Praxisumbau wegen COVID-19

Wer braucht schon Masken im Kampf gegen Corona?

In vielen Praxen fehlt es an SARS-CoV-2-Schutzausrüstung wie Masken und Desinfektionsmittel. Eine Berliner Hausärztin hat ihre Praxis so umgebaut, dass sie keine Atemschutzmaske in ihrem Job braucht.

Von Madlen Schäfer Veröffentlicht:
Hausärztin Sibylle Katzenstein (2. v.l.) arbeitet in Corona-Zeiten ohne Schutzmaske. Das beeindruckt auch Grünen-Politiker Cem Özdemir (4. v.l.).

Hausärztin Sibylle Katzenstein (2. v.l.) arbeitet in Corona-Zeiten ohne Schutzmaske. Das beeindruckt auch Grünen-Politiker Cem Özdemir (4. v.l.).

© Katzenstein

Berlin. Die Hausarztpraxis von Sibylle Katzenstein in Berlin hat sich in den vergangenen Wochen sehr verändert. Patienten könnten beinahe das Gefühl bekommen, sie seien am Nachtschalter einer Tankstelle. Sicherheit ist in diesen Tagen alles – für die Patienten, aber auch für die Ärzte und Pflegekräfte. Die Berliner Ärztin hat ihre Praxis fit für die COVID-19-Pandemie gemacht – in Eigenregie und mit eigenen Ideen.

Mit den ersten Umbaumaßnahmen ihrer Praxis hat Katzenstein bereits Mitte Februar begonnen. Die Nachrichten über das neuartige Virus aus China ließen die Ärztin nicht mehr los. „Ich fand es heikel und furchtbar. Bereits da habe ich mir die ersten Gedanken gemacht“, erinnert sie sich. Das Virus könne sich in einer globalisierten Welt rasch verbreiten. „Als es in Italien war, da war mir klar, dass es auch zu uns kommt“, sagt sie. Ein Virus mache eben kein Halt vor Grenzen.

Film klärt über COVID-19-Test auf

Zu ihren Patienten hat Katzenstein nahezu keinerlei körperlichen Kontakt. Geschafft hat sie das mit einfachen Mitteln, wie etwa einer Plexiglasscheibe. Was so simpel klingt, hat einen großen Nutzen. „Die Ideen waren nicht teuer und lassen sich umsetzen“, sagt Katzenstein. Zuerst hat sie zwei Wartezimmer geschaffen: eines für mögliche Corona-Infizierte und ein weiteres für die anderen Patienten. Später standen nur noch zwei Stühle im Wartezimmer bis sie letztlich eine Art Tankstellentür installierte. Hierfür ließ Katzenstein eine Plexiglasscheibe und eine Durchreiche in einer Tür einbauen.

Für den Fall, dass ein Patient bereits mit Krankheitssymptomen in die Praxis kommt, konnte fortan ein Testkit in die Durchreiche gelegt werden und zum Patienten durchgeschoben werden. In einem Raum läuft anschließend ein Film, der erklärt, wie der COVID-19-Test zu verwenden ist. Der Patient führt den Abstrich selbst durch, die Ärztin kann gegebenenfalls dabei zusehen – eine Art kontaktlose Medizin.

Generell verfolgt die Ärztin aber ein anderes Konzept: Ein vermeintlich Infizierter soll gar nicht erst die Praxis betreten, sondern zu Hause bleiben. „Selbstabstriche sind am billigsten und allersichersten, wenn sie zu Hause durchgeführt werden“, sagt Katzenstein. Die zündende Idee hierfür bekam sie von ihrer 16-jährigen Tochter. Glaubt jemand mit dem Coronavirus infiziert zu sein, ruft er in der Praxis an und schickt eine gesunde Kontaktperson vorbei, die das Testkit abholt und zum Patienten bringt. Der Betroffene führt den Test in den eigenen vier Wänden durch, die Kontaktperson bringt den Test wieder in die Praxis. „Man muss andere Strukturen erfinden, damit Patienten sicher sind und sich nicht kreuzanstecken“, erklärt die Ärztin.

Bei ihren Patienten stieß sie auf viel Zuspruch für ihre Maßnahmen. Damit auch alle Patienten über die neue Arbeitsweise der Praxis informiert waren, erhielten Ältere einen Brief – samt einer speziellen Hotline, damit diese gefährdete Risikogruppe nicht in die Praxis kommen muss. „Viele ältere Patienten sind vom Informationsfluss ausgeschlossen“, bemerkte Katzenstein. Das Telefon für ältere Patienten werde in der Praxis stets gut bewacht. Im Zweifel macht die Ärztin einen Hausbesuch, um die älteren Menschen nicht einer Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus auszusetzen.

Die Ideen der Ärztin reichen weit über ihre eigene Praxis hinaus. In Zeiten einer Pandemie sei die derzeitige Versorgungskette nicht mehr der richtige Weg. Vor allem Rettungsstellen, in die alle Menschen egal mit welcher Krankheitsgeschichte kommen, müssten umgedacht werden. „Wir als Hausärzte sollten eine Vorselektion machen“, so Katzensteins Plädoyer. Besteht ein Corona-Verdacht, soll der Patient geröntgt werden und ein CT bekommen. Radiologische Praxen sollen ausgewählt nur Corona-Patienten untersuchen. Anschließend kann eine Entscheidung getroffen werden, ob der Patient 14-Tage-Quarantäne zu Hause verbringt oder auf eine Intensivstation kommt. „Auch dieser Patient darf nicht über die Rettungsstelle laufen“, sagt Katzenstein.

Vorsicht rät die Hausärztin speziell bei Patienten aus einem Pflegeheim. „Ärzte müssen alles geben, um Pflegeheim-Patienten nicht in Rettungsstellen zu schicken. Wenn es denn doch sein muss, sollten sie direkt von den Chefärzten in den Kliniken gesehen werden.“ Bei einer Rückkehr ins Heim müssen die Patienten direkt in Quarantäne gehen, um niemanden weiter zu gefährden.

KV zeigt kalte Schulter

Für ihre Ideen setzt sich Katzenstein in der Öffentlichkeit ein und fordert: „Jetzt muss ein Umdenken stattfinden!“ Sie war bereits zu Gast im Polit-Talk „Anne Will“, der Grünen-Politiker Cem Özdemir besuchte ihre Praxis. An Jens Spahn hat sie einen Brief geschrieben. Er antwortete zwar, verwies aber auf die KV als ihre Vertretung. Doch dort würden ihre Ideen kein Gehör finden: „Ich habe von der Kassenärztlichen Vereinigung nicht erwartet, dass sie mir alles vorgeben. Auf der anderen Seite hätte man schon erwartet, dass solche Ideen sich verbreiten und nicht behindert werden.“
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