Neugeborenen-Screening

Wird bald das gesamte Erbgut analysiert?

Das Neugeborenen-Screening ist ein Erfolg. Weil sich die Gentechnik rasant entwickelt, wird inzwischen auch die komplette Erbgutsequenzierung bei Neugeborenen als Option diskutiert. In den USA herrscht große Euphorie. Dabei sind die Folgen noch längst nicht absehbar.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:
Neugeborenes: Das Screening auf Stoffwechselkrankheiten ist gut etabliert.

Neugeborenes: Das Screening auf Stoffwechselkrankheiten ist gut etabliert.

© Michael Hampel / fotolia.com

Dem Neugeborenen-Screening in Deutschland stimmt die große Mehrheit der Eltern zu. Das verdeutlicht der Nationale Screeningreport 2011: Fast alle in dem Jahr geborenen Kinder haben daran teilgenommen. Das Screening war Mitte der 1960er-Jahre mit dem Guthrie-Test auf Phenylketonurie begonnen worden und hat seitdem viele Menschenleben gerettet.

Seit Mitte 2005 gibt es für alle Neugeborenen deutschlandweit die Möglichkeit einer Blutuntersuchung auf zwölf angeborene Stoffwechsel- und Hormonstörungen. Der Gesetzgeber hat festgelegt, dass das Neugeborenen-Screening unter das "Gesetz über genetische Untersuchungen bei Menschen" (Gendiagnostikgesetz) fällt.

Untersucht wird etwa auf die Stoffwechselkrankheiten Hypothyreose, Phenylketonurie und Ahornsirupkrankheit. Dazu wird im Labor als Standard die kostengünstige Tandemmassenspektrometrie verwendet.

Diskutiert wird seit einiger Zeit die Aufnahme von Mukoviszidose in das Programm, wie dies etwa in Österreich bereits der Fall ist, wobei im Gegensatz zu den Tests auf die anderen Krankheiten bei einem auffälligen biochemischen Parameter eine genetische Untersuchung zur Absicherung angeschlossen wird.

Im vergangenen Jahr forderten schließlich Immunologen aus aller Welt während einer Tagung der Jeffrey Modell Foundation in der "Berlin Declaration" auch die Aufnahme der schweren angeborenen Immundefizienz (SCID) in das Neugeborenen-Screening.

Doch wenn es nach den Vorstellungen etwa der CDC (Centers for Disease Control and Prevention) in den USA geht, soll das künftig noch nicht alles gewesen sein: Denn durch die Sequenzierung des gesamten Erbguts lassen sich viel mehr genetische Veränderungen entdecken, die früher oder später ohne Prävention symptomatisch werden könnten.

Mit der Analyse kurz nach der Geburt könnten frühzeitig entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Die Kosten für die Sequenzierung sinken und haben die 1000-US-Dollar-Marke schon bald erreicht.

Großes Interesse bei Eltern in den USA

In einer Umfrage in den USA haben knapp 1600 Eltern im vergangenen Jahr Interesse bekundet (Gen Med 2014; 16: 78). Fast 75 Prozent von ihnen würden sich demnach für eine staatlich organisierte Erbgutsequenzierung innerhalb eines Screenings - ähnlich dem Neugeborenen-Screening - bei ihrem Kind entscheiden, etwa 70 Prozent ein entsprechendes Angebot durch einen Pädiater annehmen.

Ausschlaggebend für dieses Interesse seien die Genauigkeit des Tests auf Erbkrankheiten und die Möglichkeit, die Krankheitsentwicklung frühzeitig zu verhindern, so Wissenschaftler um den Bioethiker Dr. Aaron Goldenberg von der Case Western Reserve University in Cleveland im US-Staat Ohio.

Und die USA investieren bereits viel, um Nutzen und Risiken eines solchen genetischen Screenings zu eruieren. Im Herbst 2013 haben die NIH (National Institutes of Health) über mehrere Programme informiert, die sie mit 25 Millionen US-Dollar über fünf Jahre unterstützen.

Es geht dabei sowohl um die Sequenzierung des gesamten Genoms, für die manche Forscher einen Zeitaufwand von nur noch 25 Stunden veranschlagen, als auch um die Sequenzierung nur jener Bereiche, die den Bauplan für Proteine enthalten.

Auch US-Pädiater (www.p3g.org), das internationale Humangenomprojekt (www.hugo-international.org) und die Europäische Gesellschaft für Humangenetik (ESHG, www.eshg.org) nehmen diese Screeningvarianten in diesem Jahr verstärkt in den Fokus.

Solange es aber keine stichhaltigen Daten für den Nutzen dieser Komplettsequenzierung im Zusammenhang mit dem Neugeborenen-Screening gibt, spricht sich unter anderen auch die ESHG gegen eine breite Anwendung aus.

Welche Informationen sollten Eltern bekommen?

Denn noch ist vieles im Zusammenhang mit der Genomsequenzierung Neugeborener nicht geklärt. Das fängt schon damit an, welche der massenhaft gewonnenen genetischen Informationen an die Eltern überhaupt weitergegeben werden sollten, wie die kanadische Humangenetikerin Professor Bartha M. Knoppers von der McGill-Universität in Montreal und ihre Kollegen betonen (Science Transl Med 2014; 6 (229): 229cm2).

Nur jene im Zusammenhang mit möglichen Erkrankungen, für die es Therapieoptionen gibt, oder auch solche ohne Behandlungsmöglichkeiten? Ist es sinnvoll, die gewonnenen Genomdaten lebenslang aufzuheben, oder sollte nicht besser bei Bedarf später im Leben erneut eine Komplettsequenzierung vorgenommen werden, wenn auch die Technik verbessert sein wird?

Welche Auswirkungen hätte die Einbindung der Komplettsequenzierung in das Neugeborenen-Screening auf das Gesundheitssystem? Weil manche Eltern den Nutzen einer solchen Sequenzierung nicht erkennen können, wäre es möglich, dass viele von ihnen auf eine Teilnahme am Neugeborenen-Screening ganz verzichten. Was nicht im Sinne des Erfinders wäre.

Auch in Deutschland verfolgt man aufmerksam die Entwicklungen und die damit verbundene Euphorie in den USA. Doch es "bleibt abzuwarten, ob sich in den USA die Genomsequenzierung aller Neugeborenen bis zum Jahre 2020 durchsetzen wird, wie vonseiten der Industrie vorhergesagt", heißt es dazu in der "Ad-hoc-Stellungnahme der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften".

Wenn sich die Sequenzierung des gesamten Erbguts Neugeborener durchsetzen sollte, würde sich das Neugeborenen-Screening völlig verändern. Damit muss sich auch in Deutschland die Gesellschaft künftig stärker als bisher auseinandersetzen.

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