Impfpolitik

Pädiater fordern Impfpflicht für Kinder

Rasanter Anstieg der Masernfälle, höheres Risiko durch mehr Krippenkinder - die Akademie der Kinderärzte fordert eine gesetzliche Impfpflicht für Kinder in Gemeinschaftseinrichtungen.

Veröffentlicht:

BERLIN. Kinder sollen vor Aufnahme in eine Krippe, den Kindergarten oder die Schule verpflichtend entsprechend den Empfehlungen der STIKO geimpft werden. Das fordert die Akademie für Kinder- und Jugendmedizin.

Sie begründet dies mit der steigenden Zahl von in Gemeinschaftseinrichtungen betreuten Kindern und dem Infektionsrisiko, das von ungeimpften Kindern für Dritte ausgeht.

Das vergangene Schuljahr habe gezeigt, dass bedrohliche Infektionskrankheiten, die in Deutschland viele Jahre kein großes Thema gewesen seien, wiederkehren könnten, wenn Kinder nicht konsequent geimpft würden. Dies treffe insbesondere auf Masern zu.

Im Frühsommer sei deshalb eine Schule in Nordrhein-Westfalen sogar geschlossen worden. Nach Daten des Robert Koch-Instituts sei es bis einschließlich Juli zu 1235 Masernfällen gekommen. Im Gesamtjahr 2012 seien es nur 166 gewesen.

Professor Ulrich Heininger, Sprecher der Kommission für Infektionskrankheiten der Pädiater-Akademie und STIKO-Mitglied, warnt: "Wenn sich an den suboptimalen Impfquoten in Deutschland nichts ändert, wird dieser Trend im neuen Schuljahr anhalten."

Aufgrund des Rechtsanspruchs auf einen Krippenplatz werde die Zahl der Kinder in Betreuungseinrichtungen steigen. Das erhöhe die Wahrscheinlichkeit für Masernausbrüche weiter.

Heininger sieht Krippenkinder als besonders gefährdet an, weil aus immunologischen Gründen Lebendimpfstoffe wie der Masern-Impfstoff in den ersten Lebensmonaten nicht verimpft werden können.

"Wenn nun ältere Kinder eine Maserninfektion in die Kindertagesstätte einschleppen, besteht die Gefahr einer Übertragung auf die noch ungeimpften oder noch unvollständig geimpften Kleinkinder."

Eltern, die ihre Kinder aus ideologischen Gründen nicht impfen ließen und sie dennoch in Betreuungseinrichtungen schicken, handelten nicht nur ihren eigenen Kindern gegenüber verantwortungslos, sondern auch vor allem auch anderen Kindern gegenüber.

Besonders angesichts der "katastrophalen" Entwicklung der Masernzahlen bekräftigt die Akademie ihre bereits 2009 aufgestellten Forderungen:

  • Erweiterung des Infektionsschutzgesetzes mit einer Impfpflicht für alle Kinder in Gemeinschaftseinrichtungen, wenn keine Kontraindikationen bestehen.
  • Landesgesetzliche Vorschriften mit einheitlichen Regelungen zur verbindlichen Überprüfung des Impfstatus der Kinder in Gemeinschaftseinrichtungen; Maßnahmen zur Komplettierung des Impfschutzes.
  • Flächendeckende und kontinuierliche Aufklärung der Eltern über Infektionskrankheiten und altersgemäßen Impfschutz nach Paragraf 34 des Infektionsschutzgesetzes.
  • Umsetzung des Beschlusses des 109. Ärztetages von 2006 durch die Landesärztekammern: Einleitung rechtlicher Schritte gegen Ärzte, die gegen Sorgfalts- und Qualitätsverpflichtungen verstoßen.

Der Fortschritt im Kampf gegen Infektionskrankheiten durch Impfprogramme werde zunehmend durch eine "ideologisch motivierte, sachlich nicht begründbare Impfkritik bedroht", sagte Heininger.

Noch profitierten auch nicht geimpfte Kinder davon, dass sich eine Mehrheit der Eltern verantwortungsbewusst verhalte. Doch dieser Schutz habe Grenzen. Der steile Anstieg der Masernausbrüche in den vergangenen Monaten deute darauf hin, dass eine solche Grenze erreicht sei.

Lückenhaft ist auch der Impfstatus bei Erwachsenen: Nur 71 Prozent dieser Menschen in Deutschland sind nach neuesten Zahlen des Robert Koch-Instituts wirksam gegen Tetanus geimpft.

Vor diesem Hintergrund warnte am Mittwoch Jörg Ansorg, Geschäftsführer des Berufsverbandes Deutscher Chirurgen in Berlin: "Selbst Bagatellverletzungen können dann Eintrittspforte für Tetanuserreger sein.

Die STIKO empfiehlt eine Kombination mit einer Keuchhusten-Impfung, gegen die in Deutschland nur 35 Prozent der Erwachsenen geimpft sind. Eine Impfung für Erwachsene hält Ansorg deshalb für sinnvoll, weil damit vor allem Säuglinge und Kleinkinder vor Infektionen geschützt werden. (eb)

Schlagworte:
Mehr zum Thema

Impfempfehlungen

Neuer STIKO-Chef fordert mehr Personal

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Wo lang im Gesundheitswesen? Der SVR Gesundheit und Pflege empfiehlt mehr Richtungspfeile für alle Akteure.

© StefanieBaum / stock.adobe.com

Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege

Gesundheitsweise empfehlen Primärversorgung für alle – und Quotierung der Weiterbildung

„Wenn die Politik Wissenschaftlern sagen würde, wir wollen dieses oder jenes Ergebnis, ist das Propaganda.“ Klaus Überla – hier im Treppenhaus seines Instituts – über Einmischungen aus der Politik.

© Patty Varasano für die Ärzte Zeitung

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

Dr. Iris Dötsch Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologin und Ernährungsmedizinerin hat die Hauptstadtdiabetologinnen, eines neues Netzwerk für Frauen in der Diabetologie, gegründet.

© snyGGG / stock.adobe.com

Hauptstadtdiabetologinnen

Ein Netzwerk für Diabetologinnen