Winzlinge transportieren Wirkstoffe

HOMBURG / ST. INGEBERT. Mit winzig kleinen Molekülen in der Größe von weniger als einem tausendstel Millimeter arbeitet die Medizin schon seit Dekaden. Doch erst seit einigen Jahren können Forscher praktisch nach Belieben an den Winzlingen herumbasteln. Bald lassen vielleicht diese Partikel Tumoren schrumpfen oder stoppen Lungen- und Darmkrankheiten.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Formeln kleiner Moleküle, projiziert auf die elektronenmikroskopische Aufnahme von Neuronen.

Formeln kleiner Moleküle, projiziert auf die elektronenmikroskopische Aufnahme von Neuronen.

© Foto: Science / Isabella A. Graefe

Die Nanomedizin ist prinzipiell in der Lage, einige Probleme der modernen Pharmakologie zu lösen: Wie bringt man etwa eine Arznei, die inhaliert werden soll, in den Körper, ohne dass sie an der Lungenoberfläche hängen bleibt? Wie kommt ein Molekül Erbsubstanz bei einer Gentherapie dorthin, wo es hin soll, und nur dort hin? Wie lassen sich sehr wirksame Bestandteile des Immunsystems gezielt als Medikamente nutzen, ohne dass andere Körperfunktionen beeinträchtigt werden? Nanopartikel könnten hier Abhilfe schaffen: Sie sind klein und kommen fast überall hin. Dabei können sie therapeutische Substanzen mitnehmen.

Damit sich Nanopartikel jedoch für medizinische Zwecke eignen, ist eine Eigenschaft ganz wichtig: Sie müssen sich gezielt in den kranken Organen und Geweben anreichern. Ist ein solches Trägerpartikel im Nanomaßstab gefunden, können Ärzte es mit einem Arzneimittel koppeln. Dadurch wird der Wirkstoff gezielt dorthin gebracht, wo er benötigt wird, erläutert Professor Claus- Michael Lehr vom Institut für Biopharmazie und Pharmazeutische Technologie an der Universität des Saarlands.

Arzneidepots sollen in der Lunge angelegt werden

Ein Beispiel ist das Projekt NanoInhale, an dem Lehr derzeit arbeitet. "Damit wollen wir per Inhalation Arzneimitteldepots in der Lunge anlegen, die den Wirkstoff dann langsam freisetzen", so Lehr. Er sucht gerade ein Nanopartikel, das die Grenze zwischen Luft und Lungengewebe überwinden kann und sich dann in der Lunge ablagert. "Natürlich müssen das Materialien sein, die vom Körper mit der Zeit abgebaut werden", sagt Lehr.

Kandidaten dafür sind etwa jene Kunststoffe, die Chirurgen schon seit Jahrzehnten als Nahtmaterial verwenden. Sie heißen Polymilchsäure oder auch Polyglykolsäure. Lehr hat mit solchen Kunststoffen bereits gute Erfahrungen gesammelt: Er hat sie an ein entzündungshemmendes Medikament gekoppelt, das sich damit in Darmgewebe anreichert: "Hieraus könnten sich einmal neue Therapien für Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen ergeben", betont Lehr.

Nicht auf Kunststoffe, sondern auf Gold als Trägersubstanz im Nanometermaßstab setzt Dr. Robert Lemor vom Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik in St. Ingbert.

Kunststoffe und Gold dienen Forschern als Trägersubstanz.

So koppeln Lemor und seine Kollegen in dem EU-geförderten Projekt "Adonis" die winzigen Goldmoleküle an Antikörper, die gegen das Prostata-spezifische Antigen (PSA) gerichtet sind. "Das ist eine wichtige Struktur beim Prostatakrebs. Das Gold reichert sich mithilfe der Antikörper in dem Tumorgewebe an, aber nicht in angrenzendem, gesundem Gewebe", erläutert Lemor.

Am Fraunhofer-Institut ist man im Augenblick vor allem daran interessiert, das Gold als Kontrastmittel für Ultraschalluntersuchungen der Prostata zu nutzen. Mit einem Laserimpuls wird das im Prostata-Tumor angereicherte Gold kurz und dezent erhitzt. Dabei entsteht eine Druckwelle, die mit dem Ultraschallkopf nachgewiesen werden kann. Mit speziellen Geräten lassen sich dabei hoch aufgelöste Ultraschallbilder des Tumorgewebes erzeugen.

"Ein interessanter Aspekt der Nanomedizin besteht darin, dass Nanopartikel nach der Diagnose auch zur Therapie genutzt werden können, wenn sie einmal am Ort sind", so Lemor. An seinen Goldpartikeln lässt sich das gut illustrieren: Nach der Ultraschalldiagnostik könnten die Goldpartikel mit weiteren, stärkeren Laserimpulsen beschossen werden. Die dadurch entstehende Hitze würde das umliegende Tumorgewebe schädigen und könnte den Krebs auf diese Weise zurückdrängen.

"Leider ist es im Moment noch nicht so leicht, Entwicklungen der Nanomedizin in die Praxis zu überführen", sagt Lehr. Es hakt an mehreren Stellen. So sind die Zulassungsprozesse lang und stellen enorme finanzielle Anforderungen an Unternehmen, die einen nanomedizinischen Wirkstoff entwickeln möchten. "Aber nicht nur die Zulassungsbehörde, auch die pharmazeutische Industrie muss umdenken", sagt Lehr.

Vielen Unternehmen fehlen geeignete Forschungskonzepte

Für die Aufgabe, zu einer wirksamen Substanz auch gleich noch ein passendes Trägermolekül zu entwickeln, haben viele Unternehmen noch kein geeignetes Forschungs- und Entwicklungskonzept. Lehr: "Wir schaffen es, Menschen auf den Mond zu schicken, aber wir haben es immer noch nicht geschafft, ein Gen vernünftig in eine Zelle zu bekommen."

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