Corona-Pandemie

Vertragsärzte kritisieren Zwangsmaßnahmen scharf

„Hochproblematisch“, „beängstigend“, „potenziell gefährlich“: Die Kassenärztliche Bundesvereinigung lässt kein gutes Haar an den Notfallplänen einzelner Länder zur Corona-Eindämmung. Auch der Hausärzteverband meldet sich zu Wort.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Sehen die derzeitigen politischen Eingriffe in ärztliche Belange sehr kritisch: KBV-Chef Dr. Andreas Gassen (r.) und sein Vize Dr. Stephan Hofmeister. (Archivbild)

Sehen die derzeitigen politischen Eingriffe in ärztliche Belange sehr kritisch: KBV-Chef Dr. Andreas Gassen (r.) und sein Vize Dr. Stephan Hofmeister. (Archivbild)

© Michaela Illian

Berlin. Mit erheblichem Unverständnis hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) auf die im Zuge der Corona-Krise geplanten oder bereits erlassenen Notmaßnahmen einzelner Ländern reagiert. „Wir halten das, was in Bayern aktuell geschieht, für hochproblematisch“, sagte KBV-Chef Dr. Andreas Gassen am Mittwochvormittag in Berlin.

Gassen: „Leistungsschau“ in Bayern stimmt

Es gebe „keinen wirklichen Grund“ dafür, die Bemühungen der Vertragsärzte im Kampf gegen Corona durch staatlich verordnete Zwangsmaßnahmen zu torpedieren, machte Gassen deutlich. „Wenn Sie die Leistungsschau in Bayern anschauen, dann gibt es da wenig zu verbessern – außer, dass die Kollegen mehr Schutzmaterial gebrauchen könnten.“

Allein in Bayern seien derzeit über 200 Corona-Fahrdienste im Einsatz. 650 Ärzte und Fahrer arbeiteten im Drei-Schicht-System, 500 Disponenten stünden telefonisch für Fragen bereit, rechnete Gassen vor. Hinzu kämen rund 40.000 Abstriche auf eine mögliche Ansteckung mit Corona, die im Freistaat allein im März durchgeführt worden seien. „Warum hier jetzt jemand meint, konkret der Ministerpräsident von Bayern, das besser zu können, ist wahrscheinlich Herrschaftswissen.“

„Rückfall in Kleinstaaterei“

Anders als in Bayern seien die Verantwortlichen in Nordrhein-Westfallen offensichtlich zur „Besinnung“ gekommen, so Gassen. Ein entsprechendes Pandemiegesetz sei dort noch einmal in die Beratung genommen worden. „Es ist schon befremdlich anzunehmen, dass man Ärzte und anderes medizinisches Personal einfach dienstverpflichten kann.“ Die Ärzte bräuchten die Unterstützung der Politik und dürften „keine Knüppel zwischen die Beine geworfen bekommen“.

KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister reagierte ebenfalls ungehalten. „Es ist beängstigend, dass man bei einer nationalen epidemischen Lage plötzlich in die Kleinstaaterei verfällt und auf der Landkreisebene bisher nicht mit medizinischer Versorgung vertraute Personen in die Abläufe eingreifen sollen.“ Die Vorgänge seien „besorgniserregend, potenziell sogar gefährlich“. Die KVen machten ihren Job.

Auch Weigeldt kritisiert „Zwangsmaßnahmen“

Auch der Deutsche Hausärzteverband rief die Politik zu größerer Unterstützung statt Gängelung auf. „Man sollte in diesen herausfordernden Zeiten weniger über Zwangsmaßnahmen gegenüber der Ärzteschaft nachdenken und sich eher fragen, wie man diejenigen, die gerade jeden Tag gefordert sind, in ihrer Arbeit unterstützen kann – und dann auch die entsprechenden Maßnahmen einleiten“, erklärte der Bundesvorsitzende des Verbandes, Ulrich Weigeldt, am Mittwoch.

Bayerns Staatsregierung hatte am Wochenende einen „Notfallplan“ zur Eindämmung der Corona-Epidemie in Kraft gesetzt. Danach übernehmen de facto die Landkreise die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung vor Ort. Von den Kreisen ernannte Versorgungsärzte können sogar ärztliche Kollegen zu Diensteinsätzen verdonnern. Auch in Nordrhein-Westfalen soll ein entsprechendes Gesetz in Kürze im Landtag verabschiedet werden. Vertreter der Landesregierungen hatten betont, die Notpläne seien nur vorübergehender Natur.

Müssen und werden Regelversorgung aufrecht erhalten!

KBV-Chef Gassen sagte, die Praxen hätten sich mit der aktuellen Situation „arrangiert“. Derzeit würden sechs von sieben SARS-CoV-2-Patienten ambulant versorgt. Daneben müssten die Praxen eine flächendeckende Regelversorgung „trotz Corona“ aufrecht halten. Aktuell komme es täglich zu rund 3,9 Millionen Patientenkontakten in Haus- und Facharztpraxen. 1,8 Millionen Patientenkontakte entfielen allein auf die Hausärzte.

Sorge bereite ihm, dass viele chronisch kranke Patienten die Praxen aus Angst vor einer Ansteckung mit Corona mieden, sagte Gassen. „Das ist schon schwierig, denn das sind sehr ernst zu nehmende Erkrankungen, die in der Regel lebensgefährlich sind.“ Man müsse daher aufpassen, dass es am Ende nicht mehr Tote „aus den Kollateralschäden von Corona“ gebe als durch das Virus selbst.

KBV sieht genügend Testungen

Mit Blick auf die Testungen auf das Virus betonten Gassen und Hofmeister, Deutschland halte hier hohe Kapazitäten vor. In rund 400 Testzentren seien allein in der Woche vom 23 bis 29. März rund 313.000 Menschen getestet worden. „Das zeigt, wir testen durchaus großzügig.“ Langsam komme man jedoch an Grenzen. „Es ist aber wenig sinnvoll, einfach stumpf eine weitere Ausweitung der Tests zu fordern.“

Wer getestet werden solle, habe das Robert Koch-Institut (RKI) in Empfehlungen beschrieben. Symptomfreie, gesunde Menschen zu testen mache keinen Sinn.

Bei Schutzmaterial priorisieren

Kritisch stelle sich weiter die Vorhaltung von Schutzkleidung und Schutzmasken in den Praxen dar, betonte die KBV-Spitze. In China werde die Produktion von Schutzmaterial zwar wieder hochgefahren. Grenzschließungen und Flugverbote erschwerten die Lieferungen aber, so Gassen. „Man kriegt es halt nicht hier hin“, kommentierte Gassen. Fakt sei, dass Praxen vom Netz gehen müssten, wenn nicht ausreichend Schutzmasken und Schutzkleidung bereitgestellt würden. „Das möchte natürlich kein Mensch.“

Schutzmasken: KBV gegen allgemeine Tragepflicht

Hofmeister betonte, es brauche eine Priorisierung bei der Auslieferung der Schutzkleidung. Ein Hausarzt brauche diese dringender als beispielsweise ein Augenarzt. Das gefalle nicht jedem, sei aber der Knappheit der Materialien geschuldet.

Von einer allgemeinen Pflicht zum Tragen einer Atemmaske zum Schutz vor Corona halte er nicht sonderlich viel, spielte Hofmeister auf entsprechende Forderungen an. So gebe es laut WHO keine „wirklich gute Datenlage, ob das Tragen von Masken hilft oder nicht hilft“. Außerdem gebe es derzeit nicht genügend Schutzmasken. „Es ist zurzeit absolut notwendig, dass in der Versorgung tätiges Personal mit diesen Masken versorgt wird.“ Erst wenn es ausreichende Masken gebe, könne man über „eine allgemeine Tragepflicht oder Tragebitte“ nachdenken. Grundsätzlich schütze eine Atemmaske „vielleicht“ Dritte, nicht aber den Träger. Derzeit komme die Debatte darüber zur Unzeit.

Zi: Maßnahmen wirken

Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) will derweil ausgemacht haben, dass sich die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus bemerkbar machen. Die seit Mitte März geltenden Regelungen der sozialen Distanzierung zeigten „erste Wirkung“, teilte das Zi am Mittwoch mit.

Am Mittwochnachmittag wollen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder bei einer Telefonschalte eine erste Bilanz der Maßnahmen ziehen. Zuvor hatten bereits mehrere Länder wie auch Vertreter des Bundes erklärt, für eine Lockerung der Regelungen sei es zu früh. RKI-Chef Professor Lothar Wieler hatte am Dienstag betont, eine solide Einschätzung, wie die Maßnahmen wirkten, sei frühestens Ostern möglich.

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