Bundesarbeitsgericht

Häusliche Pflege: Betreuer können 24 Stunden Mindestlohn beanspruchen

Das Bundesarbeitsgericht zählt eins und eins zusammen und bestätigt den Anspruch einer bulgarischen Pflegekraft, Mindestlohn für Arbeits- und Bereitschaftszeiten zu erhalten.

Martin WortmannVon Martin Wortmann Veröffentlicht:
Häusliche Pflege und Begleitung rund um die Uhr: Das kann teuer werden.

Häusliche Pflege und Begleitung rund um die Uhr: Das kann teuer werden.

© Robert Kneschke / stock.adobe.com

Erfurt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) spricht von einem „Paukenschlag“, nach Ansicht des Sozialverbandes VdK „droht das Armageddon der häuslichen Pflege“. Denn häusliche Betreuerinnen Pflegebedürftiger können Anspruch auf den Mindestlohn für 24 Stunden täglich haben, urteilte das Bundesarbeitsgericht am Donnerstag. Danach zählen Bereitschaftszeiten bei der Gehaltsbemessung mit, und der Mindestlohnanspruch gilt auch für ausländische Arbeitgeber.

Geschätzt mehrere 100 .000 Frauen, meist aus osteuropäischen EU-Staaten, betreuen Pflegebedürftige in deutschen Haushalten. Sie werden meist von Unternehmen im Herkunftsland angestellt und über deutsche Agenturen vermittelt.

Bulgarin klagte auf Mindestlohn

So war es auch im Fall der klagenden Bulgarin. Ihr Arbeitsvertrag als „Sozialassistentin“ lautete auf 30 Wochenstunden, gleichzeitig versprach die deutsche Vermittlungsfirma aber eine „24 Stunden Pflege zu Hause“. Dies umfasse die Körperpflege, den kompletten Haushalt – und auch um den Pflegebedürftigen Gesellschaft zu leisten, sei noch Zeit.

2015 versorgte die Sozialassistentin sieben Monate lang eine über 90-jährige Frau in Berlin. Nach ihren Angaben war dies ein 24-Stunden-Job. Nachts habe sie bei offener Tür geschlafen, um ständig bereit zu sein. Mit ihrer Klage verlangt sie daher den Mindestlohn für 24 Stunden täglich, insgesamt 42.636 Euro. Darauf anzurechnen seien die 6.680 Euro, die sie tatsächlich bekommen habe. In der Vorinstanz hatte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg die tägliche Arbeitszeit auf 21 Stunden geschätzt und der Frau 38.377,50 Euro zugesprochen, abzüglich des erhaltenen Lohns.

Vorinstanz habe tatsächliche Arbeitszeit nur geschätzt

Das Bundesarbeitsgericht kritisierte nun, das Landesarbeitsgericht habe das Vorbringen beider Seiten nicht ausreichend gewürdigt und die tägliche Arbeitszeit ohne ausreichende Grundlage geschätzt.

Es soll daher nun erneut prüfen, „in welchem Umfang die Klägerin Vollarbeit oder Bereitschaftsdienst leisten musste und wie viele Stunden Freizeit sie hatte“.

Wie dabei der Spagat zwischen angeblicher 24-Stunden-Arbeit und einem Arbeitsvertrag über 30 Wochenstunden zu bewältigen ist, ließen die Erfurter Richter bei der Urteilsverkündung noch offen. Aufschluss könnten eventuell später die schriftlichen Urteilsgründe geben. Dass die Bulgarin mehr als die vereinbarten 30 Wochenstunden arbeiten musste, sei dabei aber „nicht fernliegend“.

Das BAG bekräftigte, dass der gesetzliche Anspruch auf Mindestlohn auch hier die Bereitschaftszeiten mit umfasst. Weiter urteilte das BAG, dass der Mindestlohnanspruch auch für ausländische Arbeitgeber gilt. Dies sei mit EU-Recht vereinbar. Danach ist auch im konkreten Fall ein Anspruch auf Mindestlohn für 24 Stunden täglich denkbar.

Aus für häusliche Pflege?

„Ich fürchte, nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts droht der häuslichen Pflege das Armageddon“, sagte hierzu VdK-Präsidentin Bentele der Funke Mediengruppe. Durch die Pflegereform, die am Freitag im Bundestag verabschiedet werden soll, bekämen zu Hause Gepflegte noch weniger Geld als bislang. Eine Vollversorgung zu Hause werde für die meisten Menschen unbezahlbar.

Auch der DGB, dessen Rechtsschutz die Bulgarin vertritt, kritisierte bisherige Versäumnisse der Politik. Gesundheitsminister Jens Spahn müsse dies nun den Betroffenen erklären. „Dickfellige Arbeitgeber und Vermittlungsagenturen setzen sich mit dem Angebot der Rund-um-die-Uhr-Betreuung seit Jahren über geltendes Recht hinweg. Was für die Auftraggeber ein Sorglos-Paket ist und für Arbeitgeber und Vermittlungsagenturen eine Goldgrube, ist für die Beschäftigten pure Ausbeutung“, erklärte DGB-Bundesvorstand Anja Piel.

Bundesarbeitsgericht, Az.: 5 AZR 505/20

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