IM GESPRÄCH

Eine faszinierende Methode, aber noch nicht für den Alltag

Von Thomas Kron Veröffentlicht:

Bildgebende Verfahren, ob Computertomographie oder Kernspintomographie, können faszinieren. Weil die erzeugten Bilder so schön sind. Und weil selbst winzige Strukturen und sogar dynamische Vorgänge, etwa die Durchblutung, ohne großen Aufwand zu sehen sind.

    Außerhalb von Studien hat der computer-
tomographische Nachweis von Koronar-Kalk noch keine Berechtigung.
   

Weil bildgebende Verfahren faszinieren, verlocken sie auch. Etwa dazu, dem Gesehenen eine Bedeutung zu geben, die wissenschaftlich noch nicht sicher oder sogar überhaupt nicht begründet ist. Und auch dazu, die bildgebende Methode ohne triftige Indikation anzuwenden - selbst dann, wenn der gewonnene Befund, egal wie er ausfällt, so gut wie keine medizinische Relevanz hat.

Oder im schlimmsten Fall einem Patienten schadet. Weil zum Beispiel wegen eines auffälligen Befundes weitere Untersuchungen, auch invasive, für sinnvoll angesehen werden.

Den Kritikern der Methode muß man wohl zustimmen

Der computertomographische Nachweis von Koronar-Kalk ist nur ein Beispiel für einen Befund eines bildgebenden Verfahrens, der medizinisch zwar sehr interessant ist, in seiner Bedeutung aber wissenschaftlich noch nicht so gut erforscht ist, daß die computertomographische Suche nach Koronar-Kalk medizinisch wirklich sinnvoll ist, sagen Kritiker der Methode wie der Kölner Kardiologe Erland Erdmann. Und wenn man sich den derzeitigen Stand des Wissens anschaut, muß man den Kritikern wohl zustimmen.

Was ist derzeit Stand des Wissens? Koronar-Kalk ist ein Surrogat-Parameter für atherosklerotische Plaques. Kalk-Menge und Plaque-Menge korrelieren miteinander (Braunwald‘s Heart Disease. A Textbook of Cardiovascular Medicine. Elsevier Saunders. 7. Auflage, 2004). Viel Kalk im Computertomogramm bedeutet also, daß eine Koronarangiographie indiziert ist?

Nein! Selbst eine ausgeprägte Plaque-Bildung bedeutet nicht zwangsläufig, daß auch eine hämodynamisch relevante Koronarstenose besteht. Außerdem enthält nicht jeder Koronar-Plaque Kalzium. Darüber hinaus hängt das Ruptur-Risiko von Plaques, ihre Stabilität und Instabilität, nur wenig vom Kalzium-Gehalt ab.

Auch die Korrelation zwischen Kalk-Menge und dem Ausmaß einer obstruktiven Koronarsklerose ist recht schwach. Fehlt koronarer Kalk, ist eine relevante Koronarstenose zwar sehr unwahrscheinlich. Aber gerade jene Plaques, die kalkfrei sind, gelten als die Plaques, die mit einem sehr hohen Ruptur-Risiko und damit Ereignis-Risiko assoziiert sind.

Noch gibt es mehr Fragen als Antworten

Immerhin: Bei asymptomatischen Menschen hat der Kalk-Nachweis einen gewissen positiven Vorhersagewert für koronare Ereignisse. Wessen Kalk-Menge über dem Median liegt, der hat ein erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt oder kardialen Tod. Vielleicht profitieren also asymptomatische Menschen mit einem mittleren Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis (jährliche Rate 0,6 bis 2 Prozent) von dem nicht-invasiven Screening auf Koronar-Kalk. Wissenschaftlich gesichert ist das aber nicht.

Auch die naheliegende Frage, ob wiederholte computertomographische Untersuchungen sinnvoll sind, ist derzeit noch unbeantwortet. Die Bildung von Koronar-Kalk ist zwar progredient. Es gibt jedoch keine hinreichenden Belege für einen engen Zusammenhang zwischen Kalk-Progredienz und klinischer Ereignisrate. Unklar und umstritten ist auch, ob computertomographische Untersuchungen auf Koronar-Kalk geeignet sind, eine Lipidsenker-Therapie zu steuern.

Was für eine Konsequenz also könnte der Kalk-Nachweis bei asymptomatischen Menschen haben? Auf Zigaretten oder Schweinshaxen sollte ohnehin verzichtet werden.

Eine Statin-Therapie ist bei erhöhten LDL-Cholesterin-Werten in der Regel immer indiziert. Ob Kalk vorhanden ist oder nicht. Für Aussagen, daß bei erhöhtem LDL-C und Koronar-Kalk das LDL-C stärker gesenkt werden müßte als bei LDL-C-Erhöhung ohne Kalk, fehlen bislang die wissenschaftlichen Belege.

Und auch für die mögliche Annahme, die Information eines Patienten über Gefäß-Kalk würde seine Motivation stärken, den Lebensstil zu ändern, gibt es keinen Beleg. Auch die Compliance wird nach Studienergebnissen nicht erhöht (JAMA 289, 2003, 2215).

Und was ist bei fehlendem Nachweis von Kalk? So richtig beruhigend ist das auch nicht bei Patienten, die zum Beispiel rauchen oder zu viel schädliches Cholesterin in ihrem Blut haben. Denn: Die Korrelation zwischen Kalk-Menge in den Herzkranzgefäßen und kardiovaskulärer Ereignisrate ist zu schwach.

Es ist also noch viel Forschungsarbeit zu leisten, noch viele Fragen sind zu beantworten. Bis dahin hat der computertomographische Nachweis von Koronar-Kalk außerhalb von wissenschaftlichen Studien keine Berechtigung. Wer die Methode seinen Patienten dennoch empfiehlt, sollte und muß sie darüber sehr intensiv aufklären.

Übrigens: Für eine zuverlässige Beurteilung des kardiovaskulären Risikos asymptomatischer Menschen gibt es bereits eine relativ preiswerte und wenig aufwendige bildgebende Methode: die Ultraschall-Messung der Karotis-Media-Dicke.

Lesen Sie dazu auch: Positiver Kalkscore - Risikofaktor oder teurer Irrweg?

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Vereinfachter Diagnose-Algorithmus

Lungenembolie mit weniger Bildgebung sicher ausschließen

Das könnte Sie auch interessieren
Grippeschutz in der Praxis – Jetzt reinhören!

© DG FotoStock / shutterstock

Update

Neue Podcast-Folgen

Grippeschutz in der Praxis – Jetzt reinhören!

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Herz mit aufgemalter Spritze neben Arm

© Ratana21 / shutterstock

Studie im Fokus

Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Prävention durch Influenzaimpfung?

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Junge Frau spricht mit einer Freundin im Bus

© skynesher | E+ | Geytty Images

Update

Impflücken bei Chronikern

Chronisch krank? Grippeimpfung kann Leben retten

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Abb. 1: Risikoreduktion durch Bempedoinsäure gegenüber Placebo in der CLEAR-Outcomes-Studie für den primären 4-Komponenten-Endpunkt (A) und den sekundären 3-Komponenten-Endpunkt (B) stratifiziert nach Diabetes-Status

© Springer Medizin Verlag

Diabetes mellitus

Bempedoinsäure: Benefit für Hochrisiko-Kollektive

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Daiichi Sankyo Deutschland GmbH, München
Mirikizumab wirksam bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn

© Oleh / stock.adobe.com

Zielgerichtete Interleukin-23p19-Inhibition

Mirikizumab wirksam bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Lilly Deutschland GmbH, Bad Homburg v.d.H.

Ist das AMNOG bereit für HIV-Innovationen?

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Gilead Sciences GmbH, Martinsried
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Update der Studie EPIsoDE

Psilocybin hält therapieresistente Depressionen ein Jahr lang in Schach

Lesetipps
Warnschild Grippewelle

© nmann77 / stock.adobe.com

ARE in Grafiken

RKI: Grippewelle deutet sich an

Fünf Menschen im Wartezimmer.

© Tyler Olson / stock.adobe.com

Einteilung in fünf Gruppen

Diabetes: Risiken für Komorbiditäten vom Subtyp abhängig

Im Krankenhaus wird der Patient unter Aufsicht eines Radiologen einer CT-Untersuchung unterzogen.

© Valerii Apetroaiei / stock.adobe.com

Vereinfachter Diagnose-Algorithmus

Lungenembolie mit weniger Bildgebung sicher ausschließen