Urolithiasis

Sind Alphablocker doch gerechtfertigt?

Die Therapie bei Urolithiasis mit Alphablockern wurde 2015 in einer Studie infrage gestellt. Jetzt hält eine aktuelle Metaanalyse dagegen: Die Wirksamkeit sei klar gegeben, vor allem bei Patienten mit größeren Steinen.

Von Dr. Elke Oberhofer Veröffentlicht:

ANN ARBOR. Wie sinnvoll ist die sogenannte medikamentös expulsive Therapie (MET) bei Patienten mit einer Harnleiterkolik auf der Basis einer primär nicht interventionsbedürftigen Urolithiasis? Die Ergebnisse einer Studie von Professor Robert Pickard, Newcastle University, und Kollegen aus dem Jahr 2015 haben diese in der Urologenszene seit Jahren schwelende Diskussion befeuert.

Die aktuelle deutsche Leitlinie sieht für neu diagnostizierte Harnleiterkoliken den Off-label-Einsatz von Alphablockern im Rahmen der MET als "Kann-Empfehlung" vor, wenngleich ihr Nutzen bis dato lediglich durch kleinere Studien minderer Qualität belegt war.

Pickard und sein Team hatten die Frage in einem randomisierten kontrollierten Design mit über 1100 Patienten untersucht und waren zu dem Schluss gekommen, dass weder der Alphablocker Tamsulosin noch der Kalziumantagonist Nifedipin bei dieser Indikation wirksamer seien als ein Scheinmedikament.

Dem widerspricht nun das Team um Dr. John Hollingsworth von der University of Michigan in Ann Arbor: In einer aktuellen Metaanalyse liefern die US-Forscher Belege dafür, dass Alphablocker dazu beitragen, die Passage zumindest größerer Harnleitersteine zu erleichtern, und zwar unabhängig von deren Lokalisation (BMJ 2016; 355: i6112).

Daten von 5990 Patienten

Grundlage der Metaanalyse waren 55 randomisierte, kontrollierte Studien, in denen jeweils Alphablocker als Haupttherapeutikum einem Placebo gegenübergestellt wurden. Neben den in zwei Cochrane-Reviews von 2012 und 2014 bereits berücksichtigten RCT umfasst die aktuelle Metaanalyse zahlreiche weitere, darunter auch die besagte Studie von Pickard. Insgesamt wurden in der US-Metaanalyse die Daten von 5990 Patienten mit Harnleitersteinen ausgewertet.

Während das Team um Pickard jedoch den Anteil von Patienten ermittelt hatten, bei denen innerhalb eines Monats nach Randomisierung keine weitere Intervention zur Beseitigung des Steins erforderlich wurde, wählten die US-Forscher als primären Endpunkt den Anteil der Patienten mit dokumentiertem Steinabgang.

Wie die gepoolte Analyse zeigte, lag die Wahrscheinlichkeit eines Steinabgangs unter einer Alphablockertherapie um 49 Prozent höher als in der Placebogruppe. Die Qualität der ausgewerteten Studien wurde insgesamt als "mittelmäßig" beurteilt.

Die gepoolte Risikodifferenz betrug laut Hollingsworth und Kollegen 0,27, das heißt, man müsste vier Patienten behandeln, damit einer von der Alphablockertherapie profitiere. Der Anteil der Patienten mit erfolgtem Steinabgang lag in der Interventionsgruppe bei 75,8 Prozent und in der Kontrollgruppe bei 48,2 Prozent, wenn eine Nachbeobachtungsdauer von 28 Tagen angelegt wurde.

In beiden Gruppen waren die Steine im Mittel 5,7 mm groß. Bemerkenswerterweise zeigte sich für die Alphablockertherapie kein Behandlungsvorteil für kleinere Steine bis maximal 5 mm, sehr wohl dagegen für größere Konkremente: Für Letztere lag die Wahrscheinlichkeit, dass sie nach der Therapie den Harnleiter passieren konnten, um 57 Prozent höher als unter Placebo. In welchem Drittel des Harnleiters die Steine lokalisiert waren, spielte ebenso wie das Geschlecht keine Rolle.

Wie die Forscher berichten, mussten sich die medikamentös behandelten Patienten mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit einer chirurgischen Intervention unterziehen (gepooltes Risikoverhältnis: 0,44). Unter Alphablockertherapie erfolgte zudem die Steinpassage im Mittel um 3,79 Tage früher als in der Placebogruppe. Und auch die geringere Zahl der Schmerzepisoden sowie die geringere Häufigkeit der Klinikeinweisungen sprachen für die MET. Unerwünschte Ereignisse waren in beiden Gruppen selten; unter dem Alphablocker erlebten Männer allerdings häufiger eine Ejakulationsstörung.

Forscher rufen zur Raison

Daten aus früheren Studien hätten ergeben, so Hollingsworth, dass Steine mit einem Durchmesser von höchstens 5 mm letztlich meist ohne Probleme abgehen. Der zu erwartende Nutzen einer MET bei kleinen Steinen sei daher gering. Die Alphablocker wirkten wahrscheinlich über den Mechanismus einer Relaxation der glatten Muskulatur des Harnleiters.Die Forscher vermuten, dass in der Pickard-Studie mehr Patienten mit kleinen Steinen berücksichtigt wurden, die unter der Placebotherapie spontan abgegangen seien; dies erkläre möglicherweise die unterschiedlichen Ergebnisse.

Angesichts der bereits mehrfach laut gewordenen Forderung, die MET bei Urolithiasis aufzugeben, rufen Hollingsworth und seine Kollegen zur Raison: Eine Änderung der Leitlinien auf Grundlage der Pickard-Studie sei nicht gerechtfertigt. Mit einem medikamentösen Therapieversuch könne man vielen Patienten die Stein-Op mit ihren nicht unerheblichen Risiken ersparen.

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