spahn hatte diese Woche erklärt, im ersten Halbjahr 2020 ein Finanzierungskonzept für die Pflege vorlegen zu wollen.

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