Gastbeitrag

Warum Kollege Lauterbach mich enttäuscht

Der Fokus auf Affenpocken und Corona reicht nicht: Gesundheitsminister Karl Lauterbach lässt nicht erkennen, für was für ein Gesundheitswesen er steht, meint Dr. Nils Vogel, Arzt in Weiterbildung.

Ein Gastbeitrag von Nils Vogel Veröffentlicht:
Nur ein Minister zur Corona- und Affenpocken-Bekämpfung? Karl Lauterbach würde das wahrscheinlich anders sehen.

Nur ein Minister zur Corona- und Affenpocken-Bekämpfung? Karl Lauterbach würde das wahrscheinlich anders sehen.

© Marco Steinbrenner / Kirchner-Media / picture alliance

Lieber Herr Kollege Lauterbach, wann wollen Sie Ihr Amt als Gesundheitsminister dazu nutzen, sich der Gesundheitspolitik als Ganzes anzunehmen? Oder würde es Ihnen tatsächlich genügen, nur als Corona- und Affenpocken-Minister in die Geschichtsbücher einzugehen?

Die hausärztliche Grundversorgung wird als zentraler Pfeiler unseres Gesundheitssystems von einer Vielzahl struktureller Probleme existenziell bedroht, weshalb immer wieder vage eine Stärkung der Allgemeinmedizin versprochen wird. Das, was wir jedoch bisher von Ihnen als Minister erleben, darf allenfalls als Sabotage der Allgemeinmedizin (und des gesamten ärztlichen Berufs) bezeichnet werden. Das enttäuscht sehr!

Dr. Nils Vogel
ist Arzt in Weiterbildung in der
hausärztlichen Versorgung in Köln

Dr. Nils Vogel ist Arzt in Weiterbildung in der hausärztlichen Versorgung in Köln

© privat

Wie lange soll der Ausverkauf des Gesundheitswesens an private Investoren, die ihre Gewinne teils nicht einmal in Deutschland versteuern, noch hingenommen werden?

Das Edikt von Salerno wird immer weiter einseitig ausgehebelt und die Kolleginnen und Kollegen in den Apotheken sollen immer mehr ärztliche Aufgaben übernehmen. Welche Notwendigkeit gab es, das Dienstleistungsangebot der Apothekerinnen und Apotheker zu reformieren und zu erweitern?

Hoffnungsschimmer: Die Klage der Krankenkassen

Als junger Arzt besorgt mich dabei besonders: Was befähigt Apothekerinnen und Apotheker, nun auch noch mit therapeutischen (!) Empfehlungen in bestehende ärztliche Therapien einzugreifen? Wie soll hier noch die Sicherheit der Patientinnen und Patienten gewährleistet werden? Und vor allem: Wer soll sie gewährleisten? Etwa die Patientinnen und Patienten selbst?! Die pharmazeutischen Dienstleistungen sind unnötig, teuer und in Teilen brandgefährlich. Ein Hoffnungsschimmer immerhin, dass (ausgerechnet!) die Krankenkassen gegen den Schiedsspruch klagen.

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens wurde lange verschlafen, nun aber wird sie zur Farce. „Digitale Gesundheitsanwendungen“, die DiGA, werden – besonders im Vergleich zum persönlichen Kontakt mit Patientinnen und Patienten – lächerlich hoch vergütet. Die gematik glänzt durch Alleingänge. Datenschutzbedenken von Patientinnen und Patienten und Ärztinnen und Ärzten werden ignoriert.
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Die Anwendungen, mit denen wir es bislang zu tun haben und die neu in die Praxis kommen, sind fehleranfällig oder benutzerunfreundlich oder beides. Exorbitante Kostensteigerungen bei IT-Komponenten, seien es neue Konnektoren oder notwendige Updates für unsere Praxissysteme, werden politisch akzeptiert (oder gewollt?), während ärztliche Leistungen weiter budgetiert (oder teilweise nicht einmal kostendeckend) vergütet werden.

Ich frage mich, mit welchem Ziel das Gesundheitswesen digitalisiert werden soll? Nur, damit wir Ärztinnen und Ärzte zu wandelnden Gelddruckmaschinen der IT-Anbieter und unsere Patientinnen und Patienten zu willfährigen Datenlieferanten für Tech-Konzerne werden? Nicht vielleicht doch, damit die Versorgung besser wird?

Mehr Engagement für drängende Gesundheitsthemen

Dass Sie, lieber Kollege Lauterbach, keine Notwendigkeit sehen, unsere Gebührenordnung aus dem Jahr 1982 zu reformieren, ist ein weiterer Affront gegen die Ärzteschaft. Besonders, weil Sie als Argument anführen, das Verhältnis zwischen PKV und GKV nicht antasten zu wollen. Mit anderen Worten: Weil nach EBM sittenwidrig vergütet wird, soll auch nach GOÄ ungerecht und schlecht bezahlt werden, damit das Verhältnis gewahrt bleibt.

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Ihre geplanten Kürzungen bei der Neupatientenregelung setzt dem Ganzen noch die Krone auf. Wie wollen Sie noch glaubhaft vermitteln, dass das Geld im System nicht für eine faire Vergütung aller Heilberufe reiche, wenn gleichzeitig fragwürdige Gesundheits- oder IT-Leistungen vergoldet werden?

Aber auch abseits der Berufspolitik wünschte ich mir, Sie würden sich für andere drängende Gesundheitsthemen so engagieren wie Sie es bei Corona oder den Affenpocken tun. Mit ministeriellen Kampagnen aber, etwa zur Förderung der Laienreanimation oder zur Eindämmung der zunehmenden Bedrohung durch multiresistente Erreger (Stichworte: Massentierzucht & Tiermedizin), schafft man es offenbar nicht auf Seite eins der Tageszeitungen oder in abendliche Talkshows. Damit aber könnten viele Leben gerettet werden.

Lieber Kollege Lauterbach, das ist nur ein Bruchteil der Gedanken, die mich – besonders in den letzten Monaten – beschäftigen. Die Liste ließe sich beliebig lang fortsetzen. Seit Jahrzehnten ist es Tradition, die Missstände im Gesundheitswesen politisch zu verwalten, statt sie zu beheben. Sie werden sich in diese Tradition einreihen, wenn es Ihre Priorität im Amt bleiben sollte, effektvoll über Studien auf Twitter zu referieren. Meine Hoffnung ist enttäuscht, ein Kollege im Ministeramt hätte mehr Gespür für unsere Herausforderungen und würde beginnen, die Probleme zu lösen, die ihm seine Vorgänger hinterlassen haben. Als Weiterbildungsassistent kurz vor der Facharztprüfung stehe ich erst am Anfang meines Berufslebens als Hausarzt und blicke bereits in eine düstere Zukunft. Ist das das Gesundheitswesen, das Sie sich vorstellen, Herr Kollege?
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