Rhythmuskontrolle - doch die bessere Strategie?

Kanadische Forscher überraschen mit provokanten Studiendaten. Danach ist bei Vorhofflimmern die Strategie der Rhythmuskontrolle auf lange Sicht vorteilhafter für das Überleben als die Frequenzkontrolle. Methodische Schwächen der Studie lassen allerdings Skepsis angebracht erscheinen.

Peter OverbeckVon Peter Overbeck Veröffentlicht:
Implantierbarer Defibrillator gegen schwere Rhytmusstörungen.

Implantierbarer Defibrillator gegen schwere Rhytmusstörungen.

© Aktion Meditech

MONTREAL. Für Patienten mit Vorhofflimmern stehen neben der Antikoagulation prinzipiell zwei Behandlungsstrategien zur Auswahl: Rhythmuskontrolle (Kardioversion und Aufrechterhaltung von Sinusrhythmus) oder Frequenzkontrolle (Begrenzung der Kammerfrequenz bei weiter bestehendem Vorhofflimmern).

Die Frage, welche von beiden Strategien die bessere sei, war lange Zeit eines der beliebtesten "heißen" Diskussionsthemen auf Kardiologenkongressen.

Zur Enttäuschung vieler Kardiologen ist in großen Vergleichsstudien (AFFIRM, RACE) die antizipierte Überlegenheit der favorisierten Rhythmuskontrolle in ihrer Wirkung auf die Mortalität nicht bestätigt worden.

Als Konsequenz erfuhr die in die der Praxis einfacher umsetzbare Strategie der Frequenzkontrolle eine Aufwertung zur gleichwertigen Alternative.

Studienergebnisse einer Arbeitsgruppe um Dr. Louise Pilote aus Montreal suggerieren jetzt, dass die Rhythmuskontrolle auf längere Sicht vielleicht doch die prognostisch vorteilhaftere Strategie sein könnte (Arch Intern Med 2012; online Juni).

Diese Ergebnisse resultieren allerdings nicht etwa aus einer randomisierten prospektiven Studie, sondern aus einer retrospektiven Analyse von Bevölkerungsdaten aus einer Verwaltungsdatenbank in der kanadischen Provinz Quebec.

Nach fünf Jahren wird ein Vorteil sichtbar

Für die Studie wurden in dieser Datenbank 26.130 Patienten ausfindig gemacht, die nach einer stationären Behandlung erstmals eine medikamentöse Behandlung wegen Vorhofflimmern erhalten hatten. Im Zeitraum der Nachbeobachtung (im Mittel 3,1 Jahre) starb fast jeder Zweite (49,4 Prozent).

Wie die zeitliche Analyse ergab, stieg in den ersten sechs Monaten die Mortalität in der Gruppe mit "rhythmuskontrollierender" Medikation relativ zur Mortalität in der Gruppe mit Frequenzkontrolle an. Danach ergaben sich bis zum vierten Jahr nach Therapiebeginn keine Unterschiede mehr.

Danach war allerdings eine kontinuierliche relative Abnahme der Mortalität in der Gruppe mit "rhythmuskontrollierender" Medikation zu beobachten: Die Reduktion betrug nach fünf Jahren 11 Prozent und nach acht Jahren 23 Prozent in Relation zur Gruppe mit Frequenzkontrolle.

Müssen die Leitlinien nach diesen Ergebnissen jetzt umgeschrieben werden? Wohl kaum. Es ist nicht anzunehmen, dass die Ergebnisse einer retrospektiven Analyse mit ihren bekannten methodischen Limitierungen in ihrer Beweiskraft höher bewertet wird als die Daten kontrollierter Studien.

Resultiert Unterschied aus der Patientenselektion?

Einiges spricht dafür, dass die Unterschiede bei der Mortalität nicht auf die Behandlungsstrategie per se, sondern auf die damit verbundene Selektion bestimmter Patientengruppen zurückzuführen sein könnten.

Im klinischen Alltag diktiert vor allem die Symptomatik die Wahl der Strategie. Da sind es bevorzugt die eher jüngeren, hochsymptomatischen Patienten ohne relevante Begleiterkrankungen, bei denen sich für die Rhythmuskontrolle als Weg entschieden wird.

Bei älteren Patienten mit häufig bestehender Komorbidität fällt die Wahl dagegen eher auf die Frequenzkontrolle als Strategie.

Bevor die Rhythmuskontrolle schon jetzt zur besten Lösung für alle Patienten mit Vorhofflimmern geadelt wird, sollten besser die Ergebnisse laufender kontrollierter Studien abgewartet werden.

Dazu zählt neben der CABANA-Studie auch die große europäische EAST-Studie, die vom Kompetenznetz Vorhofflimmern gemeinsam mit der European Heart Rhythm Association (EHRA) durchgeführt wird. Mehr als 3000 Patienten sollen daran teilnehmen.

Beide Studien sollen die Frage klären, ob eine auf Rhythmuserhalt zielende Behandlungsstrategie einschließlich Katheterablation einen Nutzen für die Patienten hat, der über die alleinige Verbesserung von Symptomen hinausgeht.

Mehr zum Thema

Interview

Antikoagulieren, wenn der Herzschrittmacher Vorhofflimmern detektiert?

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Wo lang im Gesundheitswesen? Der SVR Gesundheit und Pflege empfiehlt mehr Richtungspfeile für alle Akteure.

© StefanieBaum / stock.adobe.com

Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege

Gesundheitsweise empfehlen Primärversorgung für alle – und Quotierung der Weiterbildung

„Wenn die Politik Wissenschaftlern sagen würde, wir wollen dieses oder jenes Ergebnis, ist das Propaganda.“ Klaus Überla – hier im Treppenhaus seines Instituts – über Einmischungen aus der Politik.

© Patty Varasano für die Ärzte Zeitung

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

Dr. Iris Dötsch Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologin und Ernährungsmedizinerin hat die Hauptstadtdiabetologinnen, eines neues Netzwerk für Frauen in der Diabetologie, gegründet.

© snyGGG / stock.adobe.com

Hauptstadtdiabetologinnen

Ein Netzwerk für Diabetologinnen