Hausärztliches Versorgungszentrum

Rettet die Eifel!

Den "Tsunami" Unterversorgung in der Eifel könnte das Engagement einzelner Hausärzte verhindern. Ein Beispiel sind Ina und Carsten Schnieder, die ihre Gemeinschaftspraxis zum Hausärztlichen Versorgungszentrum ausgebaut haben.

Von Lydia Schumacher Veröffentlicht:

DAUN. Die Prognosen für die medizinische Versorgung in der Eifel sind düster: Von einem "Tsunami" spricht die KV Rheinland-Pfalz, wenn sie auf die dünn besiedelten Landstriche schaut. Bis zum Jahr 2020 werden 20 der 42 in Hausarztpraxen tätigen Ärzte mit Sitz im Kreis Vulkaneifel in den Ruhestand gehen. Die KV geht davon aus, dass nur jede vierte Stelle neu besetzt werden kann. Falls sich die Entwicklung bis zum Jahr 2030 so weiter fortsetzen würde, stünden vor jeder Praxistür dann bis zu 3600 Menschen pro Quartal Schlange. Das wäre mehr als das Dreifache dessen, was ein Hausarzt derzeit in Vollzeit durchschnittlich leistet.

Obwohl die Zahlen der Unterversorgung längst bekannt sind, zeigt der "Versorgungsindex" der KV nur einen Teil des Desasters in der Eifel auf: Wittlich, Cochem und Prüm gelten als "Fördergebiete" und sind deshalb dunkelgrau. Demjenigen, der sich als Hausarzt in eigener Praxis dort niederlässt, winken 60.000 Euro aus dem Strukturfonds. Noch ist die Region Daun jedoch so hellgrau wie die Stadt Trier – also kein Fördergebiet. Würde die KV nur vier Jahre in die Zukunft blicken, sähe das anders aus. "Das ist Planwirtschaft, die stammt noch aus Zeiten der Ärzteschwämme", diagnostiziert Dr. Carsten Schnieder, niedergelassener Allgemeinmediziner in Daun. Gehandelt werde leider nicht vorausschauend, sondern erst dann, wenn der Mangel schon da sei.

Er selbst hat die Not früh kommen sehen: "Ich musste doch nicht ohne Grund 14 Stunden am Tag arbeiten", sagt der Mediziner. Natürlich hätte auch er es sich leicht machen und ein Schild aufhängen können mit dem Text: ‚Unsere Praxis ist voll‘. Lieber war ihm allerdings eine Lösung im Sinne seiner Patienten. Inzwischen hat er gemeinsam mit seiner Frau Ina, mit der er die Praxis betreibt, das "Hausärztliche Versorgungszentrum Daun" aufgebaut.

Angestellte Ärzte mit Stundenbudget

"Viele haben anfangs nur den Kopf geschüttelt, weil sie sich das nicht vorstellen konnten. Wir haben viel Geld und Nerven investiert. Jetzt funktioniert es." Mittlerweile arbeiten sieben Ärzte als Angestellte mit einem definierten Stundenbudget in der Praxis mit. Die Gemeinschaftspraxis von Dr. Heinz-Josef Weis in Daun, der ansonsten in absehbarer Zeit in den Ruhestand gegangen wäre, hat ihren Sitz kürzlich zu Schnieder verlegt. Mit Weis gewinnt die Praxis viele Jahre praktischer Erfahrung. Und er selbst kann sein Stundenbudget beliebig zurückfahren in dem Wissen, dass seine Patienten und seine Mitarbeiter gut untergebracht sind. Außerdem wurden zwei volle Arztstellen geschaffen, die das Land mit jeweils 15.000 Euro nach den Richtlinien zur Förderung der hausärztlichen Versorgung auf dem Land unterstützt. Um dieses Geld zu erhalten, musste die Praxis für 30.000 Euro neue Geräte anschaffen. Sollten beide Ärzte allerdings vor dem Ablauf von fünf Jahren kündigen, müsste die Förderung anteilig zurückgezahlt werden. "In der jetzigen Konstellation mit 6,5 vollen Arztstellen, verteilt auf neun Kollegen, schaffen wir bis zu 6000 Patienten pro Quartal", so Schnieder.

Zu chronisch kranken, dementen oder multimorbiden Patienten schickt die Praxis zusätzlich vier nichtärztliche Praxisassistentinnen (NäPa) regelmäßig zum Hausbesuch. Sie dürfen Blut abnehmen, die Gerinnung messen, den Blutzucker bestimmen oder Wunden beurteilen. "Die Assistentinnen schauen regelmäßig nach dem Gesamtzustand der Patienten und lenken so unsere Hausbesuche gezielt. Wir müssen dadurch über unsere normalen Besuchsrunden hinaus deutlich weniger Zeit im Auto verbringen." Die NäPa sparen den Ärzten das kostbarste Gut: Zeit. Trotzdem fallen im Hausärztlichen Versorgungszentrum immer noch 750 zeitintensive Hausbesuche im Quartal an. Sie sind die einzige Möglichkeit, alle Menschen – auch in den abgelegenen Orten – an das Gesundheitswesen anzubinden. "So kann niemand stranden, nur weil in seinem Dorf kein Bus mehr fährt."

Der Dauner Hausarzt hat vor allem verstanden, dass junge Ärzte andere Schwerpunkte haben als er, dass sie deutlich mehr auf ihre Work-Life-Balance achten und gerne zu planbaren Zeiten tätig sein wollen. Deshalb bietet er ihnen die Möglichkeit eines beliebigen Stundenbudgets, das sie nach Absprache einbringen. Schnieder hat damit mehr erreicht als die KV mit ihren Veranstaltungen "Arzt Nah Dran", in denen sie jungen Medizinern die Niederlassung im Notstandsgebiet schmackhaft machen will.

Aus der Stadt in die Eifel geholt

Gerade konnte die Praxis wieder eine Mitarbeiterin aus der Stadt gewinnen: Birgit Bender (45) ist Internistin, Kardiologin, Fachärztin für physikalische und Reha-Medizin und bringt Erfahrungen in Psychiatrie sowie Notfallmedizin mit. Die Bonnerin hatte zuvor in den Bereitschaftsdienstzentralen der Niedergelassenen in Gerolstein und Daun gearbeitet und die Eifel lieben gelernt. Seit April bringt sich Bender mit 30 Stunden pro Woche ein.

Mit ihrem Engagement konnten Ina und Carsten Schnieder dem von der KV heraufbeschworenen "Tsunami" schon teilweise trotzen. Und sie lassen nicht locker, bevor das Projekt auch zukunftssicher ist. Deshalb haben sie jetzt die dreijährige Weiterbildungsberechtigung für junge Mediziner erworben. Gemeinsam mit den Krankenhäusern in der Umgebung kann das Versorgungszentrum die gesamte Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin vor Ort anbieten. "Wenn ich den jungen Menschen eine Unterkunft anbiete und sie während der Ausbildung vernünftig bezahle, dann ist das deutlich attraktiver, als sie während der Ausbildung quer durch die Republik zu schicken. Das ist nämlich häufig der Fall", so Carsten Schnieder. Wenn nur einige der jungen Ärzte auf dem Land sesshaft werden, dann zahlt sich sein Engagement auch für die Zukunft aus.

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