Ernährung

Zuckerreduktion in Fertigprodukten – Optimismus noch fehl am Platz

Julia Klöckner zeigt sich zufrieden mit den ersten Ergebnissen ihrer Reduktionsstrategie. Eine von der AOK beauftragte Studie hingegen zeigt alles andere als positive Ergebnisse. Der Bundesverband für Kinder- und Jugendärzte schlägt Alarm.

Margarethe UrbanekVon Margarethe Urbanek Veröffentlicht:
Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) hat heute erste Ergebnisse der Reduktionsstrategie vorgestellt.

Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) hat heute erste Ergebnisse der Reduktionsstrategie vorgestellt.

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Berlin. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) sieht die Umsetzung der Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie bundesweit auf einem insgesamt guten Weg. „Es geht in die richtige Richtung“, bilanzierte die Ministerin am Mittwoch mit Verweis auf eine Vergleichserhebung des bundeseigenen Max-Rubner-Instituts (MRI) zur Wirksamkeit der Reduktionsstrategie.

Zur Erinnerung: 2018 hatten sich auf Initiative des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft Verbände der Lebensmittelwirtschaft freiwillig selbstverpflichtet, bis 2025 die Rezepturen ihrer Produkte dahingehend umzustellen, dass eine Verbesserung der Nährstoffversorgung der Bevölkerung erreicht werden kann.

Nun also eine erste Zwischenbilanz der Ministerin mit der Botschaft: Die freiwillige Selbstverpflichtung wirkt, aber das Potenzial wird nicht überall ausgeschöpft. Laut der Erhebung des MRI ging beispielsweise der Zuckergehalt in speziell für Kinder beworbenen Joghurtzubereitungen seit 2016 um 7,4 Prozent zurück, die Energiedichte sogar um zehn Prozent. „Trotzdem“, so Klöckner, „ist der Zuckergehalt im Vergleich noch höher als bei Joghurts, die nicht speziell für Kinder beworben werden.“

Kritisch bleibt der Ministerin zufolge der Zuckergehalt in Limonaden. Hier seien bisher nur 0,2 mg weniger Zucker erreicht. Bei Knuspercerealien für Kinder hingegen macht das MRI nach Angaben Klöckners eine „sehr erhebliche Zuckerreduktion um 17 Prozent“ aus.

AOK-Studie mit verheerendem Ergebnis

Ein fraglicher Erfolg, schaut man auf die ebenfalls am Mittwoch veröffentlichte Studie „Süß, süßer, Frühstück“, die der Bundesverband der AOK bei der Deutschen Gesellschaft für Konsumforschung in Auftrag gegeben hatte. Untersucht wurden das Kaufverhalten von 30.000 Haushalten in Deutschland und der Zuckergehalt von mehr als 1400 Cerealienprodukten. Ergebnis: 73 Prozent der gekauften Menge an Müslis, Cornflakes und Co. überschreiten beim Zuckergehalt die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 15 Gramm Zucker pro 100 Gramm. Bei den speziell an Kinder gerichteten Cerealien liegen sogar 99 Prozent der gekauften Produkte über diesem Richtwert.

Angesichts der überzuckerten Fertigprodukte schlägt auch der Bundesverband für Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Alarm: „Wir müssen den Zuckergehalt in Fertigprodukten, Softdrinks und Frühstückscerealien dringend reduzieren, um die jüngere Generation vor Adipositas und anderen ernährungsbedingten Krankheiten zu schützen“, appelliert Dr. Sigrid Peter, Vizepräsidentin des BVKJ in einer Pressemitteilung des AOK-Bundesverbandes. Ziel sollte sein, den Zuckergehalt nach und nach zu verringern, um so auch das Geschmacksempfinden entsprechend umzustellen.

Harsche Kritik von vielen Seiten

Dr. Kai Kolpatzik, Abteilungsleiter Prävention im AOK-Bundesverband, bezeichnet die vereinbarten Reduktionsziele auf freiwilliger Basis als „geradezu skandalös“. Angesichts der hohen Zuckermengen scheint eine freiwillige Reduktion um 20 Prozent sehr gering. „Statt einer laschen Zuckerreduktion sollte man die Produzenten entsprechend der WHO-Empfehlung zu einer schrittweisen Reduzierung auf 15 Gramm Zucker pro 100 Gramm verpflichten – und das nicht nur für Kindercerealien, sondern für das gesamte Sortiment“, fordert Kolpatzik.

„Viel Luft nach oben“ erkennt auch die ernährungspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Ursula Schulte: „Die WHO-Empfehlungen für Kinderprodukte müssen endlich verbindlich werden.“ Dem pflichtet auch Renate Künast, ernährungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen bei. Für zeigt das vorgestellte Monitoring: „Freiwillige Selbstverpflichtungen der Lebensmittelkonzerne sind nicht ausreichend im Kampf gegen viel zu süße, salzige und fettige Fertiglebensmittel.“

Statt weiterhin vergeblich auf die Freiwilligkeit der Lebensmittelunternehmen zu bauen, sollte Klöckner „endlich klare Regeln vorgeben. Dazu gehören verbindliche und ambitionierte Reduktionsziele mit einer engen zeitlichen Vorgabe, eine EU-weit verbindliche Einführung des Nutriscore und die Einschränkung von Kindermarketing“, so Künast.

Ebenso harsch in ihrer Kritik an der Klöckner-Strategie ist die Verbraucherorganisation Foodwatch, die Klöckners Optimismus als „geradezu lächerlich“ bezeichnet. „Eine Zuckerreduktion von sehr viel zu viel auf viel zu viel ist kein Erfolg, sondern eine Bankrotterklärung.“

Einkommen und Bildung beeinflussen Ernährung

Der GfK-Untersuchung zufolge haben auch Einkommen und Bildung Einfluss auf das Konsumverhalten. Je niedriger der soziale Status desto häufiger kaufen die jeweiligen Haushalte süße Cerealien-Varianten. Kinderärztin Peter warnt: „Die Zunahme von Übergewicht und Adipositas wird sich weiter beschleunigen, insbesondere in der Gruppe von Kindern und Jugendlichen, die in bildungsferneren und finanzschwächeren Familien aufwachsen.“

Die direkten und indirekten Folgekosten von Adipositas belaufen sich in Deutschland nach Berechnungen der Universität Hamburg jährlich auf rund 63 Milliarden Euro. Darin sind beispielsweise Ausgaben für medizinische Behandlungen, aber auch Leistungen wie Krankengeld oder Frührenten berücksichtigt.

Neben einer verbindlichen Reduktionsstrategie fordern Mediziner und Präventionsexperten ein konkretes Verbot, von Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel. Darüber hinaus müsse die Ernährungskompetenz der Verbraucher gestärkt werden.

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