Gegen Arzneifälschungen

Neue EU-Vorgaben wirken nicht nur positiv

Rezeptpflichtige Arzneimittel müssen ab 2019 fälschungssicher sein. Dafür hat die EU ein ausgeklügeltes Sicherungssystem entwickelt. Rund zwei Milliarden Euro kostet die Umstellung allein die deutsche Pharmaindustrie. Kosten, die auch zu Marktaustritten führen werden.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Ist die Packung unversehrt? Apotheker müssen künftig auf die Fälschungssicherungsmerkmale achten.

Ist die Packung unversehrt? Apotheker müssen künftig auf die Fälschungssicherungsmerkmale achten.

© pix4U / stock.adobe.com

Brüssel. In der Folge der neuen EU-Vorgaben für den Fälschungsschutz bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln könnte sich eine Reihe von pharmazeutischen Unternehmen aus diesem Segment zurückziehen.

Das erwartet Dr. Hermann Kortland, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH). "Es wird eine Marktbereinigung geben", sagte Kortland vor Journalisten in Bonn.

Nach der Fälschungsschutzrichtlinie der EU dürfen die Hersteller ab dem 9. Februar 2019 nur noch verschreibungspflichtige Arzneimittel in den Verkehr bringen, die über zwei Sicherheitsmerkmale verfügen: einen Erstöffnungsschutz, der zeigt, ob die äußere Hülle eines Medikamentes manipuliert worden ist, sowie ein individuelles Erkennungsmerkmal zur Überprüfung der Echtheit des Arzneimittels und der Identifizierung einzelner Packungen. Für Mittel, die an dem Stichtag bereits im Markt sind, wird bis zum Verfallsdatum eine Aufbrauchfrist gelten.

Verpflichtender Data-Matrix-Code

Von einzelnen Ausnahmen abgesehen müssen künftig alle Packungen verschreibungspflichtiger Präparate mit einem Data-Matrix-Code versehen sein, der die Pharmazentralnummer, die Chargennummer, das Ablaufdatum und eine Seriennummer enthält – alle Angaben müssen zudem in Klartext aufgedruckt werden. Sie werden fünf Jahre in einer Datenbank gespeichert.

Die Pharmagroßhändler verifizieren dann die Echtheit einzelner Packungen. Apotheker und Krankenhausapotheker müssen vor der Abgabe jedes Arzneimittels prüfen, ob die Packung unversehrt ist, und den Code mit einem Scanner einlesen. Die Angaben werden automatisch mit der Datenbank abgeglichen. Für niedergelassene Ärzte ändert sich nichts, sie müssen die Packungen in den Praxen nicht gesondert prüfen.

Die Sicherheitsmaßnahmen werden in den 28 EU-Staaten implementiert sowie in Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz. In Deutschland ist der von Verbänden von Pharmaherstellern, Großhändlern und Apothekern gegründete Verein Securpharm für den Aufbau des Systems zuständig.

Es ist mit hohen Kosten verbunden. Schätzungen gehen von 1,5 Milliarden Euro bis 2 Milliarden Euro für die deutsche Pharmaindustrie aus (wir berichteten kurz). Rund 2000 Produktionslinien müssen umgerüstet werden, erläuterte Kortland. "Pro Linie kostet das 100.000 Euro bis 120.000 Euro."

Von den 450 Unternehmen, die in Deutschland verschreibungspflichtige Arzneimittel herstellen, hätten rund 80 nur wenige im Angebot. Sie müssten genau rechnen, ob sich der Aufwand für sie lohnt. "Wir schätzen, dass von den 450 etwa 350 bis 380 mitmachen werden." Die anderen werden die Arzneimittel vom Markt nehmen oder an Wettbewerber verkaufen.

Die Einführung des Systems sei für die beteiligten Verbände und die Unternehmen mit einem sehr hohen technischen, regulatorischen und organisatorischen Aufwand verbunden, betonte der BAH-Manager. "Dass wir den Zeitplan einhalten können, erfordert immer wieder Anstrengungen von allen Seiten." Deutschland sei mit dem Securpharm-System weiter als alle anderen Länder.

200 Pharmafirmen machen bei Pilotprojekt mit

Zurzeit beteiligen sich im Pilotbetrieb 200 Pharmaunternehmen, ungefähr 2750 Produkte von 45.000 bis 50.000 sind bereits umgestellt. Das betrifft 40 Millionen der 750 Millionen Packungen im Markt, berichtete Securpharm-Geschäftsführer Martin Bergen. Die Prüfung läuft in 380 Apotheken. Es bleibt also noch viel zu tun. "Wir müssen rund 25.000 Nutzer anbinden."

Ab September 2018 sollen alle Apotheker angeschlossen werden können. "Wir appellieren an alle, sich möglichst frühzeitig anzubinden", sagte Bergen. Das ermögliche es, die internen Abläufe zu testen, bevor das System scharf geschaltet wird.

Für OTC-Mittel gelten die Maßnahmen nicht. Ausnahmen werden in einer sogenannten Black List festgehalten. Bislang ist dort nur der Wirkstoff Omeprazol festgehalten. "Dort hat es schon ernsthafte Fälschungen gegeben", berichtete Bergen. Er geht aber davon aus, dass die Liste länger wird. "Meine Erwartung ist, dass wir bei den Fälschungen eine Verlagerung auf den verschreibungsfreien Bereich feststellen werden."

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