Aerosol-Entwicklung
Die Corona-Infektionsgefahr beim Singen
Bayerische Forscher haben die Corona-Infektionsgefahr in Chören ermittelt, und zwar mit Testreihen zur Aerosol-Entwicklung beim Gesang. Nach ersten Ergebnissen halten sie das gemeinsame Singen unter strikten Schutzmaßnahmen für verantwortbar.
Veröffentlicht:München. Wegen der vielen Ansteckungsfälle bei Chören in den USA, Amsterdam, aber auch in Bayern und Berlin ist in der Corona-Krise Chorsingen sowie gemeinsames Singen etwa in Kirchen bisher weitgehend untersagt.
Der Bayerische Rundfunk (BR) hat sich daher an das LMU Klinikum mit der Frage gewandt, unter welchen Bedingungen und mit welchem Repertoire der künstlerische Betrieb wieder aufgenommen werden könnte – ohne dass die Gesundheit der Chormitglieder gefährdet wird.
Bisher gibt es zu Infektionsrisiken in Gesangsensembles weltweit nur sehr wenig belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse, berichtet das Klinikum in einer Mitteilung. Tätig wurde daher Professor Matthias Echternach, der die Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am LMU Klinikum leitet.
Tests beim Singen und beim Sprechen
Der HNO-Arzt hat gemeinsam mit dem Strömungsmechaniker Dr.-Ing. Stefan Kniesburges vom Uniklinikum Erlangen eine Studie konzipiert. Ermittelt wurde darin die Abstrahlung und Verteilung sowohl von größeren Tröpfchen als auch von Aerosolen – beim reinen Singen, beim Sprechen und beim Singen von Texten.
Die Besonderheit: Im Gegensatz zu Studien, die sich auf Strömungsgeschwindigkeiten von Partikeln bezogen, wurden in diesen Versuchen die Ausbreitung und Verteilung der Tröpfchen und Aerosole im Raum näher untersucht.
Die Wissenschaftler bauten dazu im Studio 2 am BR-Standort Unterföhring zwei Versuchsanordnungen auf. In diesen beiden Settings ließen sie Mitte Mai jeweils zehn Probanden aus dem Chor des BR sowie zehn Bläserinnen und Bläser aus dem BR-Symphonieorchester nacheinander definierte Passagen in verschiedenen Lautstärken singen, sprechen und spielen. Die Datenauswertung zu den Messungen mit den Blasinstrumenten steht noch aus.
Aerosol-Wolken sichtbar gemacht
Das erste Setting bestand aus Hochgeschwindigkeitskameras und Laser-Equipment, womit die Streuung der größeren Tröpfchen untersucht werden konnte: Wie werden sie von Mund und Instrument abgestrahlt, bei welchen Sprech- oder Gesangspassagen wird die größte Menge an Tröpfchen erzeugt?
Im zweiten Setting wurde mit Kameras und Weißlicht gearbeitet, um zu analysieren, wie die noch winzigeren Aerosole Mund und Nase verlassen und wie sich diese in den Raum ausbreiten. Um die Verteilung dieser Kleinstpartikel sichtbar zu machen, inhalierten die Probanden eine Trägerlösung von E-Zigaretten, die dann bei und nach der Stimmgebung im hellen Licht sichtbar war.
Nun liegen erste Teilergebnisse der wissenschaftlich noch unveröffentlichten Studie vor. Darin legen die Wissenschaftler dar, unter welchen Gegebenheiten sie – mit Blick auf Abstände der Sängerinnen und Sänger zueinander und auf die raumklimatischen Verhältnisse – das Singen in Corona-Zeiten für gesundheitlich verantwortbar halten.
Raum muss permanent gelüftet werden
So ergab die Auswertung der Messungen über die abgestrahlten Aerosol-Wolken: Zu ihren Kollegen nach vorne sollten die Chormitglieder einen größeren Abstand einhalten als zur Seite. Immer vorausgesetzt, dass der Raum permanent gelüftet wird und damit die Aerosole regelmäßig durch Frischluft entfernt werden. Besser wäre es zudem noch, wenn es zwischen den Sängerinnen und Sängern Trennwände gäbe.
„Wir haben nach vorne hin im Mittel Abstände von etwas weniger als einem Meter für den gesungenen Text gemessen, einige Sänger erreichten allerdings auch Weiten von 1 bis 1,5 Meter, sodass Sicherheitsabstände von 1,5 Metern wohl zu gering sind und Abstände von 2 bis 2,5 Meter sinnhafter erscheinen.
Die Daten beziehen sich allerdings nur auf die direkte Ausbreitung durch den Eigenimpuls beim Singen. Für die Sicherheit der Sänger ist es aber wichtig, dass die Aerosole auch permanent aus dem Raum entfernt werden, damit diese sich nicht ansammeln“, so Echternach in der Mitteilung.
„Zur Seite hin fanden wir deutlich geringere Abstände als nach vorne, sodass die Abstände hier geringer gewählt werden könnten, etwa 1,5 Meter. Auch hier gilt die permanente Zufuhr von Frischluft, um die Aerosole aus der Luft zu entfernen“, so Kniesburges.
Singen mit Maske?
Tests mit Mundschutz ergaben, „dass wenn mit chirurgischen Masken gesungen wird, die großen Tröpfchen zwar komplett und die Aerosole zum Teil herausgefiltert werden, ein Teil der Aerosole aber leicht strahlartig nach oben und zur Seite austraten“, so Kniesburges –, weil die Masken an den Seiten und der Nase nicht vollständig dicht abschließen.
Singen mit Maske, so die Erkenntnis, wäre durch die Verminderung der Partikelaustritte eine Option, aber nicht wirklich für Profichöre, „weil ich sehr gut artikulieren muss und jede kleinste Nuance von Klang natürlich brauche“, so Echternach. Bei Kirchen- oder anderen Laienchören indes dürfte Singen mit Maske „schon einiges verhindern“.