Schlagbaum für die Patienten in der EU fällt

Freizügigkeit - von diesem wichtigen Charakteristikum Europas profitieren viele Ärzte. Es garantiert ihnen Mobilität. Anders bei Patienten. Doch in diesem Jahr beseitigt das EU-Parlament die Schlagbäume für Kranke.

Von Dorothée Junkers Veröffentlicht:
Medizin ohne Grenzen - davon sollen bald auch Patienten in der EU profitieren.

Medizin ohne Grenzen - davon sollen bald auch Patienten in der EU profitieren.

© dpa

Patienten in Europa können künftig selbst entscheiden, in welchem EU-Land sie zum Arzt gehen wollen. Nach langem Streit ist den Mitgliedstaaten bei der Liberalisierung der Gesundheitsversorgung in den wichtigsten Knackpunkten eine Einigung gelungen. Bei ihrem Treffen am Dienstag in Luxemburg beauftragten die Gesundheitsminister die belgische Ratspräsidentschaft, im zweiten Halbjahr 2010 die geplante EU-Richtlinie bis zum Jahresende unter Dach und Fach zu bringen (wie kurz berichtet).

Die Richtlinie soll erstmals festschreiben, zu welchen Bedingungen sich Europäer in einem anderen EU-Mitgliedstaat behandeln lassen können. Prinzipiell sollen geplante Krankenhaus- und Arztbesuche wie im Heimatland des Versicherten erstattet werden. Allerdings gilt ein "Genehmigungsvorbehalt", wenn eine angemessene Klinikbehandlung auch im eigenen Land möglich wäre.

Die parlamentarische Gesundheitsstaatssekretärin Annette Widmann-Mauz (CDU) begrüßte die Einigung: "Es wird ein spürbarer Mehrwert für die Bürger geschaffen. Durch die Regelung zur Kostenerstattung ist es möglich, auch mehr Auslandsbehandlungen in Deutschland durchzuführen."

In Deutschland ist schon seit 2004 klargestellt, dass sich Krankenversicherte auch im EU-Ausland behandeln lassen und dafür nach deutschen Vorschriften Kostenerstattung erhalten.

Das Europaparlament, das der Direktive zustimmen muss, zeigte sich gespalten. Der CSU-Abgeordnete Markus Ferber warnte vor einer "Unterhöhlung des deutschen Gesundheitssystems". In Deutschland stünden für das eigene System immer weniger Mittel zur Verfügung, während die medizinische Infrastruktur im EU-Ausland durch die zahlungskräftigen und gut versorgten Patienten subventioniert wird, warnte Ferber.

Als letzten und größten Streitpunkt räumten die Minister die Frage der Gesundheitsversorgung deutscher oder britischer Rentner in Spanien aus dem Weg. Die Spanier hätten mit dem Kompromiss genügend Rechtssicherheit erhalten, sagten Diplomaten.

Grenzüberschreitende Arztbesuche in Europa stehen bereits seit gut einem Jahrzehnt auf der europäischen Agenda. 2008 legte die EU-Kommission einen Gesetzesvorschlag vor. Während sich das Europaparlament bereits in erster Lesung geeinigt hat, war das Dossier unter den Mitgliedstaaten umstritten.

   Betroffen sind deutsche Rentner, die auf Mallorca leben, ebenso wie Zahnarztpatienten, die sich günstiger in Polen behandeln lassen wollen oder Kranke, die in ihrem Heimatland auf langen Wartelisten für eine spezielle Behandlung stehen. Kritiker befürchten einen "Gesundheitstourismus". In Expertenkreisen hieß es jedoch, es sei nicht mit größeren "Patientenströmen" zu rechnen, schon allein wegen sprachlicher Verständigungsprobleme.

Dagegen können die deutschen Anbieter nach Einschätzung des CDU-Europaabgeordneten Peter Liese von der Richtlinie profitieren. Da das deutsche Gesundheitssystem im europäischen Vergleich gut sei, winkten zusätzliche Einnahmen durch Patienten aus anderen Ländern.

Nur ein Prozent aller Patienten in der EU werden derzeit im Ausland behandelt. Zwar gilt grundsätzlich das Prinzip des EU-Binnenmarktes und die freie Arztwahl, auch hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) wiederholt im Sinne der Patientenfreiheit geurteilt. In der Praxis sind jedoch die Hürden hoch. Patienten müssen Vorabgenehmigungen einholen und können sich bei der Kostenerstattung nicht sicher sein.

Im Herbst beginnen die Verhandlungen mit Kommission und Europaparlament ("Trilog"). Die Verhandlungen werden wohl "kein Selbstläufer", wie Diplomaten betonen. "Das ist ein sensibles Dossier."

Die SPD-Europaabgeordnete Dagmar Roth-Behrendt forderte eine rasche Einigung. "Endlich wird im europäischen Binnenmarkt auch für Kranke der Weg frei, mobil sein zu können und sich in einem anderen Mitgliedstaat behandeln zu lassen", sagte sie.

Offen sind noch mehrere Änderungsanträge. Einer betrifft die Frage ethischer Grundsätze wie bei der künstlichen Befruchtung oder der Präimplantationsdiagnostik, die in Deutschland vergleichsweise restriktiv geregelt sind. Deutschland unterstützt deshalb das Parlament, das diesen Punkt aufnehmen will.

Länder wie Tschechien oder Österreich, die liberaler sind und von deutschen Patienten profitieren, könnten sich dem widersetzen. Ein anderer Streitpunkt ist die Behandlung bei seltenen Krankheiten, bei denen das Parlament das Versicherungslands-Prinzip ablehnt. (dpa)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Europa nützt auch Patienten

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