Mischpreis-Urteil

Zurück in die Lebenswirklichkeit — und zur Versorgungssicherheit

Mit dem BSG-Urteil zum Mischpreis sind die bedrohlichen Alternativen vom Tisch: Durch die Flexibilität der Schiedsstelle bei der Bildung des Erstattungsbetrages können Verordnungsausschlüsse vermieden werden — und ein Opt-out des Herstellers.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Bei Mischpreisen hat das BSG jetzt für Klarheit gesorgt.

Bei Mischpreisen hat das BSG jetzt für Klarheit gesorgt.

© Brian Jackson / stock.adobe.com

Nach zwölf Monaten der Ungewissheit und des bangen Wartens hat das Bundessozialgericht mit einem letztinstanzlichen Urteil für Ärzte und Patienten, aber auch für Arzneimittelhersteller die erhoffte Klarheit geschaffen.

Es hat zwei aufsehenerregende Entscheidungen des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom Juni 2017 zum Mischpreischarakter von nutzenbewerteten Arzneimitteln und zur Entscheidungsfindung revidiert und damit Recht gesprochen zugunsten einer patientenfreundlichen Versorgungssicherheit.

Für Ärzte ist damit die Kuh noch nicht ganz vom Eis – aber die bedrohlich erscheinenden Alternativen zum Mischpreis wie etwa nutzenorientierte differenzierte Erstattungsbeträge mit einem immensen bürokratischen Dokumentations- und Rechtfertigungsaufwand sind damit vom Tisch.

Wie kam es zu dieser Gemengelage? Relativ häufig, in mehr als der Hälfte aller Nutzenbewertungsverfahren, unterscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) Teilpopulationen mit und ohne Zusatznutzen. Dabei wird auch der Umfang der jeweiligen Teilpopulation geschätzt – und diese Schätzung ist mitunter sehr unsicher. So gibt der GBA in 55 Prozent der Nutzenbewertungen Prävalenzen nur als Spanne an. In manchen Fällen ist er sich ganz unsicher und wendet eine Fifty-Fifty-Regel an.

Daraus folgt, dass das tatsächliche Verordnungsverhalten der Ärzte näherungsweise den Prävalenzschätzungen des GBA entsprechen kann – aber auch erheblich davon abweicht. Für manche Arzneimittel verordnen Ärzte nachweislich, wie aus Daten der DAK Gesundheit hervorgeht, weitaus mehr Patienten solche mit Zusatznutzen in der Teilpopulation, für andere Arzneimittel sind die Verordnungsanteile für die Teilpopulation ohne Zusatznutzen weitaus höher als angenommen.

Algorithmus zur Berechnung gibt es nicht

Derartige Unsicherheit stellen die Verhandlungspartner GKV und Hersteller und bei deren Nichteinigung die Schiedsstelle vor erhebliche Herausforderungen. Der Schiedsstelle sind Kriterien vorgegeben, natürlich an erster Stelle das Nutzenbewertungsergebnis mit dem jeweiligen Ausmaß des Zusatznutzens und der Evidenzgüte, dann aber auch der Preis der Vergleichstherapie und der Ausgangspreis des Herstellers für das neue Arzneimittel, schließlich kaufkraftparitätenbereinigte gewichtete Preise europäischer Länder.

Aber: Eine Formel, einen Algorithmus für die Berechnung eines Erstattungsbetrages gibt es nicht – ein Kompromiss wird ausgehandelt, der die ökonomische Belastungsfähigkeit der Krankenkassen, aber auch das Versorgungsinteresse in einen Ausgleich bringen muss.

Das ist dann besonders schwierig, wenn der Preis der Innovation im Vergleich zum Preis einer generischen Vergleichstherapie extrem hoch ausfällt und wenn der Anteil der Teilpopulation mit Zusatznutzen relativ klein ist.

Dies war im Streitfall Albiglutid die Ausgangslage. Um zu verhindern, dass der Hersteller aufgrund eines sehr nahe am Preis der Vergleichstherapie liegenden Erstattungsbetrages aussteigt (Opt out), hat die Schiedsstelle, wie deren Vorsitzender Professor Jürgen Wasem erläutert, ein "innovatives Modell" entwickelt.

Erstattungsbetrag höher angesetzt als erwartet

Dabei hat sich der Hersteller verpflichtet, das Arzneimittel nur in der Zusatznutzenindikation zu bewerben. Dem GKV-Spitzenverband wurde ein Monitorrecht eingeräumt und den Ärzten wurden Hinweise zum wirtschaftlichen Einsatz gegeben.

Das machte es möglich, die epidemiologische Prävalenzschätzung des GBA zu korrigieren, weil erwartet wurde, dass Ärzte ihre Verordnungen auf die Patientengruppen mit Zusatznutzen konzentrieren würden. Aufgrund dieser Neugewichtung wurde der Erstattungsbetrag höher angesetzt als zu erwarten gewesen wäre.

Das hat der GKV-Spitzenverband beklagt und in einem Urteil des LSG in Potsdam erstinstanzlich mehr als nur Recht bekommen. Denn die Richter fügten ihrem Urteil ein "obiter dictum" ("nebenbei gesagt") an, das der Schiedsstelle, Herstellern und auch Ärzten Kopfschmerzen bereitete: Die Zulässigkeit des Mischpreises wurde angezweifelt und empfohlen, auf Verordnungsausschlüsse auszuweichen, ferner wurde der Schiedsstelle aufgegeben, bei der Ermittlung des Erstattungsbetrages einen Algorithmus anzuwenden und ihre Entscheidung objektiv und nachprüfbar – analog zu einem Verwaltungsakt – zu begründen.

Lebenswirklichkeit zurückgeholt

Beides hat nun das BSG verworfen und damit die Lebenswirklichkeit, zuletzt aber auch die Versorgungssicherheit zurückgeholt. Die Kasseler Richter betonen, dass die Schiedsstelle ein sachkundig besetztes Gremium ist, das originäre Wertentscheidungen zu treffen hat, die nur begrenzt objektivierbar sind.

Darum dürfe die Begründungstiefe nicht überdehnt werden. Damit hat das BSG für die Schiedsstelle wieder jene Flexibilität bei der Bildung des Erstattungsbetrages hergestellt, mit dem Verordnungsausschlüsse oder gar ein Opt out des Herstellers vermieden werden können.

Allerdings sieht Jürgen Wasem nun zwei Hausaufgaben, bei denen Hilfestellung des Gesetzgebers nötig sein kann. Es bedürfe eines Monitorings der Verordnungen, um aktuelle Daten zu gewinnen, auf deren Basis Erstattungsbeträge korrigiert werden können.

Die KBV hält dafür die Nutzung ihres Zi-Praxispanels für möglich. Das Zweite ist ein dringendes Anliegen der Ärzte: Es muss klargestellt werden, dass eine Verordnung in einer Patientengruppe ohne Zusatznutzen dann wirtschaftlich ist, wenn sie im Einzelfall zweckmäßig ist. Dass dies "pauschal als unwirtschaftlich qualifiziert wird, ist ein Unding und gehört rasch abgeschafft", so Wasem.

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