Nachruf

Wolfgang Böhmer - Vom Frauenarzt zum Landesvater

Professor Wolfgang Böhmer war Arzt mit Leidenschaft. Nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung machte er aber auch in der Politik eine große Karriere. Jetzt ist er im Alter von 89 Jahren gestorben.

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War neun Jahre lang Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt: Der Gynäkologe Professor Wolfgang Böhmer.

War neun Jahre lang Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt: Der Gynäkologe Professor Wolfgang Böhmer.

© [M] Jens Wolf / ZB / picture alliance

Magdeburg. Wolfgang Böhmer verkörperte den Landesvater wie kaum ein anderer Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt. Der einstige Chefarzt regierte mit ruhiger Hand - Selbstdarstellung oder auch bundespolitisches Engagement waren nicht seine Stärken. Unpopuläre Entscheidungen setzte der selbstbewusste Mediziner angesichts leerer Landeskassen allerdings viele durch. Jetzt ist der CDU-Politiker, der von 2002 bis 2011 in Magdeburg regierte, im Alter von 89 Jahren gestorben.

Noch kurz vor seiner Wahl galt es eigentlich als undenkbar, dass Böhmer den Einzug in die Staatskanzlei schaffen würde. Zwar war er seit 1990 Landtagsabgeordneter und von 1991 bis 1994 erst Finanz- und dann Sozialminister in einer CDU/FDP-Regierung. Doch den letzten großen Sprung zur Ablösung der von der PDS tolerierten SPD-Minderheitsregierung unter Reinhard Höppner hatte ihm eigentlich niemand zugetraut.

Die schlechten Aussichten hätten ihn damals angestachelt, erinnerte sich Böhmer in dem zu seinem 80. Geburtstag erschienenen Buch „Auf ein Wort, Herr Böhmer“. „Nachdem ich mich hatte überreden lassen, es zu machen, wollte ich es auch wissen. Wenn man nicht ein Mindestmaß an Ehrgeiz hat, sollte man besser zu Hause bleiben“, sagte Böhmer. Zu seinen Hauptaufgaben zählte er im Rückblick die Senkung der damals bei 20 Prozent liegenden Arbeitslosenquote.

„Sachsen-Anhalt hatte 96 Monate ohne eine einzige Unterbrechung die höchste Arbeitslosigkeit in Deutschland gehabt“, erinnerte sich Böhmer. „Und ganz erfolglos waren wir auch nicht. Irgendwann waren wir nicht mehr Schlusslicht, sondern zumindest auf den zweitletzten Platz vorgerückt.“

Böhmer: „Stammtischpolitik war nie mein Stil“

Eine tiefe Verwurzelung in seiner Partei hatte Böhmer nicht, auch mit der CDU-Landtagsfraktion lag er häufig im Streit. „Das ist eine Typ-Frage. Stammtischpolitik war nie mein Stil“, meinte Böhmer. Auch nach seiner Amtszeit war er für die Regierenden nicht immer bequem - wenngleich er sich in aktuellen Streitfragen meist zurückhielt.

Die Politik hatte er mit seinem Ausscheiden aus dem Amt des Ministerpräsidenten weitgehend hinter sich gelassen, auch wenn er noch der Kommission zum Umgang mit den Stasi-Akten vorstand. „Man kann sich auch ans Nichtstun gewöhnen“, sagte Böhmer ein Jahr nach seinem Ausscheiden der Deutschen Presse-Agentur. „Ich schlamper ein bisschen vor mich hin.“

Im Juni 2017 kehrte der sichtlich bewegte Böhmer noch einmal in den Landtag zurück - es wurde der 25. Geburtstag der Landesverfassung gefeiert. „Wer einmal in einer Diktatur gelebt hat, wird sich immer mehr Demokratie wünschen“, sagte er. Wer Unfreiheit erlebt habe, werde die Freiheit schützen, auch wenn sie auch Unsicherheit bedeute. Wer in die Freiheit geboren wurde, werde weiter Grenzen übertreten wollen. „Freiheit ohne innere Konflikte wird es auch in Zukunft nicht geben.“

In den vergangenen Jahren hatte sich Wolfgang Böhmer weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Zu seinem 85. Geburtstag im Jahr 2021 sagte er: „Es geht mir gesundheitlich nicht besonders gut.“ Das sei altersbedingt. Zu einem seiner wenigen öffentlichen Termine gehörte 2019 eine Vorlesung zur Landesgeschichte an der Universität Magdeburg. Auf eine Frage, ob er bedauere, nicht mehr um Rat gefragt zu werden, sagte Böhmer damals verschmitzt: „Ich habe mich auch daran gewöhnt, dass die, die jetzt im Geschäft sind, alle klüger sind als ich.“

Karriere in der Gynäkologie

Der langjährige Frauenarzt, der Tausende Babys auf die Welt geholt hatte, war nach der Wende in die Politik gegangen. Als Gynäkologie-Chefarzt in Wittenberg hatte er da schon eine andere Karriere hinter sich. Die Chefarzt-Attitüde konnte der Professor aber auch als Politiker nie ganz ablegen, wie nach Kabinettssitzungen angemerkt wurde, in denen Böhmer im Umgang mit Ministern gerne einmal belehrend auftrat. Immer wieder fühlte sich Böhmer auch missverstanden oder falsch wiedergegeben.

Zur Landtagswahl 2011 trat Böhmer nicht wieder an - und gab den Stab an seinen Nachfolger Reiner Haseloff (CDU) weiter. Böhmer war verwitwet und heiratete 2004 ein zweites Mal, gab seiner langjährigen Lebensgefährtin Brigitte Klein das Jawort. Kennengelernt hatten sich Böhmer und die Krankenschwester in dem Krankenhaus, in dem Böhmer vor seiner politischen Karriere Chefarzt war. (dpa)

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