Medizinprodukte

EU-Novelle auf der Zielgeraden

Für die deutschen Medizintechnikunternehmen fällt die neue EU-Medizinprodukteverordnung wohl schlimmer aus als befürchtet. Stimmen EU-Rat und -Parlament der Beschlussvorlage zu, stellen sich die Unternehmen auf raue Zeiten ein.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Für bestimmte Implantate gelten bald strengere Auflagen.

Für bestimmte Implantate gelten bald strengere Auflagen.

© Jan-Peter Kaser FSU / dpa

BRÜSSEL/BERLIN. Die EU ist bei der Novellierung der europäischen Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation/MDR) in die Zielgerade eingebogen.

Nachdem nun die Beschlussvorlage für den "Standpunkt des Rates" zur neuen EU-MDR veröffentlicht wurde, befasst sich der Europäische Rat nach Auskunft des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed) am 7. März in Erster Lesung mit dem Dokument. Im April steht dann die Zweite Lesung vorm Europäischen Parlament an.

Im Falle einer Annahme – die Auguren gehen nicht vom Gegenteil aus – könnte im zweiten Quartal dieses Jahres die Bekanntmachung der MDR im EU-Amtsblatt erfolgen. 20 Tage nach der Bekanntmachung tritt sie in Kraft – geschätzt wird laut BVMed der Juni oder Juli 2017.

Dreijährige Übergangsfrist

Mit dem Inkrafttreten der neuen Verordnung löst die EU ein Versprechen an Patienten und Verbraucher ein, das sie im Zuge des Skandals um mangelhafte Brustimplantate mit minderwertigem Industriesilikon des inzwischen insolventen französischen Unternehmens Poly Implant Prothèse (PIP) gegeben hat: Medizinprodukte sollen höheren Anforderungen gerecht werden und sicherer werden. Mitauslöser für die MDR-Novelle war also der PIP-Skandal, auf den die EU-Kommission in ihrer Begründung für die Novelle explizit rekurriert.

Mit dem Inkrafttreten beginnt auch die in der Verordnung vorgesehene Übergangsfrist von drei Jahren, innerhalb welcher sich Hersteller wahlweise noch nach altem (AIMDD und MDD) oder neuem Recht (MDR) zertifizieren lassen können, wie der BVMed hinweist.

Bis Mitte 2020 bereits ausgestellte Alt-Zertifikate sollten maximal weitere fünf Jahre gültig bleiben. Unklar ist zurzeit laut BVMed, inwieweit mit dem Eintritt des Anwendungsdatums (Mitte 2020) in jedem Fall neues Recht anzuwenden sein wird. Das betreffe beispielsweise Anzeigepflichten und die Marktüberwachung.

Vor allem kleine Unternehmen hadern

Der Branchenverband BVMed geht mit der MDR-Novelle hart ins Gericht: "Der neue EU-Rechtsrahmen wird nicht, wie anfänglich von der Kommission in Aussicht gestellt, zur Vereinfachung des Inverkehrbringens von Medizinprodukten im EU-Binnenmarkt führen, sondern diesen Prozess eher verkomplizieren", heißt es in einer Stellungnahme.

Denn die MDR enthalte beispielsweise verglichen mit der bisherigen Richtlinie (MDD) über 100 Artikel mehr. Die Zahl der Anhänge steigt von zwölf auf nunmehr 16. Die MDR werde außerdem durch 32 neue durchführende und weitere elf delegierte Rechtsakte ergänzt, deren Erarbeitung noch bevorstehe.

Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) äußern ihre Sorge, dass sie wegen ihrer geringeren Nachfragemacht eine nachrangige Behandlung erfahren könnten, spiegelt der BVMed das Befinden der Medizintechnikunternehmen wider.

"Ausgehend von einem hohen Gesundheitsschutzniveau für Patienten und Anwender soll mit der vorliegenden Verordnung ein reibungslos funktionierender Binnenmarkt für Medizinprodukte unter Berücksichtigung der in diesem Sektor tätigen kleinen und mittleren Unternehmen sichergestellt werden", heißt es explizit in der MDR-Beschlussvorlage.

Wegen geringerer Personalkapazitäten und Finanzierungsmöglichkeiten dürfte der kleine Mittelstand auch durch die umfassenden neuen klinischen Anforderungen sowie die umfassenden Dokumentations- und Berichtspflichten besonders hart getroffen werden, mahnt hingegen der BVMed.

"Ein nationales Förderprogramm für diese KMU ist für das Überleben des Klein-Mittelstandes dringend notwendig", so der Appell an die politisch Verantwortlichen in Berlin.

Knackpunkt Benannte Stellen

Die neue MDR sieht, so die Analyse des BVMed, unter anderem folgende Änderungen vor:

- Einführung des "Scrutiny-Verfahrens" – ein zusätzliches Prüfverfahren über das Konformitätsbewertungsverfahren der Benannten Stellen hinaus – für Implantate der Klasse III und Produkte der Klasse IIb, die Arzneimittel zuführen oder ableiten.

- Neuregelung der Marktüberwachung mit kürzeren Meldefristen.

- Zusätzliche Berichte und Pläne für die Zeit nach der Markteinführung von Medizinprodukten.

- Wesentlich höhere Anforderungen bei der Erstellung von klinischen Daten; für Implantate und Klasse-III-Produkte werden klinische Prüfungen ein Muss.

- Zeitlich gestaffelte Einführung einer einmaligen Kennzeichnung (Unique Device Identification/UDI) .

- Höherklassifizierung bestimmter stofflicher und chirurgisch-invasiver Medizinprodukte.

- Erweiterung des Anwendungsbereichs um bestimmte Instrumente zur Schönheitschirurgie.

Zusätzlich werden alle europäischen Benannten Stellen, die für die Unternehmen die Medizinprodukte zertifizieren, mit Geltungsbeginn der MDR wegen der Änderung des Rechtsrahmens ihre Benennung verlieren und müssen deshalb neu benannt werden.

Anträge auf Neubenennung können frühestens sechs Monate nach Inkrafttreten der Verordnungen gestellt werden, so der BVMed. Völlig unklar sei, in welcher Reihenfolge nach der Neubenennung der Benannten Stellen die Medizintechnik-Unternehmen zertifiziert werden – und wie deren anstehender Bedarf an neuen Fachkräften befriedigt werden könne.

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