Genesenennachweis

Gericht: Verkürzter Genesenenstatus verfassungswidrig

Eine noch nicht rechtskräftige Einzelfallentscheidung rückt den verkürzten Genesenenstatus wieder ins Rampenlicht. Laut Verwaltungsgericht Osnabrück ist die RKI-seitige Verkürzung verfassungswidrig.

Martin WortmannVon Martin Wortmann Veröffentlicht:
Hatte sich das RKI zu viel Macht rausgenommen, als es einseitig die Gültigkeitsdauer des Genesenenstatus auf 90 Tage verkürzte?

Hatte sich das RKI zu viel Macht rausgenommen, als es einseitig die Gültigkeitsdauer des Genesenenstatus auf 90 Tage verkürzte?

© Torsten Sukrow / SULUPRESS.DE / picture alliance

Osnabrück. Die Verkürzung des Genesenenstatus nach einer Corona-Infektion von sechs Monaten auf 90 Tage ist nach Überzeugung des Verwaltungsgerichts (VG) Osnabrück verfassungswidrig. Es verpflichtete mit Beschluss vom Freitag den Landkreis Osnabrück, einem Kreisbewohner einen Genesenennachweis für sechs Monate auszustellen. Der Landkreis kann dies noch beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg anfechten.

Bislang galt der Genesenenstatus ab 28 Tage bis sechs Monate nach einem positiven Corona-PCR-Test. Dabei verweist die entsprechende Verordnung der Bundesregierung auf die jeweiligen Vorgaben des Robert Koch-Instituts (RKI). Am 14. Januar 2022 hatte das RKI auf seiner Internetseite das Ende auf 90 Tage verkürzt.

Laut Verordnung war dies dann ab dem 15. Januar 2022 allgemein verbindlich. Dadurch verloren unzählige Genesene von heute auf morgen ihren Status. Nach Überzeugung des Verwaltungsgerichts Osnabrück ist dies unwirksam, so dass wieder die vorausgehende Regelung gelte.

Rechtlich bezieht sich die Wirkung des Beschlusses nur auf den konkreten Antragsteller. Die Kompetenz, eine Bundesverordnung generell für unwirksam zu erklären, hat das Verwaltungsgericht und auch das Oberverwaltungsgericht Lüneburg nicht.

Einschnitte mit hoher Grundrechtsrelevanz

Zur Begründung verwies das Verwaltungsgericht auf die hohe Bedeutung des Genesenenstatus für die Freiheit der betroffenen Bürgerinnen und Bürger. Die mit dem Wegfall des Genesenenstatus verbundene Beschränkung der Teilnahme am sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben habe für Betroffene „eine hohe Grundrechtsrelevanz“.

Mit dem Verweis in der Verordnung habe die Bundesregierung die Verantwortung für solche wichtigen Regelungen auf das RKI delegiert. Dafür gebe es keine Rechtsgrundlage. Auch sei „der Verweis auf eine sich ständig ändernde Internetseite des RKI intransparent und zudem unbestimmt“.

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Offen ließen die Osnabrücker Richter, ob derart weitreichende Entscheidungen zu Freiheitsbeschränkungen nicht sogar vom Parlament getroffen werden müssen.

Auch in der Sache äußerte das Verwaltungsgericht deutliche Kritik. Das RKI habe den verkürzten Schutz Genesener vor einer erneuten Infektion „nicht hinreichend wissenschaftlich aufgearbeitet“ und belegt. Demgegenüber beruhe es „auf nachvollziehbaren wissenschaftlichen Erwägungen“, dass der Genesenenstatus nicht sofort nach der Quarantäne, sondern erst nach 28 Tagen beginnt. Damit werde sichergestellt, dass mit dem Genesenennachweis auch ein ausreichender Immunschutz einhergehe.

Zumutung für Bürger hat Grenzen

Ähnlich hatte auch der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Verkürzung des Genesenenstatus geäußert. Was das Verwaltungsgericht Osnabrück als „Weiterdelegation auf das RKI“ kritisiert, bezeichnete der Wissenschaftliche Dienst in einer Ausarbeitung vom 28. Januar 2022 als „verdeckte Subdelegation“. Dies sei angesichts der „hohen Grundrechtsrelevanz“ verfassungsrechtlich zumindest bedenklich.

Auch könne von Bürgern kaum erwartet werden, dass sie täglich auf der Internetseite des RKI die aktuellen Regelungen überprüfen.

Verwaltungsgericht Osnabrück, Az.: 3 B 4/22

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