Falsch-positive Diagnosen vermeiden
Demenz im Frühstadium erkennen: Auf welche Symptome zu achten ist
Gedächtnislücken oder Vergesslichkeit sind meist die ersten bemerkbaren Symptome, an die bei einer frühen Demenz gedacht wird. Das mag für Morbus Alzheimer auch stimmen, doch wie man andere Demenzformen schon im Frühstadium erkennt, war beim DEGAM-Kongress Thema.
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gegen das Vergessen
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Hannover. Gerade im Frühstadium eine Demenz zu erkennen, erweist sich oft als knifflig. Zu ungenau wirken oft die Symtome, zu viele Differenzialdiagnosen lassen sicht stellen. Wie sich die verschiedenen Demenztypen gerade zu Beginn der Erkrankung äußern und erkennen lassen, war Thema eines Workshops beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM). Den Workshop leitete Privatdozent Dr. Martin Berwig vom Universitätsklinikum Magdeburg.
2009 stellte die deutsch-österreichische Studie AgeCoDe fest, dass nur ein Viertel der in der Hausarztpraxis gestellten Demenzdiagnosen auch tatsächlich zutrifft (Dement Geriatr Cogn Disord; online 2009). Somit kam es vermehrt zu falsch-positiven Ergebnissen.
Berwig nannte unter anderem Probleme mit der Mobilität und dem Gehör, das Alter, subjektive Gedächtnisprobleme, eine dokumentierte Depression oder einen niedrigen Bildungsstatus als Faktoren, die zu einer falsch-positiven Bewertung führen können.
„Ist das Label Demenz einmal da, dann kriegt man es in der Regel nicht mehr weg“, fasste Berwig zusammen. Die Folgen für die Betroffenen sind oft eine Stigmatisierung durch das eigene Umfeld und Fachpersonal des Gesundheitswesens.
Neugedächtnis
Anders als das Altgedächtnis, das Informationen aus der Vergangenheit speichert, befasst sich das Neugedächtnis mit der Aufnahme neuer Informationen. Störungen des Neugedächtnisses führen dazu, dass keine neuen Gedächtnisinhalte gespeichert werden können. Das Altgedächtnis kann in diesen Fällen hingegen unversehrt bleiben. Beim Neugedächtnis handelt es sich nicht um das Kurzzeitgedächtnis.
Symptome richtig interpretieren
Morbus Binswanger bzw. subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie SAE (vaskuläre Demenzform): Im Gegensatz zu Morbus Alzheimer sind die ersten Symptome bei dieser Form körperlich-neurologischer Natur. Als eines der ersten Symptome einer SAE zählt die Ausbildung einer Gangstörung (Lower-Body-Parkinsonismus), wie Berwig während des Vortrags erklärt. Zwar seien früher oder später auch Gedächtnisprobleme vorhanden, aufgrund gestörter Vorfeldfunktionen; eine Veränderung des Ganges der Patienten, die sich anders nicht erklären ließen, sei ein guter Hinweis.
Zum klinischen Profil gehören eine psychomotorische Verlangsamung, Erschöpfbarkeit, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, Antriebsminderung und Aspontanität. In einem Fallbeispiel weist Berwig darauf hin, dass die Betroffenen in manchen Momenten vergesslich wirken, in anderen jedoch wieder regulär in ihrem Auftreten und Verhalten sind.
Frontotemporale Demenz (verhaltensbetonte Variante): Berwig veranschaulicht die frontotemporale Demenz anhand des Falles eines 49-jährigen Familienvaters. Zu Beginn der Erkrankung äußerte er sich scheinbar depressiv, hypochondrisch und interessenlos. Dadurch sei eine Verwechslung mit einer affektiven Störung nicht abwegig, hieß es in dem Vortrag. Auch eine gewisse Unruhe und Hyperaktivität unter Spannung können auftreten.
Als Leitsymptom gilt vor allem die zunehmende Beeinträchtigung der sozial-kognitiven Fähigkeiten. „Oft melden sich erst die Partnerin oder der Partner, da sich Probleme in der Beziehung ergeben“, erzählt Berwig. Sowohl die Gedächtnisfunktionen als auch die Orientierungsfähigkeit bleiben hingegen relativ gut erhalten (es liegt keine Neugedächtnisstörung vor).
Alzheimer-Demenz: Im Frühstadium betrifft M. Alzheimer zunächst vor allem die Fähigkeit, neue Inhalte aufzunehmen bzw. abzuspeichern. Das Neugedächtnis ist in diesem Fall also betroffen, spezifiziert Berwig. Weitere obligate Symptome wie Aphasie, Apraxie, Agnosie und Störungen der Exekutivfunktionen kämen erst später hinzu.
Pseudodemenz: Gedächtnisschwierigkeiten können auch Symptom einer Depression sein. In diesem Fall sind mangelnde Konzentrationsfähigkeit oder mangelnder Antrieb die Ursache. Es handelt sich dabei nicht um eine Neugedächtnisstörung, sondern um eine Abrufproblematik.
Bekannte Merkmale einer Pseudodemenz sind das rasche Einsetzen und die fluktuierende Auswirkung der Symptome. Der Beginn geht häufig mit einer Depression einher, was sich wiederum durch eine Besserung der Symptome unter antidepressiver Therapie zeigt. In der Regel sei die Antriebsstörung stärker ausgeprägt als die kognitive Störung. (help)