Wartezeiten-Diskussion

Nötig ist ein tiefer Blick in die Wartezimmer

Die emotionale Debatte um Wartezeiten bei Fachärzten wird seit einiger Zeit um Daten und Fakten bereichert. Gleich mehrere Untersuchungen zeigen, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Vielmehr zählt die Zusammenarbeit der Ärzte vor Ort.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Nicht selten ist das Wartezimmer bis auf den letzten Platz gefüllt.

Nicht selten ist das Wartezimmer bis auf den letzten Platz gefüllt.

© Klaus Rose

Über kaum ein anderes Thema wird in der deutschen Gesundheitspolitik so gerne gestritten wie über die Wartezeiten auf einen Arzttermin. Ob am Stammtisch, in der Politik oder in Fachkreisen - jeder hat seine ganz eigenen Erfahrungen und Wahrnehmungen.

Die aus den unterschiedlichen Perspektiven gespeisten Rückschlüsse führen zu Behauptungen, die in der Diskussion immer wieder auftauchen. Zum Beispiel die, dass Menschen in schwächer besiedelten Landstrichen mit wenigen Ärzten lange warten müssen. Und dass Termine in Ballungsräumen mit hoher Arztdichte leichter möglich sind.

Um Behauptungen durch Fakten zu ersetzen, hat es in den vergangenen Wochen eine ganze Reihe von Untersuchungen mit interessanten Ergebnissen gegeben - nicht zuletzt getrieben durch die Pläne der Regierungskoalition, eine Vier-Wochenfrist für Überweisungen einzuführen.

Eine Untersuchung kam zum Ergebnis, dass gesetzlich Versicherte häufiger als privat Versicherte längere Zeit auf einen Arzttermin müssen. Eine andere Umfrage zeigte, dass die Wartezeiten oft aus Überlastungen der Praxen resultieren.

Es wurde aber auch festgestellt, dass Fachärzte nur in seltenen Fällen Patienten abweisen und dass die Wartezeit in dringenden Fällen nach Erfahrungen von Hausärzten bei ihren fachärztlichen Kollegen oft zwischen ein und drei Tagen beträgt.

40 Prozent der Patienten warten länger

Nun hat auch das neu gegründete Gesundheitswissenschaftliche Institut Nordost (Gewino), als Stabsstelle bei der AOK Nordost angesiedelt, einen Regionalreport über Wartezeiten erstellt, der einen vertieften Blick in die Wartezimmer von Augenärzten in den Bundesländern Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern erlaubt.

Und spätestens hier wird deutlich, dass pauschale Aussagen über die Wartezeiten nur schwer möglich sind. Das Gewino hat ermittelt, dass ein Viertel der rund 290.000 AOK-Versicherten mit einer Überweisung zum Augenarzt innerhalb einer Woche behandelt werden. Über ein weiteres Drittel bekommt den Termin innerhalb von vier Wochen, 40 Prozent müssen länger als vier Wochen warten.

Interessant sind die Unterschiede zwischen den Regionen und den Altersklassen. Nicht etwa die vermeintlich unterversorgten Gebiete wie Vorpommern weisen lange Wartezeiten auf, sondern zahlreiche Berliner Bezirke. Im Süden Brandenburgs gibt es den geringsten Anteil an Überweisungen, die erst nach mehr als vier Wochen erfüllt werden.

Jeder Landkreis in Mecklenburg-Vorpommern bleibt beim Anteil der Versicherten mit Wartezeiten über vier Wochen unter dem Mittelwert der Region Nordost. Diesen Wert treibt Berlin nach oben. Pankow, Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg, Treptow-Köpenick und Steglitz-Zehlendorf heißen die Bezirke, in denen besonders häufig länger als vier Wochen gewartet werden muss.

Und in vier dieser fünf Bezirke steigt der Anteil gegenüber dem Vorjahr noch an. Außerhalb Berlins hat Frankfurt/Oder den höchsten Anteil mit langen Wartezeiten. Die niedrigsten Werte weisen Elbe/Elster, Oderspreewald-Lausitz und Ostprignitz-Ruppin auf.

Überraschend daran ist, dass Regionen, in denen viele Augenärzten je Einwohner praktizieren, keine kürzeren Wartezeiten aufweisen als Regionen mit wenigen Augenärzten.

Im Süden Brandenburgs, wo ein mehrfach ausgezeichnetes Ärztenetz die Abstimmung zwischen den Ärzten verbessert, ermittelte das Institut trotz geringer Anzahl von Augenärzten je Einwohner die geringsten Wartezeiten.

Einflussgrößen: Alter und Geschlecht

Was, wenn nicht die Zahl der Ärzte, beeinflusst also die Wartezeit? Offenbar spielen Alter und Geschlecht eine Rolle. "Generell ist zu erkennen, dass Männer im Mittel signifikante 1,07 Tage weniger lang auf ihren Termin beim Augenarzt warten mussten als Frauen", heißt es im Report.

Noch deutlicher ist der Einfluss des Alters auf die Wartezeit bei Überweisungen. Bei den Männern ist mit zunehmendem Alter ein kontinuierlicher Anstieg der mittleren Wartezeit zu beobachten. Jungen zwischen zehn und vierzehn Jahren warten im Mittel 23 Tage, die über 85-Jährigen dagegen 30 Tage auf einen Termin.

Die gleiche Tendenz lässt sich bei Frauen ablesen. Mit einem Unterschied, über den sowohl das Institut als auch die AOK noch rätseln: Junge Frauen zwischen 20 und 30 fallen aus dieser Kurve und warten auffällig lange - Gründe unbekannt.

Neben Alter und Geschlecht gibt es weitere Einflussfaktoren. Die niedrige Wartezeit im Süden Brandenburgs zeigt, dass sich koordiniertes Arbeiten unter den Ärzten einer Region positiv auswirken kann.

Ein anderes Mittel ist die Unterscheidung in dringende und weniger dringende Überweisungen. Im Saarland läuft ein Pilotversuch, Mecklenburg- Vorpommern sammelt bereits seit 2011 Erfahrungen. Die vor wenigen Tagen vorgestellten Ergebnisse belegen, dass sich Wartezeiten für dringende Fälle durch Kennzeichnung auf der Überweisung verhindern lassen.

Auch die Krankenkassen scheinen von solchen Modellen überzeugt. Die AOK Nordost trug eine Erklärung mit, in der es heißt: "Die Ergebnisse zeigen, dass hierzulande - ohne gesetzgeberische Einflussnahme - schon heute funktionierende regionale Konzepte und Lösungsansätze für eine patientenorientierte Versorgung existieren.

Also auch ohne eine verbriefte Vier-Wochenfrist für Facharzttermine, wie es der Koalitionsvertrag der Bundesregierung fordert." Es scheint, als hätten die Ärzte einen wichtigen Partner im Kampf gegen die ungeliebte Vier-Wochenfrist gewonnen.

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