Dänische Langzeitanalyse

Immer mehr Frauen erkranken an MS

Die MS-Inzidenz hat sich bei Frauen in Dänemark in den vergangenen 60 Jahren mehr als verdoppelt, unter älteren Frauen sogar vervierfacht. Nach den Resultaten einer dänischen Langzeitanalyse ist das Risiko bei Männern aber nur moderat gestiegen.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
An den Rollstuhl gefesselt: Die meisten MS-Erkrankungen werden nach wie vor im Alter von 30 bis 40 Jahren registriert.

An den Rollstuhl gefesselt: Die meisten MS-Erkrankungen werden nach wie vor im Alter von 30 bis 40 Jahren registriert.

© tatomm / stock.adobe.com

AARHUS. In Industrieländern leben immer mehr Menschen mit einer Multiplen Sklerose. So deutet der im Dezember aktualisierte Versorgungsatlas des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung in Deutschland auf eine Zahl von etwa 240.000 MS-Kranken – das wären doppelt so viele wie noch vor 40 Jahren.

Ein Teil des Anstiegs lässt sich sicher mit einer besseren Diagnose und Therapie erklären – eine MS wird heute früher und zuverlässiger diagnostiziert, auch leben die Patienten deutlich länger als noch vor einigen Dekaden.

Analyse dänischer Registerdaten

  • Die MS-Inzidenz hat sich in Dänemark bei Frauen binnen 60 Jahren verdoppelt, ergab die Daten-Auswertung.
  • Bei Männern ist danach die MS-Inzidenz in dieser Zeit nur moderat gestiegen.
  • Einschränkung: Die MS- Diagnostik hat sich mit der Zeit verbessert, die Diagnosekriterien wurden mehrfach geändert.

Allerdings steigt nicht nur die Prävalenz, sondern auch die Inzidenz. Darauf deuten die Ergebnisse von einer zunehmenden Zahl von Registeranalysen, vornehmlich aus skandinavischen Ländern. Nach Resultaten einer dänischen Langzeitanalyse hat sich die MS-Inzidenz im Laufe von 60 Jahren fast verdoppelt, und dieser Anstieg traf vor allem Frauen (Neurology 2018; online 2. Mai).

Register aller MS-Fälle seit 1948

Für ihre Analyse haben Forscher um Dr. Nils Koch-Henriksen von der Universität in Aarhus Angaben des nationalen dänischen MS-Registers ausgewertet. Dieses umfasst sämtliche MS-Erkrankungen in dem Land seit dem Jahr 1948.

Die Forscher berücksichtigten alle bestätigten MS-Diagnosen in den Jahren 1950 bis 2009, und zwar nach den jeweils gültigen Kriterien. Diese haben sich im Laufe der Jahrzehnte allerdings mehrfach geändert.

Über den gesamten Zeitraum fanden sie knapp 20.000 MS-Diagnosen und kamen so auf eine Inzidenz von 6,5 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner und Jahr, 8,3 unter Frauen sowie 4,8 bei Männern. Die Inzidenz – jeweils bezogen auf 100.000 Einwohner und Jahr – unterschied sich jedoch in den einzelnen Dekaden deutlich: In den 1950er-Jahren betrug sie 5,4 und blieb bis in die 1970er-Jahre weitgehend stabil, stieg dann aber deutlich auf 9,4 in den 2000er-Jahren an.

Besonders ausgeprägt war der Zuwachs bei Frauen, der Wert hat sich innerhalb von vier Dekaden mehr als verdoppelt, und zwar von 5,9 in den 1970er- auf 12,3 in den 2000er-Jahren.

Hoher Zuwachs im Alter über 50

Unter Männern nahm die Inzidenz weniger stark zu, im selben Zeitraum von 3,9 auf 6,1 pro 100.000. Entsprechend stieg der Frauenanteil bei den MS-Neuerkrankungen ebenfalls deutlich. So erhöhte sich das Verhältnis von Frauen zu Männern seit den 1950er-Jahren von 1,3 auf nunmehr 2,0. Verschiebungen gab es auch in den verschiedenen Altersstufen: Der Anteil älterer Menschen bei den MS-Neudiagnosen hat deutlich zugenommen.

Die meisten Erkrankungen werden zwar nach wie vor im Alter von 30–40 Jahren registriert. Hier hat sich die Inzidenz bei Frauen im Laufe von 60 Jahren praktisch verdoppelt und beträgt jetzt knapp 28; weitgehend konstant um zwölf Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner pendelt der Wert seit Beginn des Registers bei Männern dieser Altersstufe.

Auffallend ist jedoch ein deutlicher Anstieg der Inzidenz von 1,7 auf 7,5 bei Frauen über 50 Jahren und von 1,6 auf 4,4 bei Männern in diesem Alter. Die MS-Inzidenz unter älteren Frauen hat sich also mehr als vervierfacht, die unter älteren Männern knapp verdreifacht, ist verglichen mit der Inzidenz in jüngeren Jahren aber noch immer recht niedrig.

Gehäuft sensorische Symptome

Aufgefallen ist den Forscher um Koch-Henriksen zudem, dass in den vergangenen drei Jahrzehnten zum Krankheitsbeginn vermehrt sensorische Symptome oder Beschwerden durch Hirnstammläsionen aufgetreten sind.

Die Wissenschaftler schauten auch nach Unterschieden bezogen auf die Geburtsmonate. So hatten zwar weniger MS-Kranke im November und Dezember ihren Geburtstag als in den übrigen Monaten, die Unterschiede waren jedoch nicht signifikant.

Eine Erklärung für die steigende Inzidenz von MS lässt sich aus den Daten nicht destillieren. Die bessere Diagnostik mit der Einführung der MRT sowie neue MRT-basierten Diagnosekriterien mögen einen Beitrag dazu geleistet haben, könnten den Anstieg aber nicht gänzlich erklären, schreiben die Neurologen um Koch-Henriksen. Schließlich sei die Inzidenz bereits vor Verwendung der MRT zur MS-Diagnose in die Höhe geschossen.

Die Forscher verweisen allerdings auf eine Zunahme von MS-Risikofaktoren in der Bevölkerung wie Rauchen, Adipositas oder weniger Bewegung im Freien. Auch ein Rückgang schwerer Infektionen sowie ein höheres Alter der Frauen bei der ersten Schwangerschaft könnten relevante Faktoren sein.

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