Kochkurs

Trotz Krebs mit Genuss essen

Viele Krebspatienten möchten essen, können aber nicht und nehmen immer mehr ab. Ihre Angehörigen sind hilflos. Ein in Deutschland noch einzigartiges Selbsthilfeprojekt will Genuss in den Alltag zurückholen.

Von Ira Schaible Veröffentlicht:
Etwa die Hälfte der an Krebs erkrankten Menschen ist der Techniker Krankenkasse zufolge mangelernährt.

Etwa die Hälfte der an Krebs erkrankten Menschen ist der Techniker Krankenkasse zufolge mangelernährt.

© Maksim Shebeko / Fotolia.com

FRANKFURT. Von den elf Kräutern in Mirko Reehs Küche kommen Estragon und Zitronenmelisse am besten an. Diese Vorliebe berücksichtigt der prominente Koch bei seinen Rezepten. Denn über die Kräuter will er den Teilnehmern seines Workshops wieder den Genuss am Essen näher bringen.

Die meisten der zwölf Frauen und Männer sind an Krebs erkrankt, die anderen sind ihre Lebenspartner oder Mütter. Viele der Patienten haben ihren Appetit verloren, finden ihre alten Lieblingsgerichte plötzlich ekelhaft oder haben wegen der Medikamente beim Essen einen metallischen Geschmack im Mund.

Initiator des in Deutschland noch einzigartigen Selbsthilfepilotprojekts in Reehs Kochschule "Genussvoll essen — gestärkt gegen Krebs" ist die Hessische Krebsgesellschaft.

Enttäuscht und hilflos

Mehr als 200.000 Menschen in Deutschland erkranken nach Angaben der Deutschen Krebsgesellschaft jedes Jahr an Krebs. Ganz viele von ihnen fragten in der Beratung danach, wie sie sich jetzt ernähren könnten, berichtet Christina Berg von der Hessischen Krebsgesellschaft.

Die veränderten Geschmackssinne führten häufig auch zu Konflikten mit dem Partner oder der Familie. Sie wollten dem Erkrankten etwas Gutes tun und bereiteten die alten Lieblingsgerichte zu. Wenn dem Erkrankten selbst diese plötzlich nicht mehr schmeckten, reagierten die Angehörigen oft enttäuscht oder hilflos.

"Etwa die Hälfte der an Krebs erkrankten Menschen ist mangelernährt", fasst die Techniker Krankenkasse, die das Projekt unterstützt, wissenschaftliche Erkenntnisse zusammen.

"Die Mangelernährung ist für die Prognose der Erkrankten relevant", sagt Ernährungstherapeutin Ingeborg Rötzer vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg und dem Frankfurter Krankenhaus Nordwest. Viele hätten einen so hohen Eiweißbedarf wie Sportler. "Die Patienten sollten unter der Therapie und während der Erkrankung nicht an Gewicht verlieren."

Essen ohne Geschmack

So wie eine 51 Jahre alte Frankfurterin, die zusammen mit ihrer 78 Jahre alten Mutter in die Kochschule von Mirko Reeh gekommen ist. Sie habe oft ohne jeden Appetit gegessen, weil sie kein Gewicht mehr verlieren durfte und zwischenzeitlich künstlich ernährt werden musste, erzählt die an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankte Frau.

"Wenn man das Essen dann wieder rausgeben muss, war die Stunde, in der man es sich vorher reingequält hat, umsonst", beschreibt sie den Kampf mit dem Essen. Inzwischen durchlebe sie unterschiedliche Phasen. "Jetzt kann ich alles essen. Allerdings habe ich manchmal gar keinen Geschmack."

Der Kochkurs setze nicht am Mangel an, sondern solle helfen, "Genussmöglichkeiten in den Alltag einzubauen", betont Rötzer. Zimt oder Vanille etwa könnten den metallischen Geschmack überlagern. Auch Minze und Rosmarin, weiche Speisen, Suppen und Soßen machten das Essen oft genussvoller. Und Fisch werde oft besser vertragen als Fleisch. Zwischen Kräutertöpfen, Schneidebrettern, Herd und Ofen tauschen sich die Teilnehmer aus und suchen die richtigen Tipps und Rezepte für sich.

Einer beruflich sehr engagierten Sozialwissenschaftlerin half der auf drei Termine angelegte Workshop dabei, "ein Kochfan zu werden" und "aus meiner Küche meinen neuen Arbeitsplatz zu machen". "Ich habe immer gerne gegessen, aber nie gerne gekocht. Jetzt habe ich keinen Magen mehr und muss dessen Funktion durch gründliches Kauen über den Mund kompensieren und mich intensiv mit dem Thema Ernährung auseinandersetzen", sagt die 1,68 Meter große Frau, die nur noch 44 Kilo wiegt.

Normale Portionen gingen gar nicht mehr. Besser sei es, kontinuierlich zu essen – kleine Mengen und ganz langsam. Das erfordere einen hohen Organisationsaufwand, sagt die lebensfrohe Frau. So hat sie inzwischen ständig eine Tasche mit Essen und etwas zu Trinken dabei und weiß: "Das ist eine neue Lebensaufgabe." Der Kurs, zu dem sie ihr älterer Bruder begleitete, habe ihren Appetit wieder angeregt, freut sie sich. (dpa)

Tipps vom Profi

- Zimt oder Vanille können einen metallischen Geschmack überlagern

- Gut sind Minze und Rosmarin, Weiches wie Suppen und Soßen

- Fisch wird oft besser vertragen als Fleisch

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