Bisher wenig Anhalt für Nutzen der Zelltherapie bei ALS

BERLIN (gvg). Wie andere Verzweifelte vor ihm hat es der Maler Jörg Immendorff jetzt mit einer Therapie mit embryonalen Zellen versucht (wir berichteten). Doch die Chance, daß sich seine amyotrophe Lateralsklerose (ALS) dadurch aufhalten läßt, ist gering. Hoffnungsvolle Ergebnisse von Tierversuchen ließen sich bisher nicht in Studien mit Patienten bestätigen.

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Immendorffs chinesischer Arzt Huang Hongyun vom West-Berge-Krankenhaus in Peking ist nicht der erste, der embryonale Zellen kommerziell nutzt, um die ALS zu besiegen. Bereits vor drei Jahren machte das Unternehmen EmCell aus Kiew in der Ukraine von sich reden, das nach eigenen Angaben 61 ALS-Patienten intravenös mit embryonalen Stammzellen behandelt hat.

Der klinische Wirknachweis für die Zelltherapie von ALS-Patienten fehlt, doch das heißt nicht, daß es zur Zelltherapie bei ALS überhaupt keine ermutigenden Forschungsergebnisse gäbe. Es gibt sie, allerdings nur im Tierversuch und keineswegs nur für embryonale Stammzellen.

So konnten Wissenschaftler bereits vor fünf Jahren nachweisen, daß mononukleäre Zellen aus menschlichem Nabelschnurblut oder auch Stammzellen aus menschlichem Knochenmark bei SOD1-Mäusen die Lebenszeit dosisabhängig von wenigen Monaten auf ein Jahr und mehr verlängerten. SOD1-Mäuse haben einen Defekt im Enzym Superoxiddismutase (SOD), der eine ALS-ähnliche Erkrankung hervorruft. Auch bei Menschen sind seltene, familiäre Formen der ALS mit einem SOD1-Defekt bekannt.

Versuche, bei ALS-Patienten mit diesen Zellen einen ähnlichen Effekt wie bei Mäusen zu erreichen, scheiterten jedoch. Forscher setzen deswegen zunehmend auf embryonale Zellen unterschiedlicher Art, darunter neuronale Vorläuferzellen aus dem fetalen Rückenmark. Das Problem: So lange nicht genau bekannt ist, was eigentlich pathophysiologisch bei der ALS passiert, sind Zelltherapien immer Versuchsballons.

So haben Jeffrey Rothstein und Evan Snyder, die die bahnbrechenden Experimente mit Stammzellinjektionen bei ALS-Mäusen gemacht haben, kürzlich in der Zeitschrift "The Lancet" darauf hingewiesen, daß die Bedeutung der Gliazellen bei ALS wahrscheinlich größer ist als bisher angenommen.

Wenn das stimmt, dann sind neuronale Vorläuferzellen, die nur oder überwiegend Nervenzellen bilden, möglicherweise das falsche Mittel, auch wenn es sich bei ALS gemäß Lehrbuchmeinung um eine Erkrankung der Alpha-Motorneuronen handelt.

      Im Riechsystem werden lebenslang Neuronen gebildet.
   

Die olfaktorischen Hüllzellen (olfactory ensheathing cells, OEC), die der Chinese Hongyun in Peking verwendet, sind dagegen keine Nervenzellvorläufer, sondern Gliazellen des Riechsystems, die ähnlich wie periphere Schwann-Zellen und zentralnervöse Astrozyten Markscheiden ausbilden können.

Das Riechsystem gehört zu den wenigen Orten, wo bei Menschen lebenslang in größerem Umfang neue Nervenzellen gebildet werden und ständig Nervenzellfortsätze sprießen. Die OEC sind deswegen große Hoffnungsträger für die Behandlung von querschnittsgelähmten Menschen, weil sie durchtrennte Nervenfasern des Rückenmarks dazu bringen könnten, sich zu regenerieren. Entsprechende Tierversuche wurden in den vergangenen Jahren von mehreren Forschergruppen mit Erfolg gemacht.

Auch in China sind die Patienten vor allem querschnittgelähmte Unfallopfer. Ebenfalls wissenschaftlich diskutiert wird die Verwendung von OEC-Zellen bei Patienten mit demyelinisierenden Erkrankungen wie multipler Sklerose. Die Verwendung von OEC bei ALS dagegen beruht bisher lediglich auf Vermutungen. Die Suchmaschine der Forschungsdatenbank PubMed findet zum jetzigen Zeitpunkt keinen einzigen Eintrag zu der Suchwortkombination "olfactory ensheathing cells" und "ALS".

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