Besonders ältere Patienten gefährdet

Wie Hitzewellen die Arbeit in der Praxis beeinflussen

Das Bewusstsein für die Gefahren, die anhaltende Hitze mit sich bringt, steigt in der Gesellschaft. Während eine Studie mehr Abrechnungen in der Hausarztpraxis bei höheren Temperaturen verzeichnet, weist eine andere darauf hin, dass viele Patienten trotz Beschwerden zögerlich sind, sich von sich aus bei ihren Hausärzten zu melden.

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Eine ältere Dame versucht sich zu kühlen mittels Fächer und Taschentuch.

Besonders Seniorinnen und Senioren, die alleine und in städtischen Gebieten leben, sind bei anhaltenden Hitzeperioden gefährdet.

© solidcolours/Getty Images/iStock

Hannover. Die Auswirkungen extrem heißer Sommer auf die allgemeine Patientengesundheit sind in deutschen Hausarztpraxen zunehmend bekannt. Wie sich das Bewusstsein für das Gesundheitsrisiko starker Hitze genau auf die Arbeit in den Praxen auswirkt, haben zwei Studien untersucht, deren Ergebnisse auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) präsentiert wurden.

In einer explorativen Analyse untersuchte das Team um Johannes Nödel den Zusammenhang zwischen Hitze und der hausärztlichen Versorgung. Dafür wurden Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern und Daten des Deutschen Wetterdienstes (gefühlte Temperatur, gT) herangezogen. Dabei konzentrierte sich das Team auf Patientinnen und Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen. Insgesamt wurden über sieben Millionen Patientinnen und Patienten einbezogen, die zwischen 2010 und 2023 in Unterfranken während der Sommerquartale hausärztlich versorgt wurden.

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Die Ergebnisse wurden pro 1.000 Patienten dargestellt. Pro Erhöhung der gT um ein Grad Celsius wurden 3,8 Hauptdiagnosen und 2,8 Dekompensationsdiagnosen mehr gestellt sowie 4,3 EBM-Kodierungen mehr vorgenommen. Pro zusätzlichem Hitzetag über der durchschnittlichen Anzahl von ca. neun Tagen im Quartal nahmen die Hauptdiagnosen um 2,2, die Dekompensationsdiagnosen um 1,6 und die EBM-Kodierungen um 1,8 zu.

Ein klarer Zusammenhang zwischen hohem Alter, Wohnen in der Stadt und vermehrten Kodierungen zeichnete sich ab. Alle Ergebnisse wiesen eine hohe Signifikanz auf. Nödel führte dies auch auf die hohe Datenmenge zurück, die dem Team zur Verfügung stand.

Patienten unterschätzen die eigenen Symptome

Einen direkten Einblick in die Arzt-Patienten-Kommunikation gibt hingegen die Arbeit von Doktorandin Jana Schaffeld, wenn auch mit geringerer Datenmenge. In ihrer Erforschung des Potenzials einer proaktiven Kontaktaufnahme durch die Hausarztpraxis bei älteren Patientinnen und Patienten liefert sie einen Überblick über die Perspektiven der Ärztinnen udn Ärzte, MFAs und Patientinnen udn Patienten.

Dafür wurden qualitative Interviews in sieben Hausarztpraxen im Ruhrgebiet durchegführt. Es wurden jeweils sieben Hauärztinnen oder Hausärzte, sieben MFAs udn sieben Patientinnen und Patienten befragt.

Die Kernaussagen der Befragung waren dabei:

  • Screening: Eine strukturierte Erfassung gesundheitlich gefährdeter Patienten seitens der Praxen findet nicht statt.
  • Hitzebelastung: Andauernde Hitzperioden, generell das Thema Hitzeblastung, nehmen an Bedeutung zu.
  • Proaktive Arbeit: Proaktive Kontaktaufnahme ziur Prävention von Gesundheitsgefährdung durch Hitze wird seitens vieler Praxen als sinnvoll erachtet. Jedoch wird dabei als problematisch gesehen, dass es hierfür an Personal, Vergütung und IT-Programmen mangelt. Auch datenschutzrechtliche Bedenken wurden erwähnt.
  • Risikobewertung: Bei Patienten mangelt es zum Teil am bewusstsein für Risiken extremer Hitze. So berichtete eine der befragten Personen, sie wolle nicht „unnötig belästigen“.
  • Zurückhaltendes Inanspruchnahmeverhalten: Die vorhergehende Kernaussage resultierte häufig in einer späten Kontaktaufnahme mit den Ärzten. Ein Patient äußerte, dass „fünf nach zwölf schon fast zu früh ist“.
  • Hitzebelastung: Patientinnen und Patienten berichteten von einer spürbaren Belastung im Alltag und einer eingeschränkten Lebensqualität aufgrund der länger werdenden Hitzeperioden.
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„Unsere Ergebnisse weisen klar darauf hin, dass Hitze einen größeren Versorgungsaufwand im hausärztlichen Bereich bedingt“, fasst Johannes Nödel zusammen. Angesichts unserer alternden Gesellschaft sollten Hitzeauswirkungen mehr Aufmerksamkeit zuteil werden. Die Arbeit von Jana Schaffeld hingegen weißt darauf hin, dass unter den Patienten Zurückhaltung herrscht sich bei Beschwerden zu melden und zugleich ein Personal bzw Zeitmangel in den Praxen herrscht um von sich aus auf die Bedürfnisse der Patienten einzugehen.

Der Doktorand schlägt vor, sich mittels Schulungen zu diesem Thema weiterzubilden. Hilfreiche Tools für die Praxis sind laut ihm die Heidelberger Hitzetabelle zur Auswahl und Dosierung der Medikation sowie das Hitzemanual des Hausärzteverbandes aus dem Jahr 2023.

Schaffeld ergänzt, dass Hitzeschutzpläne und Empfehlungen zur Vorgehendsweise ja durchaus schon vorhanden seien, es jedoch an deren Umsetzung immer noch magelt. (help)

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