Hilde Mattheis im Exklusiv-Interview

"Das ist nicht auf Fingerschnippen hinzukriegen"

"Die Pflege eignet sich nicht für dogmatische Ansätze", betont Hilde Mattheis im Exklusiv-Interview mit der "Ärzte Zeitung". Außerdem spricht die SPD-Gesundheitspolitikerin über bittere Pillen bei der GKV-Reform, Deadlines für den GBA und warum bei der E-Card Gas gegeben werden muss.

Veröffentlicht:
Hilde Mattheis bei ihrer Rede am 4. Juli im Bundestag.

Hilde Mattheis bei ihrer Rede am 4. Juli im Bundestag.

© Soeren Stache / dpa

Ärzte Zeitung: Die neue Krankenversicherungsfinanzierung (FQWG) muss nur noch durch den Bundesrat. Man hätte sich eigentlich mehr Widerstand von der SPD erwartet in dem Punkt, dass die Versicherten einen Großteil der Beitragssteigerungen künftig alleine tragen müssen.

Hilde Mattheis: Das ist eine ziemlich bittere Pille, die wir da schlucken müssen. Das muss ich schon sagen. Meine Äußerungen waren immer dahingehend, dass dieses Festschreiben von Arbeitgeberbeiträgen und die Beitragssatzerhöhungen ausschließlich zu Lasten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht die Grundposition der SPD ist.

Von daher haben Sie mich nie jubeln hören. Ich vertraue darauf, dass wir 2017 den nächsten Schritt machen können. Und der nächste Schritt wäre zurück in die tatsächliche Parität. Natürlich bleibt unser Ziel die Bürgerversicherung.

Der zweite Schwerpunkt des FQWG ist das Qualitätsinstitut. Welchen Zeithorizont stellen Sie sich vor, bis so ein Institut arbeitsfähig ist?

Hilde Mattheis (SPD)

Aktuelle Position: Gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag.

Werdegang/Ausbildung: Mattheis ist studierte Pädagogin und war Lehrerin an Grund- und Hauptschulen.

Karriere: Mattheis gehört seit 2002 dem deutschen Bundestag an; Vorsitzende des Forums Demokratische Linke (DL 21)

Privates: Geboren 1954 in Finnentrop; Hilde Mattheis ist verheiratet und hat zwei Töchter.

Mattheis: Ich habe an der einen oder anderen Stelle schon Kritik angebracht, dass manche Arbeitsaufträge des Gesetzgebers nur sehr schleppend umgesetzt werden. Ich habe den Eindruck, dass der eine oder andere Hinweis des Gesetzgebers sehr unterstützend für die Arbeitsweise wirkt.

Ich nenne hier keinen Zeithorizont, aber Sie können davon ausgehen, dass dieses Qualitätsinstitut sehr zügig aufgebaut werden wird.

Welche anderen Aufträge an den GBA sähen Sie gerne beschleunigt?

Mattheis: Ich will es bei dem generellen Hinweis belassen. Ich glaube, bei manchen Dingen ist es ganz wichtig, dass man sie im Hintergrund miteinander bespricht. Herr Hecken (unparteiischer Vorsitzender des GBA, d. Red.) hat im Ausschuss bereits gesagt, dass auch er sich an der einen oder anderen Stelle wünsche, dass der Gesetzgeber Deadlines formuliere.

Soll der Gesetzgeber auch bei der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) eine Deadline markieren?

Mattheis: Das haben wir im Koalitionsvertrag sehr allgemein formuliert. Und das wird sicherlich ein Thema sein, dem wir uns in der zweiten Jahreshälfte auch widmen müssen. Für uns steht fest, dass eine solche Gesundheitskarte, die ja viel leisten soll, so etwas wie eine absolute Sicherheit für Patientinnen und Patienten haben soll. Das ist nicht auf Fingerschnippen hinzukriegen.

Lassen sich aus dieser Antwort Sicherheitsbedenken heraushören?

Mattheis: Ja, im Zeitalter der NSA, und allem, was da dran hängt, haben diese Sicherheitsfragen noch einmal an Bedeutung gewonnen. Ich meine, die Öffentlichkeit ist sensibilisiert, und da werden wir als Gesetzgeber insbesondere darauf achten, dass die Datenerhebung und der Datengebrauch von so einer Gesundheitskarte nicht in irgendeiner Weise Sicherheitsmängel aufweist. Das ist doch klar.

Wird das geplante E-Health-Gesetz auch ein Beschleunigungsgesetz für die elektronische Gesundheitskarte?

Mattheis: Den Ausbau der elektronischen Gesundheitskarte noch einmal bis in die nächste Legislaturperiode schleifen zu lassen, kann ich mir gar nicht vorstellen. Denn er wäre ja auch von Vorteil für die Patienten. Das ist ja auch eine Debatte über Fragen, wie kommt man weg von Doppeluntersuchungen, wie kommt man hin zu für Leistungserbringer sehr schnell zugängliche Informationen über Patientinnen und Patienten.

Dass man daran einen sehr hohen Sicherheitsanspruch legen muss, ist auch klar.

Was das Qualitätsinstitut leisten soll, hängt ja auch in gewisser Weise davon ab, ob man Daten nachverfolgen kann, zum Beispiel zwischen den Sektoren.

Mattheis: Folgende Fragen finde ich spannend: Wie kriegt man die Anonymisierung der Daten hin? Wo ist dann der Knackpunkt, an dem man die Einsicht bekommt in personenbezogene Daten? Da wird es spannend. Und im Zusammenhang damit kann ich mir vorstellen, dass auch die Debatte über die eGK wieder an Fahrt gewinnt.

Es gibt das Gutachten des SVR. Und daraus geht deutlich hervor, dass wir ein weiteres Versorgungsstrukturgesetz brauchen. Wie stellt sich die SPD dazu?

Mattheis: Es steht im Koalitionsvertrag mit einem starken Akzent, dass wir ein weiteres Versorgungsstrukturgesetz haben wollen. Dabei soll es nicht nur um die hausärztliche Versorgung, sondern auch um die ganzen Strukturen der Integrierten Versorgung gehen. Das soll ein Schwerpunktthema im nächsten Halbjahr werden. Ich hoffe, neben der Prävention.

Sehen Sie das Thema Generationengerechtigkeit in der Pflegereform richtig gewichtet?

Mattheis: Wir sehen den sogenannten Pflege-Vorsorge-Investitionsfonds kritisch. Das ist kein Pawlowscher Reflex. Wenn wir jetzt diese 1,2 Milliarden Euro im Jahr anlegen, haben wir 2035 einen Realwertverlust von mehreren Milliarden Euro. Das muss man einfach realistisch sehen. Stichwort Generationengerechtigkeit: Ich möchte auch, dass die Zukunft generationengerecht ist. Aber ich möchte nicht, dass das Geld verschleudert wird.

Wieso verschleudert?

Mattheis: Wenn ich im Pflegebereich in eine generationengerechte Zukunft investieren will, mache ich das besser, indem ich in Personal investiere. Das ist unser Vorschlag. Wissen Sie, ich halte sehr viel davon, dass Politik immer dazu lernt, und nicht in Gräben verharrt. Ich glaube, dass sich die Pflege nicht für dogmatische Ansätze eignet. Deshalb würden wir Investitionen in mehr Pflegepersonal gerne in der Debatte halten.

Ist es da von Nachteil, dass das Pflegeberufegesetz im Familienministerium gemacht wird?

Mattheis: Da sind wir trotzdem dabei. Zudem ist das ein Punkt, der mit den Ländern abgestimmt werden muss. Ich glaube, dass die Länder ein großes Interesse daran haben, dass wir, was diese Ausbildungsberufe angeht, uns auf den Weg machen. Eine generalistischere Ausbildung ist ja unser eigentliches Vorhaben. Ein duales Ausbildungssystem in diesem Bereich ist ja überfällig. Da würde sich wieder der Bogen schließen zum Thema Investitionen.

Messen Sie dem Widerstand Bedeutung zu , den es aus der Altenpflege an der geplanten Generalistik gibt?

Mattheis: Wir haben in der letzten Legislaturperiode mit allen Trägern ein Konzept für die Ausbildung erarbeitet. Damals waren sich alle einig. Ich glaube, es geht darum, den Trägern die Angst zu nehmen, dass sie für ihren Bereich der Altenpflege nicht mehr genügend Auszubildende rekrutieren können, falls wir eine generalistischere Ausbildung hätten. Ich glaube, anders herum wird ein Schuh daraus. Das Interesse an diesem Beruf wird wachsen und nicht nachlassen.

Werden im Zuge der Klinikreform Ihrer Meinung nach auch Kliniken in Ballungszentren aus der Planung genommen?

Mattheis: Das müssen vor allem die Länder erledigen. Das ist ein Anspruch, den ich als Bundespolitikerin gerne an die Landes- und Bezirkspolitiker weitergeben möchte. Sie müssen, was Versorgungsstruktur und -sicherheit anbelangt, vor Ort handeln, auch wenn das an der einen oder anderen Stelle weh tun könnte. Wichtig ist, dass man Rahmenbedingungen schafft - das ist unser Job - und formuliert, welche Merkmale eine solche regionale Planung beachten muss.

Wie stehen Sie zum Strukturfonds?

Mattheis: Die Länder fordern ihn jetzt wieder. Das finde ich in Ordnung. Ich habe den Eindruck, dass wir Gesundheitspolitiker diesen Fonds auch gerne hätten.

Hat der Fonds noch eine Chance?

Mattheis: Wenn es dafür auch nur die kleinste Chance gibt, muss man sie dringend nutzen. In Herrn Schäubles Gedanken dazu kann ich allerdings nicht hineingucken.

Wie schätzen Sie das erste Halbjahr der zweiten Großen Koalition ein?

Mattheis: Ich glaube, dass die gesundheitspolitische Halbjahresbilanz sich sehen lassen kann.Wir haben sehr viel konkret ausgemacht im Gesundheitsbereich und auch schon Einiges konkret umgesetzt. Ein großes Stück Arbeit liegt noch vor uns, wenn ich an die Versorgungsstrukturen und an die Pflegereform, vor allem die Neudefinition des Pflegebegriffs denke.

Das Interview führte Anno Fricke

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