Umgang mit Patienten

Medizinstudenten lernen von Schauspielern

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Bei einem Seminar der Universität Bonn lernen Medizinstudierende, wie sie sich in schwierigen Situationen verhalten können.

Bei einem Seminar der Universität Bonn lernen Medizinstudierende, wie sie sich in schwierigen Situationen verhalten können.

© Nina Nöthling

Aggressivität, Angst und Ablehnung - wie geht man in schwierigen Situationen als Arzt am besten mit Patienten um? An der Uni Bonn üben Medizinstudierende das mit professionellen Schauspielern.

Von Nina Nöthling

BONN. In der Mitte des kleinen Raumes mit den weißen Tischen sitzt eine junge Frau. Sie schaut auf den Boden, hebt nur selten den Blick und ihr Gesicht verschwindet komplett hinter ihren Haaren. Auf einem Plastikstuhl ihr gegenüber sitzt ein junger Mann, die Hände in den Schoß gelegt. Er ist Arzt.

Während sie flüsternd erzählt, warum sie hier ist, wringt sie nervös ihre Hände. Sie schäme sich so. Der junge Mann beugt sich leicht vor, hält aber genug Abstand, um die Patientin nicht zu bedrängen. Seine Stimme ist ruhig und leise, als er erklärt, sie habe eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Er erläutert, was das bedeutet und wie er ihr helfen kann.

In diesem Fall ist alles nur gespielt: Die Patientin ist Schauspielerin, der junge Mann studiert Medizin an der Universität Bonn. Das Gespräch ist eine Kommunikationsübung im Rahmen des Psychosomatikseminars. Mithilfe von Schauspiel-Patienten sollen angehende Ärzte eine gute Gesprächsführung bei schwierigen Themen und mit schwierigen Patienten lernen.

Um künftige Mediziner auch kommunikativ auf ihren Beruf vorzubereiten, arbeitet die Universität Bonn seit ungefähr vier Jahren mit Schauspiel-Patienten – nicht nur in der Psychosomatik, sondern auch in der Anamnese, in der Palliativmedizin und in der Gynäkologie. Pro Semester nehmen rund 120 Studenten an den Seminaren teil. Solche Angebote gehören inzwischen an vielen Universitäten zum Programm.

Sicherheit für PTBS-Patienten

Nach dem inszenierten Arzt-Patienten-Gespräch gibt die Frau dem Mann die Hand, dabei schaut sie nicht mehr auf den Boden, sondern ihm ins Gesicht. Der Arzt hat ihr Sicherheit gegeben und sie beruhigt. Gut gemacht. Das meint auch Dr. Rupert Conrad bei der nachfolgenden Feedbackrunde.

Er ist Oberarzt an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und einer der Dozenten des Seminars. Conrad erklärt: "Kommunikation ist die Grundlage jeder guten Behandlung." Bei Patienten mit PTBS sei es besonders wichtig, ihnen Sicherheit zu geben, denn durch das Erlebte sind sie häufig sehr verunsichert.

Allerdings gehen Menschen ganz unterschiedlich mit dieser Unsicherheit um. Einige schämen sich, andere werden aggressiv. "Der Arzt muss sich auf jeden Patienten individuell einstellen", so Conrad.

Balance zwischen patientenzentrierter und direktiver Gesprächsführung

Er erklärt, dass Ärzte die Balance zwischen patientenzentrierter und direktiver Gesprächsführung lernen müssen. Das können die Studenten im Seminar erproben. Durch die Rückmeldung wissen sie, was sie gut gemacht haben – und woran sie noch arbeiten müssen.

Die nächsten Schauspiel-Patienten sind Sabine Staufenbiel und Ercan Aker. Insgesamt gibt es vier Schauspieler, die in der Psychosomatik arbeiten. Staufenbiel ist Psychologin und macht zurzeit eine Weiterbildung zur Psychotherapeutin. "Ich kenne die Krankheitsbilder sehr gut, das hilft mir bei den Auftritten", sagt sie.

Aker ist Berufsschauspieler und tritt unter anderem am licht!theater in Köln auf. Die Darsteller üben vor dem Seminar mit den Professoren nicht nur ihre Rollen, sondern auch, wie sie konstruktiv Rückmeldung geben. "Es sollte ein gutes Erlebnis für die Studenten sein", so Aker.

Nicht vom Thema abbringen lassen

Dafür müssen sowohl positive Aspekte herausgestellt werden, aber auch das, was noch verbessert werden muss. "Dabei ist es wichtig, Ich-Botschaften zu benutzen", erklärt Staufenbiel. Zum Beispiel bemerkte eine Schauspiel-Patientin: "Ich hätte gerne noch mehr Informationen dazu gehabt, was PTBS genau ist." Ich-Botschaften wirken weniger kritischer, weshalb sie vom Gegenüber meistens besser aufgenommen werden.

Besonders schwierig findet die Psychologin es, in der Rolle zu bleiben und gleichzeitig die eigenen Gefühle und Reaktionen zu analysieren, um hinterher reflektiert Feedback geben zu können.

Die nächste Medizinstudentin, die an der Reihe ist, sieht sich einem aggressiven Patienten gegenüber: Immer wieder ballt er seine Hände zu Fäusten. Wenn er es bemerkt, entspannt er seine Finger, nur um seine Nägel Augenblicke später in die Aktentasche unter seinem Arm zu bohren. Dann schlägt er mit der Faust auf den Tisch.

"Ich bin nur hier, weil meine Frau mich geschickt hat!" Die angehende Ärztin übernimmt die Gesprächsführung, stellt konkrete Fragen, lässt sich nicht vom Thema abbringen. In der Feedbackrunde sagt der Schauspiel-Patient darüber: "Die bestimmte Art der Ärztin hat mir sehr geholfen. Hätte sie nicht das Ruder in die Hand genommen, wäre ich wahrscheinlich wieder gegangen."

Kommilitonen schauen zu

"Jeder Schauspieler gibt dem Patienten seine persönliche Note", weiß Conrad. So läuft der aggressive Patient mal hitzig auf und ab, ein anderes Mal sitzt er auf einem Stuhl und ballt die Fäuste. "Diese Unterschiede sind gut für die Studenten, so müssen sie sich immer wieder neu auf ihr Gegenüber einstellen."

Vor den Kommilitonen zu spielen, sei für die Studenten sehr stressig, sagt der Oberarzt. Das sei allerdings gut für den Lerneffekt, denn als Arzt mit einem schwierigen Patienten oder Gespräch konfrontiert zu werden, ist ebenfalls mit Stress verbunden. "Das macht die Übung realer."

Die positiven Rückmeldungen von ehemaligen Studenten spiegeln das wider. "Viele sind überrascht, wie nah an der Realität die gespielten Gespräche sind", berichtet Conrad.

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