Zählen Vertragsärzte etwa zu den Scheinselbstständigen?

Ein hessischer Hausarzt lässt jetzt von der Deutschen Rentenversicherung prüfen, ob er nicht doch eher abhängig Beschäftigter der gesetzlichen Kassen ist.

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Dr. Siegfried Spernau fühlt sich nicht mehr als Freiberufler.

Dr. Siegfried Spernau fühlt sich nicht mehr als Freiberufler.

© sth

FRANKFURT/MAIN (pei). Sind Vertragsärzte in Wirklichkeit Scheinselbstständige? Das will Hausarzt Dr. Siegfried Spernau aus Neu-Isenburg jetzt wissen. Spernau gehört zu den etwa 250 hessischen Ärzten, die bei der Plausibilitätsprüfung auffielen und teilweise saftige Honorarrückzahlungen leisten sollen.

In seinem Fall geht es um rund 111 000 Euro (wir berichteten). Empört ist er unter anderem darüber, dass sich die KV mit der Prüfung so viel Zeit gelassen hat - sie betraf Abrechnungen von 2005 bis 2007.

Seine Kritik geht aber weit darüber hinaus, sowohl in Detailfragen als auch hinsichtlich des gesamten Vertragsarztsystems. Deshalb hat er eine Reihe von Anfragen gestartet. Von der Deutschen Rentenversicherung Bund will er geklärt haben, ob er überhaupt noch Freiberufler ist oder nicht doch ein Scheinselbstständiger.

Seine Argumentation: Das Oberlandesgericht Braunschweig habe kürzlich in einem Beschluss die Vertragsärzte als "Beauftragte der Krankenkassen" eingestuft. Und er sei via Vertragsarztrecht und KBV der Weisungsbefugnis des Spitzenverbands der gesetzlichen Kassen unterworfen.

Dazu zählt er die Regelung seines Tätigkeitsorts, die Beschränkung der Arbeitszeit auf 8,5 Stunden pro Tag durch Paragraf 106 a Sozialgesetzbuch (SGB) V, die Begrenzung seiner Arbeitskapazität durch Regelleistungsvolumen, Rabattverträge, Budgetierung der Medikamente sowie der Heil- und Hilfsmittel samt Regress und anderes mehr.

Der Auftragnehmer - der Vertragsarzt - müsse sich "einem umfangreichen Vertragswerk des Auftraggebers ohne eigenen Spielraum unterwerfen", zum Beispiel dem Honorarvertrag 2010 zwischen KV Hessen und Kassen.

Komme die Rentenversicherung zu dem Ergebnis, dass er als Vertragsarzt scheinselbstständig sei, müssten die Kassen für ihn rund 30 Jahre Rentenversicherungsbeiträge nachzahlen, so Spernau.

Eine ähnliche Anfrage hat der Hausarzt und Schmerzspezialist an das Institut des Bewertungsausschusses gerichtet. Darin fordert er, den Paragrafen 106 a SGB V aufzuheben.

Er rechnet vor, dass er mit der ihm zugewiesenen Fallzahl, etwa für das Quartal 4/2010 zwangsläufig über die Kapazitätsgrenze gelange, wenn die Zeitvorgaben für Mitglieder, Rentner und Chroniker addiert werden.

Mit den rund 48 000 Minuten, die sich aus seiner Patientenzahl und -zusammensetzung ergäben, überschreite er die von der KV festgelegte Kapazität um rund 21 000 Minuten.

"Daraus folgt: Das mir zugewiesene Regelleistungsvolumen bewirkt bei einer erneuten zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung nach Paragraf 106 a SGB V eine Honorarrückforderung und eine Anzeige bei der Generalstaatsanwaltschaft."

Auch im Petitionsausschuss des Bundestags soll das Thema zur Sprache kommen. Spernau hat dort bereits eine Petition gegen Paragraf 106 a SGB V eingereicht, eine Petition zum Thema Scheinselbstständigkeit der Vertragsärzte will er nachreichen.

Gegen die Honorarrückforderung der KV hat er Widerspruch eingelegt, und er ist entschlossen, vor das Sozialgericht zu gehen. "Ich will das durchziehen."

Ob er dabei auf viele Sympathisanten oder Mitstreiter zählen kann, ist fraglich. Bei der Wahl zur Vertreterversammlung der KV Hessen hat seine Liste, wie er berichtet, gerade mal 59 Stimmen erzielt.

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