Heftige Reaktionen auf Regierungsbeschluss

Neupatientenregelung: Geld für nichts? Das stimmt nicht, sagen die Kassenärzte

„Fatale Signale“: Die niedergelassenen Ärzte und die Lobby der Krankenhäuser haben am Mittwoch scharf auf den Regierungsentwurf des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes reagiert.

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Berlin. Die Kassenärzte sollen künftig auf eine extrabudgetäre Vergütung für die Behandlung von Neupatienten beziehungsweise von Patienten, die zwei Jahre nicht mehr in der Praxis waren, verzichten. Extrabudgetäre Zusatzeinnahmen aus offenen Sprechstunden sollen unbefristet MGV-bereinigt werden. So steht es jetzt auch im Regierungsentwurf des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes, das ab jetzt im Bundestag beraten wird.

Die Motivation von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), den Ärzten an dieser Stelle Einnahmen wegzunehmen, wurde am Mittwoch deutlich: „Es gibt keine Hinweise darauf, dass auch nur ein Patient zusätzlich aufgrund dieser Regelung behandelt worden sei,“ stellte der Minister dazu fest. Die Regelungen waren unter aktiver Teilnahme von Lauterbach im Terminservice- und Versorgungsgesetz von 2019 verankert worden.

KBV: Lauterbach will Versorgung einschränken

„Die Maske ist gefallen. Karl Lauterbach will die Versorgung der Bürger einschränken“, reagierte die Kassenärztliche Bundesvereinigung am Mittwoch. „Mit diesem Gesetz konterkariert der Minister den Koalitionsvertrag, nach dem die ambulante Versorgung gestärkt werden sollte“, sagte KBV-Chef Dr. Andreas Gassen. Die Kolleginnen und Kollegen könnten nun gar nicht mehr anders, als ihr Angebot zurückzufahren. Die Ärzte hätten mit der Neupatientenregel nicht mehr Geld verdient, sondern für diese Behandlungen lediglich den vollen Betrag ohne Budgetierung erhalten.

„Es ist ein fatales Signal, dass wir uns auf den politisch gesetzten Rahmen nicht mehr verlassen können“, warnten die KBV-Vorsitzenden Dr. Andreas Gassen und Dr. Stephan Hofmeister.

Hofmeister: Offene Sprechstunde eigentlich tot

Wenn der Minister behaupte, die Neupatientenregelung habe nicht gebracht, stimme dies einfach nicht. „Allein im vierten Quartal 2021 wurden in den Praxen 20 Millionen Neupatienten behandelt“, stellte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KBV Dr. Stephan Hofmeister dazu fest. Insgesamt hätten 99 Prozent aller Praxen Neupatienten behandelt. Hofmeister wies darauf hin, dass mit dem Gesetz auch die offene Sprechstunde „eigentlich“ tot sei.

Das ZI hat die Mindereinnahmen für die Kassenärzte bereits auf knapp 400 Millionen Euro beziffert. Die Regelungen waren 2019 mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) von Jens Spahn eingeführt worden. Laut ZI wurden Kinder und Jugendliche sowie Patienten in den erwerbsfähigen Altersgruppen besonders häufig als Neupatienten behandelt. Am höchsten ist der Anteil der Neupatienten mit 29 Prozent in der Altersgruppe 20 bis 39 Jahre. Blicke man auf Behandlungsanlässe, ergebe sich ein heterogenes Bild. In allen Fachgruppen hätten Behandlungen im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt den höchsten Anteil der Neupatientenfälle, so das ZI. Krankheiten des Ohres, Auges, Infektionskrankheiten sowie Krankheiten des Atmungssystems führten die Liste an.

Gaß: 20.000 Arbeitsplätze in Kliniken gefährdet

Auch die Krankenhaus-Lobby führt „auf das Schärfste Klage gegen das Sparpaket. Die Krankenhäuser sollen auf rund 375 Millionen Euro verzichten, die nach Auffassung von Lauterbach zu Unrecht fließen würden. Die Krankenhäuser erhalten die Personalkosten für Pflegefachkräfte, die unmittelbar in der Patientenversorgung arbeiteten außerhalb der Fallpauschalen voll refinanziert.

Hier soll es nun Einschnitte geben, weil alle Beschäftigten ohne klassische Pflegeausbildung nicht bei der Refinanzierung berücksichtigt werden sollen. „Er bringt nicht nur keine Verbesserung für die Krankenhäuser in Form eines Inflationsausgleichs auf den Weg, sondern verschärft auf diese Weise noch die ohnehin angespannte finanzielle Lage und und gefährdet sogar Arbeitsplätze in der Pflege“, sagte der DKG-Vorstandsvorsitzende Dr. Gerald Gaß.

Auch weiterhin dürfe das sonstige Personal nicht mehr in den Pflegebudgets berücksichtigt werden. Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Hebammen würden nicht mehr über das Pflegebudget finanziert. „Im Extremfall würde dieses Gesetz dazu führen, dass bis zu 20.000 Arbeitsplätze gefährdet wären“, sagte Gaß. Dies sei Wahnsinn angesichts des Personalmangels.

Lauterbach hatte zuvor bei einer Pressekonferenz ausdrücklich auf die außerordentlichen Belastungen hingewiesen, die mit einer neuen Corona-Herbstwelle auf die Krankenhäuser zukommen könnten. (af)

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