Kindergeld für Behinderte ist für Kommunen tabu

STUTTGART (eb). Zur Zeit prüfen viele Kommunen, die Grundsicherungsleistungen für behinderte Kinder erbringen, ob sie auf das für diese Kinder gezahlte Kindergeld zugreifen können oder sogar müssen. Das Finanzgericht Münster hat dafür jetzt erste Grundsätze aufgestellt.

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Darauf verweist der Kieler Steuerberater Jörg Passau, Vizepräsident der Deutschen Anwalts-, Notar- und Steuerberatervereinigung für Erb- und Familienrecht. Im Streitfall ging es um das Kindergeld, das eine Mutter für ihren volljährigen, schwerstbehinderten Sohn bezieht.

Dieser lebt im Haushalt seiner Eltern und ist an den Werktagen in einer Behindertenwerkstatt im Arbeitsbereich tätig. Hieraus erzielt er ein geringes Werkstatteinkommen. Seine Eltern erhalten Pflegegeld der Pflegestufe III. Die Stadt zahlt an das Kind Grundsicherungsleistungen bei Erwerbsminderung.

Daher war die Kommune der Meinung, dass das Kindergeld an sie - und nicht an die kindergeldberechtigte Mutter - auszuzahlen sei, und zwar unabhängig davon, ob und in welcher Höhe die Eltern Aufwendungen für das Kind getragen haben. Nachdem die Familienkasse den Abzweigungsantrag der Stadt abgelehnt hatte, klagte diese vor dem Finanzgericht Münster.

Die in dem Verfahren als Beigeladene beteiligte kindergeldberechtigte Mutter verwies auf die von ihr getragenen Aufwendungen (zum Beispiel für Arzneimittel, Kleidung, Urlaub) sowie die von ihr erbrachten Pflegeleistungen.

Sie war der Meinung, eine Auszahlung des Kindergeldes an die Stadt komme nicht in Betracht, da ihre eigenen Aufwendungen deutlich über dem an sie ausgezahlten Kindergeld liegen.

Das Gericht stellte klar, dass eine Abzweigung an die Kommune nicht in Betracht komme, wenn kindergeldberechtigte Eltern Aufwendungen für ihr Kind tragen, die mindestens so hoch sind wie das Kindergeld. Dabei seien - anders als die Stadt meine - nicht nur solche Aufwendungen zu berücksichtigen, die den behinderungsbedingten Mehrbedarf oder das (sozialhilferechtliche) Existenzminimum deckten.

Das Gericht machte deutlich, dass es bei im Haushalt der Eltern lebenden, behinderten Kindern darauf ankomme, den gesamten Lebensbedarf des Kindes zu ermitteln und diesen den eigenen Einkünften und Bezügen des Kindes gegenüber zu stellen.

Das Gericht stellte zudem klar, dass die Berücksichtigung fiktiver Kinderbetreuungskosten ausgeschlossen sei. Aufwendungen etwa für Ernährung, Körper- und Gesundheitspflege, Bekleidung, Hausrat, Freizeit oder Urlaub seien von den Eltern zu beziffern und auch glaubhaft zu machen. Dabei gelte grundsätzlich das Monatsprinzip; abweichend komme allerdings auch eine gleichmäßige Verteilung von Aufwendungen auf das Jahr oder gar auf mehrere Jahre in Betracht, wenn es um regelmäßig wiederkehrende Aufwendungen gehe.

In Bezug auf den Betreuungs- und Pflegeaufwand von kindergeldberechtigten Eltern spricht nach Auffassung des Gerichts grundsätzlich eine tatsächliche Vermutung dafür, dass das Pflegegeld insgesamt für die Sicherstellung der häuslichen Pflege verwendet wird.

Das Pflegegeld stehe demnach nicht für die Bestreitung des Grundbedarfs oder eines anderweitigen behinderungsbedingten Bedarfs des Kindes zur Verfügung. Allerdings müssten kindergeldberechtigte Eltern, die einen höheren - über dem Pflegegeld liegenden - Betreuungs- und Pflegeaufwand geltend machten, diesen konkret darlegen.

Az.: 12 K 1891/10 Kg

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