Whistleblowing

Kindeswohlgefährdung? Viele Jugendämter kommen Hinweisgebern nicht entgegen

Ohnehin ein heikles Thema: Kindesmissbrauch. Hinweise aus der Nachbarschaft sind vielfach unerlässlich. Von einfachen Melde- und Kommunikationswegen sind die Ämter laut einer neuen Studie überwiegend weit entfernt.

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Kind hält sich die Hände vor's Gesicht.

Transparency International Deutschland und SOS Kinderdörfer weltweit haben untersucht, wie gut deutsche Jugendämter Hinweise auf Kindeswohlgefährdung annehmen und verarbeiten. Das Ergebnis sei „erschreckend“, heißt es.

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Berlin. Einfache und übersichtliche Meldewege? Prompte Bearbeitung eingehender Hinweise auf mögliche Kindeswohlgefährdung? Im deutschen Behördendickicht Fehlanzeige. So das Resultat der Studie „Licht ins Dunkel bringen“, ein Gemeinschaftswerk der Organisationen SOS-Kinderdörfer und Transparency Deutschland. Danach ist „nur ein Drittel der deutschen Jugendämter in der Lage, alle eingehenden Meldungen auf mögliche Kindeswohlgefährdungen aufzunehmen und zügig zu bearbeiten“, wie es anlässlich der Studien-Vorstellung am Montagabend in einer Mitteilung heißt.

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Bei der deutschlandweiten Erhebung handele es sich um „die erste Studie überhaupt, die der Frage nachgeht, welche Bedeutung ‚Whistleblowing‘, also das Hinweisen auf verborgene Missstände, für den Kindesschutz hat“. Die Untersuchung basiert auf einer Auswertung bestehender Meldewege bei 140 zufallsgeneriert ausgewählten Jugendämtern, einer per Mail und Brief aufgesetzten Umfrage bei Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeitern (Rücklauf: 199 digitale, 39 analoge Fragebögen) sowie auf 21 qualitativen, einstündigen Interviews mit Verantwortlichen aus den Ämtern. Weitere Resultate:

  • Obwohl in den Jugendämtern Einigkeit herrscht, dass Hinweisgeber unverzichtbar seien, um Kindeswohlgefährdung aufzudecken, weise „nur gut die Hälfte der Behörden online auf Meldewege hin“.
  • Zwar nennen Mitarbeiter aus einem Drittel der befragten Ämter anonyme Meldungen als „häufige oder sehr häufige Hinweisquelle“. Trotzdem geben nur 20 Prozent der Behörden ausdrücklich und erkennbar diese Meldeoption an.
  • Nur ein Viertel der beobachteten Ämter bietet Informationen in einfacher Sprache zu möglichen Meldewegen. Rund 40 Prozent informieren in einfacher Sprache über meldefähige Sachverhalte und immerhin die Hälfte (56 Prozent) zu weiterführenden Hilfsangeboten.
  • Nur ein Drittel der befragten Behördenmitarbeiter nennt eine konkrete Ansprechperson, an die sich Hinweisgeber wenden können.
  • Ebenfalls Nachholbedarf konstatieren die Studienautoren hinsichtlich der Informationen, die die Ämter über Begriffe wie „Kindeswohlgefährdung“ oder „Kindesmissbrauch“ geben. „Nicht einmal die Hälfte aller Jugendämter (41,4 Prozent) erklären konkret, was damit gemeint ist und welches Verhalten gemeldet werden soll“, heißt es dazu.
  • In Bezug auf sexuellen Missbrauch informiere sogar nur jedes vierte Amt. Studienleiter Sebastian Oelrich: „Laien sind sich oft unsicher, ob ihre Beobachtungen überhaupt als problematisch einzuschätzen sind. Für sie sind solche Erklärungen dringend notwendig.“
  • Nach Einschätzung leitender Behördenmitarbeiter variiert die Qualität der Fallbeurteilung- und bearbeitung durch „insoweit erfahrene Fachkräfte“ innerhalb der Ämter stark.

Aus den genannten Befunden leiten Transparency und SOS Kinderdörfer gleich mehrere Forderungen ab, „um Kinder und Jugendliche besser zu schützen und bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdungen schnell und zielgerichtet eingreifen zu können“. Unter anderem müsse der Gesetzgeber bessere Regularien zu Melde- und Kommunikationswegen schaffen. Darüber hinaus seien „Mindeststandards“ für die Bearbeitung eingehender Meldungen zu etablieren, die Personalressourcen der Ämter aufzustocken sowie öffentlich adressierte Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagnen aufzusetzen. (cw)

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