Transplantationsskandal

Ermittlungen kurz vor dem Ende

Im Transplantationsskandal zeichnet sich ein Ende der Ermittlungen ab. Für den ehemaligen Göttinger Cheftransplanteur geht es um nicht weniger als die Frage, ob ihm versuchter Totschlag zur Last gelegt werden kann.

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Eine Frage der Warteliste: Organ aus der Kiste.

Eine Frage der Warteliste: Organ aus der Kiste.

© Soeren Stache / dpa

GÖTTINGEN. Seit knapp eineinhalb Jahren ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig im Transplantationsskandal gegen einen früheren leitenden Mediziner des Göttinger Uniklinikums.

Jetzt bewegen sich die Strafverfolger auf die Zielgerade zu: Nach dem derzeitigen Stand sei voraussichtlich in einigen Wochen mit einer Abschlussentscheidung zu rechnen, sagte am Montag der Sprecher der Ermittlungsbehörde, Klaus Ziehe.

Die Staatsanwaltschaft steht unter Zeitdruck, weil der beschuldigte Transplantationschirurg seit nunmehr fast drei Monaten in Untersuchungshaft sitzt. Im Regelfall darf eine Untersuchungshaft nicht länger als sechs Monate dauern. "Haftsachen unterliegen immer einer besonderen Eilbedürftigkeit", sagte Ziehe.

Die Staatsanwaltschaft hatte den Haftbefehl beantragt, weil sie Hinweise darauf hatte, dass sich der Mediziner ins Ausland absetzen könnte. Der 45-jährige Mediziner soll über gute Kontakte im Nahen Osten und dem arabischen Raum verfügen.

Das Oberlandesgericht Braunschweig hatte kürzlich eine Haftbeschwerde des Chirurgen abgelehnt. Mit seiner Entscheidung bestätigte das OLG gleichzeitig die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft.

Diese stuft das mutmaßliche Vorgehen des Mediziners, durch Manipulationen eigenen Patienten bevorzugt zu einer Spenderleber zu verhelfen, als versuchten Totschlag ein.

Sollte es zu einer entsprechenden Anklage kommen, stünde ein bewegender Prozess bevor. Erstmals müsste sich ein Gericht mit der rechtlich kniffligen Frage auseinandersetzen, ob ein Arzt dadurch, dass er sich zugunsten seiner Patienten über die allgemein geltenden Regelungen für die Vergabe von Spenderorganen hinwegsetzt, zugleich den Tod anderer Patienten billigend in Kauf nimmt.

Ärger für den Doktorvater

"Eine solche Konstellation hat man nicht alle Tage", bestätigte Staatsanwalt Ziehe. Das OLG Braunschweig hat in seiner vorläufigen Bewertung des Falles eine solche Kausalität bejaht: Der Senat hält es für "dringend wahrscheinlich", dass der Mediziner sich dieser potenziell tödlichen Folgen für andere Patienten, die dringend auf ein Spenderorgan angewiesen waren, bewusst war und daher mit Tötungsvorsatz gehandelt hat.

Die OLG-Richter sehen in insgesamt acht Fällen den dringenden Tatverdacht des versuchten Totschlages. Danach soll der Chirurg als Leiter der Göttinger Transplantationschirurgie in den Jahren 2009 bis 2011 fälschlicherweise Patienten als dialysepflichtig gemeldet haben, um sie so auf eine vordere Stelle auf der Eurotransplant-Warteliste für Spenderorgane zu bringen.

In mehreren Fällen sollen außerdem Patienten auf diese Weise eine neue Leber bekommen haben, obwohl sie noch nicht die vorgeschriebenen sechs Monate "trocken" waren.

Neben Braunschweig ermittelt auch die Staatsanwaltschaft Regensburg gegen den Chirurgen. Er war von 2003 bis 2008 Oberarzt an der dortigen Uniklinik.

Der Chirurg soll bereits dort die Daten zahlreicher Patienten manipuliert haben, um ihnen bevorzugt zu einer Spenderleber zu verhelfen. Bislang sind die Ermittler auf 43 Verdachtsfälle gestoßen.

"Auch hier steht der Verdacht des versuchten Totschlages im Raum", sagte der Sprecher der Regensburger Strafverfolgungsbehörde, Wolfhard Meindl.

Auch für den Direktor der Chirurgischen Klinik in Regensburg hat die Affäre Folgen. Der damalige Chef und Mentor des in Untersuchungshaft sitzenden Chirurgen war nach Bekanntwerden der Manipulationen im August 2012 zunächst für mehrere Monate beurlaubt worden.

Der Klinikdirektor war außerdem der Doktorvater des Transplantationsspezialisten sowie von dessen Ehefrau. Der in Göttingen praktizierenden Zahnmedizinerin wurde inzwischen der Doktortitel entzogen, weil sie große Teile ihrer Doktorarbeit aus der Dissertation ihres Ehemannes übernommen haben soll.

Die Universitätsleitung wirft dem Klinikchef vor, bei der Begutachtung der Dissertation seine Sorgfaltspflicht verletzt zu haben. Dieser "Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten" sei "nach Maßgabe des Arbeitsrechts geahndet" worden, teilte ein Sprecher der Uni Regensburg mit. (pid)

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