Choosing Wisely

Unterversorgung wird von Ärzten unterschätzt

Unter- und Überversorgung sind Gegenstände der „Klug entscheiden“-Initiative. Ärzte müssen dem Druck der Patienten manches Mal standhalten.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Was die Patientin will, kann zur Fehlversorgung führen.

Was die Patientin will, kann zur Fehlversorgung führen.

© Gina Sanders / stock.adobe.com

Berlin. Das Bewusstsein für die Unterversorgung ist bei Ärzten und Patienten unterentwickelt. Darauf hat der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DEGIM), Professor Ulrich Fölsch, bei einer Tagung der Bertelsmann Stiftung in Berlin hingewiesen.

Von bislang 149 „Klug entscheiden“-Empfehlungen der internistischen Fachgruppen beträfen 85 das bewusste Weglassen von ärztlichen Maßnahmen, deren wissenschaftlicher Nutzen allerdings belegt sei, also zu Unterversorgung führt. Lediglich 64 Empfehlungen beträfen Überversorgung.

Wenig Ärzten bewusst

Unterversorgung ist ausweislich einer DEGIM-Umfrage von Ende 2015 unter ihren Mitgliedern den Ärzten wenig bewusst. Knapp die Hälfte der teilnehmenden 4181 Internisten, davon 37 Prozent Allgemein-Internisten, gab an, weniger als einmal in der Woche eine bewusste Entscheidung gegen eine medizinische Maßnahme zu treffen, deren Nutzen belegt sei.

Auf der anderen Seite sagten 70 Prozent der Ärzte aus Praxis und Klinik, dass sie mehrmals in der Woche, manchmal zwischen 1- bis 10-Mal am Tag eine überflüssige Leistung verordneten oder vornähmen.

Die Gründe dafür, so die Befragung, liegen bei 80 Prozent der Ärzte in der Sorge vor Behandlungsfehlern. Mehr als 63 Prozent geben dem Druck der Patienten nach, statt einer nachgewiesen wirksamen Therapie eine nicht notwendige Bildgebung, Labordiagnostik oder sogar ein alternativmedizinisches Konzept einzusetzen.

„Braucht Deutschland mehr Choosing Wisely?“ hatte die Bertelsmann Stiftung ihr Programm überschrieben. Fölsch beantwortete die Frage mit Ja. Zum Beispiel solle „Klug entscheiden“ bereits im Studium eine Rolle spielen. Fölsch regte an, per Versorgungsforschung zu ermitteln, wie die „Klug entscheiden“-Empfehlungen umgesetzt würden.

Patienten in Prozesse einbeziehen

Auch die Fachgesellschaft der Hausärzte (DEGAM) hat bereits eine Reihe von „Klug entscheiden“-Empfehlungen vorgelegt. Von den 25 Beiträgen befassen sich 24 mit Über- und eine mit Unterversorgung.

Die Experten waren sich einig, dass Patienten in die Prozesse mit einbezogen werden sollten. Immerhin gehen 56 Prozent der Patienten ausweislich der Ergebnisse einer aktuellen Kantar-Befragung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung davon aus, dass Ärzte auch Therapien einsetzen, die Patienten nichts nützten.

Hier will die DEGAM vorangehen. Als Gesprächsgrundlage zwischen Ärzten und Patienten soll es laienverständliche Versionen der Leitlinienempfehlungen geben, kündigte Dr. Cathleen Muche-Borowski von der DEGAM an.

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