Digitalisierung

Chancen und Risiken unter der Lupe

Ist die Digitalisierung ein Allheilmittel gegen den Ärztemangel, die fehlende Adhärenz vieler Patienten und andere Probleme im Versorgungsalltag? Noch nicht, befinden Experten, sehen aber viel Potenzial für die Zukunft.

Von Christina Bauer Veröffentlicht:

MÜNCHEN. Video-Sprechstunde, Online-Rezepte und das Smartphone als Therapiebegleitung: Die Digitalisierung hält immer stärker Einzug in den ärztlichen Arbeitsalltag. Die Chancen dieser Entwicklung übertrumpfen deren Risiken. Dieses Resümee zogen kürzlich Experten bei einer Podiumsdiskussion an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München. Diskutiert wurden dort Chancen und Risiken der Digitalisierung. Besetzt war die Veranstaltung mit Vertretern aus Medizin, Informatik, Versicherungswesen und Wirtschaft.

Konsens der Gesprächspartner: Die Digitalisierung ist unumkehrbar, dabei aber sehr unterschiedlich in Fortschritt und Qualität. Gerade deswegen bestehe die Anforderung, sie interdisziplinär kompetent zu gestalten. "Deutschland sollte in der digitalen Medizingeschichte vorangehen", so Dr. Markus Müschenich von dem Start-up Flying Health. Große Datensätze zu Symptomen und Therapieerfolgen von hunderttausenden Patienten böten ein enormes Potenzial. Sie könnten dazu beitragen, Behandlungen zu verbessern. Für eine solche Nutzung müssten jedoch noch entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Effizienzschub im Versorgungsalltag

Ferner könne Digitalisierung die Medizin effizienter machen. Sie könne ermöglichen, Patienten per Telemedizin zu beraten und nur bei Bedarf eine Sprechstunde abzuhalten. Damit könne sie Teil der Lösung des vielerorts problematischen Ärztemangels sein. Wer sich heute gegen Digitalisierung stelle, der mache sich "mitschuldig an Mängeln in der medizinischen Versorgung", so Müschenichs These. Womöglich gar an vermeidbaren Todesfällen. Start-ups mit innovativen Ideen gebe es reichlich. Die Frage sei, wie sie ins Gesundheitssystem einbezogen werden sollen. In der Medizininformatik versucht das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) derzeit, mit einem 100 Millionen Euro schweren Förderprogramm die Entwicklung anzukurbeln.

Professor Ulrich Mansmann, Direktor des Instituts für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie der LMU, bestätigte den Bedarf an neuen Algorithmen und Programmen. Sie ermöglichen, aus großen Datensätzen sinnvolle Informationen zu filtrieren. Erst dann könne ein Arzt spezifische Informationen daraus erhalten, um die Behandlung eines einzelnen Patienten zu verbessern.

"Dieses Ziel ist in Deutschland noch sehr weit weg", so Mansmann. Zwar gebe es erste Ansätze an einzelnen Kliniken, aber noch keine vollständigen Konzepte. Überflüssig würden Ärzte indes allerdings sicher nicht.

Allgemein- und Reisemediziner Dr. Nikolaus Frühwein konstatierte dazu: "Digitalisierung nützt, sie hilft aber nicht." Patienten könnten heute schnell umfangreiche medizinische Informationen im Internet abrufen. Aber: Der Bedarf, dass ein Arzt solches Wissen einordnet und daraus Empfehlungen ableitet, bestehe weiter. Damit sei zudem das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient weiterhin zentral für die Behandlung.

"Leibarzt in der Tasche"

Große Chancen von Medizin-Apps sahen die Experten im Hinblick auf Therapieadhärenz. Die könne durch solche Anwendungen, wie etwa Therapietagebücher, sei es bei Krebs oder Diabetes, enorm verbessert werden. Müschenich sprach hier vom "Leibarzt in der Tasche". Im deutschen Gesundheitssystem ist die Digitalisierung noch am Anfang. Nach langem Vorlauf wird derzeit schrittweise das Vorhaben einer elektronischen Gesundheitskarte umgesetzt.

Das größte Risiko der Digitalisierung bestehe beim Datenschutz, darin war sich die Runde einig. Es sei zu regeln, wer zu welchen Daten Zugang habe, und wofür er sie verwenden dürfe. Insbesondere müsse das Recht der Patienten auf informationelle Selbstbestimmung geschützt werden. Das erfordere ein entsprechendes, technisches Sicherheitsniveau, unter anderem bei Apps und Anwendungen.

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