Antrag im Bundesrat
Bayern und Baden-Württemberg warnen vor Versorgungsengpässen bei Medizinprodukten
Bayern und Baden-Württemberg wollen, dass der Bundesrat einen Alarmruf versendet: Hersteller nehmen Medizinprodukte vom Markt, weil die Zertifizierung sich als regulatorischer Bremsklotz erweist.
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Ein medizinisches Implantat, das zur Behandlung von Defekten der Herzscheidewand eingesetzt wird. Bayern und Baden-Württemberg möchten Verbesserungen bei der Umsetzung der Europäischen Medizinprodukteverordnung anstoßen.
© Jan-Peter Kasper / FSU / dpa
Berlin/Stuttgart/München. Bayern und Baden-Württemberg drängen auf eine pragmatische Umsetzung der EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR). Am Freitag wollen beide Länder mit einer Entschließung den Bundesrat auf ihre Seite ziehen.
Die Hürden, Medizinprodukte zu zertifizieren, seien hoch, sagte Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne). „Unverhältnismäßig hoch“ seien diese bei Bestandsprodukten. „Das gefährdet die Versorgung der Menschen“, so Lucha.
Als Folge zeigten sich bei einzelnen Produktklassen Versorgungsengpässe, da „Hersteller als Konsequenz auf gestiegene Kosten und Aufwand sichere und bewährte Medizinprodukte vom Markt nehmen“, heißt es im Entschließungsantrag. Zugleich gebe es Berichte aus der Ärzteschaft, weil Eingriffe nicht mehr in der gewohnten Qualität vorgenommen werden könnten. Weiterhin bestünden Haftungsrisiken, weil Medizinprodukte immer häufiger im Off-label-use eingesetzt würden. Das sei „nicht hinnehmbar“.
Bundesregierung soll sich „vehement“ einsetzen
„Ziel der Verordnung war mehr Patientensicherheit und nicht weniger“, sagt Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). Vergleichbare Probleme gebe es zudem bei der Umsetzung der In-Vitro-Diagnostika-Verordnung (IVDR). In diesem Segment sei zudem die Zahl der Benannten Stellen, in denen eine Zertifizierung erfolgt, noch geringer als bei Medizinprodukten.
Beide Länder sprechen sich für einen Appell des Bundesrats an die Bundesregierung auf, sich auf europäischer Ebene „vehement für deutliche Verbesserungen“ bei der MDR-Umsetzung stark zu machen.
Sehr rasch müsse es zu Erleichterungen insbesondere für versorgungsrelevante Nischenprodukte, sogenannte Orphan Devices, kommen. Wegen geringer Stück- und Absatzzahlen fielen hier hohe Zertifizierungskosten besonders ins Gewicht – mit der Folge, dass Produkte vom Hersteller vom Markt genommen werden. „Dadurch entstehen Versorgungsengpässe“, heißt es im Entschließungsantrag.
In einem Bericht des Bundesgesundheitsministeriums zur Versorgungslage werde die Zahl von 6000 nicht verfügbaren Medizinprodukten genannt, heißt es in der Begründung für den Antrag.
Notfalls dem ganzen System „mehr Zeit verschaffen“
Dringend nötig sei mehr Kapazität für MDR-Zertifizierungen in den Benannten Stellen. Denn gegenwärtig seien bisher weniger als zehn Prozent der Bestandsprodukte nach MDR zertifiziert worden. Bei Produkten der höchsten Risikoklasse III liege der Wert sogar unter sechs Prozent. Und nach Auslaufen einer Übergangsfrist für Bestandsprodukte im Mai 2024 könne der „Zertifizierungs-Flaschenhals“ noch enger werden. Spätestens dann müsse die EU-Kommission gesetzgeberische Schritte erwägen, um dem „kompletten System mehr Zeit zu verschaffen“, fordern Bayern und Baden-Württemberg.
Auf Druck der Wirtschaftsminister- und der Gesundheitsministerkonferenz habe die Bundesregierung bereits im vergangenen Jahr bewirkt, dass unter deutscher Leitung eine „Task Force Nischenprodukte“ auf europäischer Ebene etabliert wurde. Doch diese habe „bis dato noch keine Ergebnisse vorgelegt“, monieren beide Länder. „Es besteht dringender Handlungsbedarf“, betonte Holetschek in einer gemeinsamen Mitteilung beider Ministerien.
Die „bislang zurückhaltende Haltung der Bundesregierung besorgt die Länder“, heißt es weiter. Nötig sei ein Signal an Medizinproduktehersteller, „dringend benötigte Produkte nicht vom Markt zu nehmen“.
Die Vorlage aus Bayern und Baden-Württemberg wird am Freitag vermutlich zunächst an die Fachausschüsse zur Beratung verwiesen. In der Sitzung am 7. Oktober wird sich dann entscheiden, ob die Entschließung eine Mehrheit in der Länderkammer findet. (fst)