Hintergrund

Rheuma hat einen Tagesrhythmus

Alle Körpervorgänge sind zirkadianen Rhythmen unterworfen - auch das Immunsystem. Folglich unterliegen Autoimmunerkrankungen wie entzündliches Rheuma einem Tagesrhythmus. Reisen über mehrere Zeitzonen beeinflussen daher auch die rheumatische Erkrankung.

Von Michael Hubert Veröffentlicht:
Patienten mit Rheumatoider Arthritis spüren es: Die Krankheit folgt einer zirkadianen Rhythmik.

Patienten mit Rheumatoider Arthritis spüren es: Die Krankheit folgt einer zirkadianen Rhythmik.

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Biologische Prozesse im Körper unterliegen einem periodischen Zyklus. Zirkadiane Rhythmen findet man bei der Aktivität aller Körpergewebe, auf der Mikroebene von Zellen, etwa der neuronalen Aktivität, und der Makroebene des ganzen Organismus in Form des Schlaf-Wach-Rhythmus.

Taktgeber ist suprachiasmatische Nukleus

"Hierbei kommt es zu einer tageszeitlichen Schwankung der Aktivität endokriner Organe, aber auch zur rhythmischen Freisetzung von immunmodulatorischen Stoffen wie Zytokinen, schreiben Dr. Georg Pongratz Professor Rainer Straub vom Uniklinikum Regensburg (Z Rheumatol 2011; 70: 305).

Zentraler Taktgeber für die zirkadiane Rhythmik ist der im Hypothalamus gelegene suprachiasmatische Nukleus (SCN).

Dieser verwendet für die Koordination der Tagesrhythmik autonome, in den Neuronen des suprachiasmatischen Nukleus selbst generierte 24-Stunden-Rhythmen, die dann über Projektionen in verschiedene Bereiche des Gehirns an die Körpersysteme weitergegeben werden, so die beiden Forscher des Labors für experimentelle Rheumatologie und Neuroendokrinoimmunologie.

Paradebeispiel Kortisol

Zirkadiane Rhythmen der Immunfunktion erklären die Tageszeitabhängigkeit der Symptome - vor allem der Morgensteifigkeit - bei rheumatischen und anderen entzündlichen Erkrankungen. Das Paradebeispiel für zirkadian regulierte Botenstoffe ist das endogenes Steroid Kortisol mit seinen entzündungshemmenden Eigenschaften, so Pongratz und Straub.

Wie seit über 50 Jahren bekannt ist, unterliegen Kortisolspiegel im Serum einem ausgeprägten Tageszyklus mit einem Maximum in den frühen Morgenstunden und dem Minimum um Mitternacht.

Eine Metaanalyse mehrerer Studien habe ergeben, dass sich der zirkadiane Rhythmus bei Patienten mit Rheumatoider Arthritis mit mittlerer und niedriger Krankheitsaktivität wider Erwarten nicht von dem gesunder Probanden unterscheidet. Das ist auch bei Patienten mit hoher Krankheitsaktivität nicht grundsätzlich anders. Bei ihnen aber sind die Ausschläge (Amplituden) abgeflacht im Vergleich zu Patienten mit geringerer Krankheitsaktivität.

Körpereigene Kortisolproduktion kommt zu spät

Der maximale Kortisolspiegel gegen 8 Uhr liege deshalb bei hoher Krankheitsaktivität unter den Werten von Patienten mit mittlerer und niedriger Krankheitsaktivität. Diese Beobachtungen stützten die Hypothese, dass es bei chronisch-entzündlichen Prozessen zu einer für die Entzündungshemmung inadäquat niedrigen Kortisolproduktion kommt.

Diese Erkenntnis wird seit langen in der Rheumatherapie genutzt - in Form der Pharmakotherapie mit Prednison oder Prednisolon.

Doch die verringerte Kortisolmenge bei Patienten mit schwerer RA ist nur das eine Problem. Das generelle Problem bei RA: Die - ebenfalls zirkadian regulierte - Synthese des Entzündungsbotenstoffs Interleukin-6 beginnt bereits um zwei Uhr in der Nacht. Die körpereigene Kortisolproduktion kommt daher zu spät, ebenso wie morgens eingenommene Kortisonpräparate.

Entwickelt wurde daher eine Spezialtablette, die das Prednison verzögert freisetzt (Prednsion MR, modified release, Lodotra®): Um 22 Uhr eingenommen, wird die gesamte Dosis etwa vier Stunden später frei. Genau zu dem Zeitpunkt, wenn die IL-6-Produktion startet. Der Effekt: Die Morgensteifigkeit der Patienten wird deutlich reduziert.

Einnahme von Melatonin nicht empfohlen

Und wie sollen RA-Patienten bei Fernreisen mit dem verzögert freigesetzten Prednsion umgehen? Aufgrund der mangelnden Datenlage sei es schwierig, konkrete Empfehlungen zu deren Einnahme während der Jetlag-Phase abzugeben, so Pongratz und Straub.

Bei sehr kurzen Aufenthalten von ein bis drei Tagen lautet die Empfehlung generell, eine Umstellung des Tagesablaufs zu vermeiden, was im Falle der MR-Tabletten bedeutet, deren Einnahme konstant bei 22 Uhr interner Zeit, also entsprechend der Zeit am Abflugort, zu belassen.

Für andere Situationen könnte man sich überlegen, erst nach Etablierung der neuen Rhythmen, also nach etwa sechs Tagen bei sechs Stunden Verschiebung, wieder mit der Einnahme den MR-Tabletten zu beginnen und die Zwischenzeit mit herkömmlichem Prednison zu überbrücken.

Abgeraten wird von der Einnahme von Melatonin, um die Schlafphase einzuleiten. Melatonin ist bei RAPatienten sowieso erhöht und es fördert die Bildung von IL-12 und anderen Entzündungsbotenstoffen.

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