Hintergrund

Sekundentod beim Radsport: sind Herzmuskelentzündungen daran beteiligt?

Bei der Tour de France reizt der Mensch seine körperlichen Fähigkeiten bis an die Grenzen aus. Ist der Preis für den sportlichen Erfolg die Gefahr des Sekundentods?

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Über den plötzlichen Herztod bei Leistungssportlern wird immer wieder berichtet. Doping als Erklärung für den Tod greift allerdings zu kurz.

Über den plötzlichen Herztod bei Leistungssportlern wird immer wieder berichtet. Doping als Erklärung für den Tod greift allerdings zu kurz.

© dpa (2)

Über Profisportler, die einen plötzlichen Herztod erleiden oder fast erleiden, ist in den Medien immer wieder zu lesen. Kurz vor der Tour de France traf es den Luxemburger Radprofi Kim Kirchen, der in der Nacht urplötzlich einen Herzstillstand hatte. Er konnte reanimiert werden. Andere Sportler hatten weniger Glück. Sie starben. Oft wird beim Sekundentod im Sport latent unterstellt, dass Doping eine Rolle gespielt haben könnte.

Doch was sagen die Daten? Ist der Sekundentod bei professionellen Ausdauersportlern wirklich häufiger als in der Allgemeinbevölkerung? Oder fällt es einfach nur mehr auf, weil genauer hingesehen wird? "Die Daten zu diesem Thema lassen eine abschließende Beurteilung noch nicht zu", betont Professor Hans-Georg Predel, Leiter des Instituts für Kreislaufforschung und Sportmedizin an der Deutschen Sporthochschule Köln im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

"Was wir allerdings schon haben, sind gute Untersuchungen, die zeigen, dass Leistungssport per se das Risiko tödlicher Herzrhythmusstörungen nicht steigert", so der Experte.

Drei wichtige Datenquellen hält Predel in diesem Zusammenhang für erwähnenswert. Zum einen gebe es große Analysen von Marathonläufen, unter anderen in New York und London, bei denen kein erhöhtes Risiko für tödliche Herzrhythmusstörungen beschrieben wurde. "Wenn 40 000 Menschen mehrere Stunden beobachtet werden, kippt auch mal einer um. Aber das war in diesen Untersuchungen nicht häufiger als in der Normalbevölkerung", so Predel.

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(dpa)

Marathon-Erhebungen liefern Querschnittdaten, sagen also nichts über den Verlauf. Prospektive Daten gibt es aus Norditalien: "Hier haben wir eine sehr gute Längsschnitt-Dokumentation von Leistungssportlern, bei denen ebenfalls kein erhöhtes Risiko festgestellt wurde", so Predel. Auch eine ganz aktuelle Studie mit Daten von Sportlern aus Italien und den USA in Ultra-Ausdauer-Sportarten bläst ins selbe Horn: "Über zwanzig Jahre gab es dort keine Häufung kardialer Ereignisse."

Große Kollektive liefern also keinen Anhalt für einen Zusammenhang zwischen Sekundentodesfällen und Ausdauersport. Beim individuellen Sportler freilich kann die Situation anders aussehen. So könne etwa Doping theoretisch durchaus Einfluss auf die Häufigkeit vom plötzlichen Herztod nehmen, so Predel. "Sowohl anabole Steroide als auch Wachstumshormone und Erythropoetin können den Herzrhythmus bei längerfristigem Gebrauch destabilisieren und damit im Prinzip das Risiko erhöhen." Zahlen gibt es dafür aber nicht. Theorien, wonach Sekundentodesfälle im Sport quasi als indirekter Beweis für ubiquitäres Doping angesehen werden, sind Spekulation. Und auch pathophysiologisch gibt es Fragezeichen. Angenommen, längerfristiges Doping führe zu strukturellen Veränderungen am Herzen: Warum treten dann viele der Sekundentodesfälle bei Sportlern - anders als etwa bei der hypertrophischen Kardiomyopathie - in Ruhe auf?

Es gibt noch einen anderen möglichen, aber ebenfalls nicht durch Zahlen belegbaren Zusammenhang zwischen Sport und plötzlichen Herztod, nämlich eine zu frühe Belastung bei Infekten. Eine mit Infekten einhergehende Myokarditis sei wahrscheinlich sehr viel häufiger, als angenommen wird. Und diese Herzmuskelentzündungen können mit praktisch jeder Art von Herzrhythmusstörung einhergehen. "Hier wissen wir, dass das durchaus in Ruhe auftreten kann, auch wenn wir die Gründe dafür noch nicht so genau kennen", so Predel. Sportler, die sich überschätzen und zu früh wieder trainieren, könnten demnach ihr Herz riskieren. Bei Sportarten mit extremer Herzbelastung wie dem Radsport wäre das entsprechend besonders gefährlich.

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