Aus dem 3D-Drucker

Implantat auf Maß für Patienten mit Beinfraktur

Mit einem neu entwickelten Verfahren können Patienten mit Fibula- oder Tibiafraktur ein maßgeschneidertes Implantat erhalten, das individuellen Belastungen standhält und die Heilung unterstützt.

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Professor Stefan Diebels (l.) und DFKI-Forscher Christian Wolff mit einem maßgefertigten Implantat für einen Unterschenkelbruch.

Professor Stefan Diebels (l.) und DFKI-Forscher Christian Wolff mit einem maßgefertigten Implantat für einen Unterschenkelbruch.

© Oliver Dietze

Saarbrücken. Ein Beinbruch kann sich schlimm auswachsen, erinnert die Universität des Saarlandes in einer Mitteilung. Je nachdem wie der Knochen verdreht, gehebelt, gebogen oder gestaucht wurde, ist jeder Bruch anders: vom schrägen Bruch mit großen Stücken, über den Spiralbruch bis hin zur Trümmerfraktur.

„Bei der Operation setzt die Medizin bislang auf Standardimplantate“, wird der Ingenieurwissenschaftler Professor Stefan Diebels von der Universität des Saarlandes in der Mitteilung zitiert. Eine Schiene in Standardgrößen wird mit den Knochenstücken verschraubt. Wie viele Schrauben der Chirurg verwendet und wo diese platziert werden, entscheidet er aufgrund seiner Erfahrungswerte.

Eine personalisierte Therapie, die an die individuelle Fraktur angepasst ist, könnte die Heilung verbessern und Komplikationen vermeiden: Ein solches Verfahren haben Diebels und Michael Roland nun gemeinsam mit den Informatikern Professor Philipp Slusallek und Dr. Tim Dahmen an der Universität des Saarlandes und am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) entwickelt. Zusammengearbeitet haben sie mit Medizinern der Universität Witten/Herdecke und mit Partnern aus der Wirtschaft.

Fraktur wird genau bestimmt

Die Forscher können mit ihren Methoden der Technischen Mechanik, Informatik und Bildverarbeitung jede Fraktur genau bestimmen. Sie können exakt vorhersagen, wo Knochen und Schiene beim Gehen, Setzen, Treppensteigen künftig am meisten belastet werden, wie der Knochen am besten dafür stabilisiert wird, wie dafür das Implantat genau aussehen muss, und wie viel Spiel im Frakturspalt erforderlich ist, damit der Bruch am besten heilt. Sie können jedem Patienten das eigene Implantat maßangefertigt auf den gebrochenen Knochen „schneidern“, so die Saar-Uni.

Sämtliche Prozesse von der automatischen Auswertung der Computertomographie-Aufnahmen bis zum fertigen Implantat aus dem 3D-Drucker haben sie laut Mitteilung so abgestimmt, dass der Patient nach wenigen Tagen, sobald das Bein abgeschwollen ist, operiert werden kann. So heile die Fraktur schneller und es könne besser zusammenwachsen, was zusammengehört.

Hierfür erforschte das Team, welche Kräfte im gebrochenen Unterschenkelknochen wirken und wie Belastungsmuster des Knochens und des Implantats bei typischen Situationen wie beim Gehen um Kurven, über Treppen, beim Hinsetzen oder Springen aussehen. Solche Belastungsmuster haben wesentlichen Einfluss darauf, wie eine Fraktur später heilt, heißt es in der Mitteilung.

„Daraus, wie die Lastverteilung im spezifischen Bruch sein wird, welche Kräfte hier wirken, können wir Rückschlüsse ziehen, wie das Implantat für die individuelle Frakturgeometrie exakt aussehen muss, um die Heilung optimal zu unterstützen und auch wie viele Schrauben tatsächlich an welcher Stelle notwendig sind“, erläutert Diebels. So setzt der Operateur heute oft zusätzliche Schrauben, um sicher zu gehen, dass die Schiene die Bruchteile auch wirklich zusammenhält. Mit genauerem Wissen kann er gezielter vorgehen.

Belastungsmuster werden sichtbar

„Medizinerinnen und Mediziner können unser Verfahren nutzen, um die besten Behandlungsoptionen zu bewerten“, erklärt Slusallek. Mit bildgebenden Verfahren und Simulationen machen er und seine Arbeitsgruppe hierzu Belastungsmuster sichtbar und anschaulich.

Hierfür werteten die Informatiker zahlreiche Computertomographie-Datensätze echter Brüche aus: Sie brachten dem Computer bei, auf den Aufnahmen wie ein erfahrener Chirurg Gewebe, Luft, Metall oder störende Artefakte zu unterscheiden. Flankierend sammelten die Ingenieure in einer Vielzahl von Versuchen und Ganganalysen Belastungsdaten echter Knochen, die erst gebrochen und dann im Versuchsstand vielfältig belastet wurden.

„Um die im Implantat und in der Knochenstruktur auftretenden Spannungen und Dehnungen zu berechnen, entwickeln wir Simulationsverfahren, die altbekannte Finite-Elemente-Methoden effizient auf aktueller Hardware implementieren und mit neuartigen Verfahren des Maschinellen Lernens kombinieren“, erklärt Dahmen. Mit den Erkenntnissen trainierten sie neuronale Netze und überführten alles in simulationstaugliche 3D-Modelle, an denen die Belastungsverteilung sichtbar wird.

Das Team interessierte vor allem, was bei Belastung im Frakturspalt passiert: Um zu heilen, braucht der Knochen hier eine gewisse Belastung, sonst fehlt der Wachstumsanreiz. Zu viel aber schadet.

„Im Frakturspalt müssen Mikrobewegungen erfolgen können. Also muss das Implantat so gestaltet sein, dass ein genau austariertes Spiel möglich ist“, sagt Dahmen. Die Simulationen werden durch Künstliche Intelligenz ergänzt, die eine schnelle und automatisierte Auswertung der Modelle unterstützt. So können jetzt Brüche und Implantate individuell auf Belastbarkeit an den kritischen Stellen überprüft und so das ideal geformte Implantat berechnet werden, dass dann 3D-gedruckt werden kann. (eb /ikr)

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