Sinkende Beteiligung
Wahlen zur Vertreterversammlung: Warum die Online-Option Ärzte nicht wahlwilliger macht
Alle sechs Jahre kommt Vertragsärzten viel Papier auf den Tisch. Grund sind die Wahlen zur Vertreterversammlung. Doch immer weniger machen ihr Kreuz. Erste KV-Regionen erproben Online-Wahlen. Aber wirkt das als Kick für die Stimmabgabe?
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Per Post oder Mausklick: KVen versuchen Mitgliedern die Stimmabgabe bei den Wahlen zu Vertreterversammlungen so einfach wie möglich zu machen.
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Berlin/Stuttgart. Online wählen: Das hört sich modern und smart an. Kein Papierkram, kein Gang zum Postkasten. Sehen so künftig Wahlen zu den Vertreterversammlungen (VV) in den KV-Regionen aus? Doch was sich als Fortschritt schmückt, muss nicht zwingend als solcher auch bei den Vertragsärzten und -psychotherapeutinnen ankommen.
Spot an auf Baden-Württemberg: Die Wahlbeteiligung bei VV-Wahlen hat dort kontinuierlich abgenommen und ist 2022 bei einem Tiefstwert von rund 34,5 Prozent unter den ärztlichen Mitgliedern angelangt. Das entspricht einem Minus von rund fünf Prozentpunkten im Vergleich zur Wahl 2016.
Bei den psychotherapeutischen Mitgliedern lag die Beteiligung mit rund 40 Prozent zwar etwas höher – doch in dieser Gruppe fällt der Rückgang der Wahlbeteiligung noch stärker aus. Das sind Zahlen, die der Frage nach der Legitimität der gewählten Vertreter durchaus Raum geben können.
Haben Online-Wahlen das Potenzial, eine Trendwende einzuleiten? Die Diskussionen bei der jüngsten VV der KV Baden-Württemberg im Oktober ließen Skepsis aufkeimen. Hinzu kommt: Die Ergebnisse einer Umfrage der Ärzte Zeitung bei den drei KV-Bezirken, die bereits Erfahrungen mit Online-Wahlen gemacht haben, lassen für Optimismus wenig Raum.
Vertreterversammlung der KVBW
KV-Wahl – kein Thema? KV Baden-Württemberg geht niedriger Beteiligung nach
Doch der Reihe nach: Nach derzeitigem Stand soll der 1. August 2028 der nächste Wahltag in Baden-Württemberg sein, erklärte Yvonne Motzer, Leiterin des Rechtsbereichs der KVBW, den Vertretern. „Wir kommen zum eindeutigen Ergebnis, dass eine Online-Wahl zulässig wäre“, berichtete sie. Dies auch deshalb, weil in der Satzung der Landesärztekammer (LÄK) im Südwesten eine Online-Wahl bereits geregelt ist – „genehmigt vom Sozialministerium“, so Motzer.
Hybrid-Wahlen bedeuten höhere Kosten
Diffiziler wird es, wenn es um eine Hybrid-Wahl geht, man also parallel Online- und Briefwahl abhalten will. Denn ein Expertengremium, die Arbeitsgemeinschaft Heilberufe der Sozialministerien der Länder, habe sich bundesweit gegen die Genehmigung von Hybrid-Wahlen ausgesprochen. „Wir favorisieren eine Hybrid-Wahl daher nicht“, so das Fazit von Motzer.
Allerdings: das Sozialministerium Baden-Württemberg sähe nach Darstellung der Leiterin des Rechtsbereichs eine Online-Wahl als genehmigungsfähig an – und gab der anfragenden KVBW den Rat, es dennoch erst mal mit einer Hybrid-Wahl zu versuchen. Kopfschütteln bei den Delegierten war die Folge.
Was immer mitbedacht werden muss: Hybrid-Wahlen sind wegen ihrer Doppelstruktur auch ein Kostenfaktor. Die KVBW habe für die Briefwahl alten Typs zuletzt rund 750.000 Euro ausgegeben, von der Landesärztekammer wisse man, dass eine Online-Wahl rund 800.000 bis 900.000 Euro kostet, hieß es bei der VV. Preiswerter würde eine Hybrid-Wahl somit sicher nicht.
„Sicherheit und Rechtskonformität“ heißt die Vorgabe
Motzer gab als Ziel für die nächste Wahl aus, die Sicherheitsstandards einer Briefwahl „eins zu eins“ in die neue Welt zu übertragen. Die Latte liege also bei „Sicherheit und Rechtskonformität“. Und da gibt es eine Menge zu beachten. Geheimhaltung, stellte Motzer klar, müsse höchste Priorität haben: „Die Integrität der Wahlurne muss jederzeit gewährleistet sein.“
Es müsse beispielsweise das Recht auf eine ungültige Stimmabgabe geben. Und bei den technischen Vorgaben müsse eine Zweifaktor-Authentifizierung genauso gewährleistet sein wie umfangreiche Protokollpflichten.
Nach diesem Infopaket zeigten sich die Vertreter in der Diskussion zwiegespalten. Ausprobieren, war das Votum der einen. Andere waren der Auffassung, eine Online-Wahl sei auch nicht mehr barrierefrei als eine Briefwahl. Gemutmaßt wurde, insbesondere die älteren Kollegen seien nicht unbedingt „Digital Natives“. Deshalb sei es gut, zunächst über eine Hybrid-Wahl Erfahrungen zu sammeln.
Wieder andere Delegierte warnten vor einem digitalen Wahlangebot. Eine Online-Wahl führe zu einer „Fragmentierung“ der VV, weil die bisherige Kanalisierung über Wahllisten entfalle. Am Ende könnte eine gesunkene Wahlbeteiligung stehen, so die Befürchtung. „Dann hätten wir unser Waterloo“, hieß es.
Vertreterwahl 2028 mit langem Vorlauf
Wie geht es in der Südwest-KV jetzt weiter? „Da die Wahlvorbereitungen einen langen Vorlauf haben, werden wir im Frühjahr 2026 eine Entscheidung der VV benötigen, in welcher Form die nächsten Wahlen zur Vertreterversammlung 2028 ablaufen können“, sagt KVBW-Sprecher Kai Sonntag auf Anfrage.
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Das könne eine reine Briefwahl wie bisher sein, eine Onlinewahl oder auch eine Hybridlösung. „Entscheidend ist für uns, dass das Sozialministerium der Möglichkeit einer Onlinewahl oder auch einer Hybridwahl zugestimmt hat“, stellt Sonntag klar.
Bei all dem gehe es weniger um eine juristische als vielmehr um eine organisatorische Herausforderung, so der Sprecher. Denn bereits 2026 müssten die Leistungen für die Durchführung der Wahl ausgeschrieben werden.
Doch Erfahrungen in den drei KV-Wahlbezirken, die bei den letzten Vertreterwahlen im Jahr 2022 bereits die smarte Online-Option erprobt haben, legen das Fazit nahe: „Online“ ist kein Booster, um die Wahllust zu befördern.
KV Nordrhein: Die Mitglieder der KVNo konnten bei den Wahlen zur Vertreterversammlung im Sommer 2022 entscheiden, ob sie wie bis dato per Briefwahl oder online abstimmen wollten. „Mit Blick auf die zunehmende Digitalisierung des Alltags und vieler Verwaltungsprozesse wollten wir auch unseren Mitgliedern die Option einer ‚unkomplizierten‘ Stimmabgabe via Online-Wahl ermöglichen“, begründet die KVNo auf Anfrage der Ärzte Zeitung die Entscheidung.
Dabei habe man sich an dem geplanten Modellprojekt zur digitalen Sozialwahl der Krankenkassen sowie den bereits vollzogenen digitalen Wahlprozessen bei einigen Rechtsanwalts-, Industrie- und Handelskammern sowie Universitäten orientiert. Bei der digitalen Vorbereitung und Durchführung der Wahlen hat die KV mit einem externen spezialisierten Dienstleister kooperiert, der den technischen Support bereitgestellt hat.
Keine Probleme mit elektronischer Stimmabgabe
Bei der Stimmabgabe sei aber besonderes Augenmerk darauf gelegt worden, dass Mitglieder nur einmal wählen konnten – entweder digital oder per Brief. Der Eingang digitaler Stimmabgaben wurde im Wählerverzeichnis automatisiert gekennzeichnet, so dass eine weitere Abstimmung per Brief nicht mehr möglich war, beziehungsweise nicht mehr zählte. Die KVNo berichtet, dass es keinen einzigen Fall gab, in dem die elektronische Stimmabgabe aus technischen Gründen nicht erfolgen konnte.
An den Wahlen zur KVNo-Vertreterversammlung haben sich 2022 rund 9.950 Mitglieder beteiligt, davon 3.170 online. Das entspricht einem Anteil von 31,9 Prozent. Die Wahlbeteiligung indessen ist von 53 Prozent (2016) auf 45 Prozent gesunken. „Ob sie ohne die zusätzliche Möglichkeit der Online-Stimmabgabe niedriger ausgefallen wäre, konnten wir nicht feststellen“, so die KVNo.
Die KV will an der hybriden Vorgehensweise festhalten und auch bei den nächsten VV-Wahlen die Briefwahl und die digitale Stimmabgabe anbieten.
KV Hamburg: Die Online-Wahl ist 2022 unter anderem mit dem Ziel erstmals etabliert worden, die Wahlbeteiligung zu erhöhen, teilt ein Sprecher auf Anfrage mit. Diese belief sich 2016 unter Ärztinnen und Ärzten auf 54,4 Prozent, bei den Psychotherapeuten waren es 61,2 Prozent. Versprochen habe man sich von der neuen Option auch eine vereinfachte Organisation und Durchführung der Wahl.
Wahlbeteiligung um sieben Punkte gesunken
Die Wahlberechtigten konnten auf eine breite Palette an Möglichkeiten zugreifen: Brief, PC, Tablet und Handy. Mit der technischen Umsetzung sei ein zertifizierter externer Anbieter beauftragt worden, heißt es.
Die Hoffnung, mehr Mitglieder für die Wahl zu motivieren, erfüllte sich nicht: 40 Prozent der ärztlichen Mitglieder gaben ihre Stimme per Brief ab, 7,15 Prozent taten dies online – in absoluten Zahlen nutzen in Hamburg 295 Ärztinnen und Ärzte diese Option. Unterm Strich steht ein Rückgang der Wahlbeteiligung um rund sieben Prozentpunkte.
KV Brandenburg: Von der Option für eine Hybrid-Wahl im Jahr 2022 erhoffte sich die KV Brandenburg nach eigenen Angaben „vor allem Ressourcenschonung bei der Auszählung sowie eine niedrigere Zugangshürde und damit idealerweise eine höhere Beteiligung“.
Da intern die personellen Kapazitäten fehlten, habe man die Umsetzung an ein spezialisiertes Unternehmen vergeben, das auch für das Online-Wahl-Portal verantwortlich zeichnete. Der Dienstleister verfüge über Erfahrungen bei der Umsetzung von Wahlen etwa bei Industrie- und Handelskammern oder anderen Kammern, heißt es.
Die Zugangsdaten für das Online-System wurden mit den Briefwahlunterlagen individuell versandt, berichtet ein Sprecher der KV. Zur Öffnung der digitalen Wahlurne seien zwei getrennte Schlüsseldateien erforderlich gewesen, die nur dem Wahlausschuss vorlagen. „Uns liegen keine Störungsmeldungen vor“, berichtet die KV vom Wahlablauf.
15 Prozent der KV-Mitglieder wählten online
Wie andernorts hat auch in Brandenburg nur eine Minderheit von der digitalen Stimmabgabe Gebrauch gemacht. Rund 15 Prozent aller wahlberechtigten Ärzte gaben online ihre Stimme ab, bei den Psychotherapeuten waren es 19 Prozent. Insgesamt betrug die Wahlbeteiligung bei den ärztlichen Mitgliedern 41,2 Prozent, bei den Psychotherapeuten lag die Wahlbeteiligung mit 48,4 Prozent höher.
Doch bei den Vertreterwahlen im Jahr 2016 stand unterm Strich eine Beteiligung von insgesamt von 53 Prozent – auch in diesem Fall hat die Online-Option den Trend zur Wahlmüdigkeit somit nicht aufhalten können. „Wir werten das als allgemeinen Trend, nicht als Folge der Online-Option“, so der Sprecher der KV Brandenburg. Die Körperschaft plane, auch 2028 wieder eine Hybrid-Wahl anzubieten, heißt es. (Mitarbeit: Ilse Schlingensiepen)
Online-Wahl brachte keine Trendwende bei Sozialwahlen
Bei den jüngsten Sozialwahlen im Jahr 2023 erhielten im Rahmen eines Modellvorhabens die Versicherten der Ersatzkassen erstmals die Option, online abzustimmen. Von den bundesweit etwa 22 Millionen Stimmberechtigten machten 344.000 von dieser Option Gebrauch. Dagegen gaben 4,6 Millionen Versicherte ihre Stimme per Briefwahl ab. Das entspricht einem Anteil der Online-Wähler von rund sieben Prozent.
Entscheidend ist: Die Zahl aller Teilnehmer an der Sozialwahl ist erneut gesunken, und zwar von 6,49 Millionen (2017) auf 4,95 Millionen (2023). Im Abschlussbericht des Modellprojekts kommt die beauftragte Beratungsgesellschaft KPMG zum Fazit: „Das im Vorfeld formulierte Ziel der Steigerung der Wahlbeteiligung konnte durch das zusätzliche Online-Wahlverfahren nicht erreicht werden.“ (fst)






