Vor allem Männer betroffen

Viel Alkohol führt früh in die Demenz

Alkoholmissbrauch ist nach Daten einer französischen Studie der mit Abstand wichtigste Grund für eine früh beginnende Demenz.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Genuss oder Sucht? Die Demenzinzidenz ist bei Alkoholkranken rund viereinhalbfach höher als in der übrigen Bevölkerung. (Symbolbild mit Fotomodell)

Genuss oder Sucht? Die Demenzinzidenz ist bei Alkoholkranken rund viereinhalbfach höher als in der übrigen Bevölkerung. (Symbolbild mit Fotomodell)

© olly / stock.adobe.com

PARIS. So ziemlich jeder Schaden, den jemand seinem Gehirn zufügt, scheint das Demenzrisiko zu erhöhen. Von daher ist es wenig überraschend, dass ein dauerhaft starker Alkoholkonsum auch der kognitiven Leistung abträglich ist und eine Demenz begünstig.

Was vermutlich nicht jeder weiß: Alkohol ist der Hauptrisikofaktor für eine früh beginnende Demenz. Mehr als die Hälfte der Demenzkranken unter 65 Jahren hat ein Alkoholproblem.

Zu diesem Schluss kommen Gesundheitsökonomen um Dr. Michaël Schwarzinger von der Sorbonne in Paris, nachdem sie Klinikentlassungsdaten von praktisch allen Franzosen ausgewertet haben, die zwischen den Jahren 2008 und 2013 in einer Klinik in Frankreich stationär aufgenommen worden waren (Lancet Public Health 2018, online 20. Februar).

Insgesamt kamen auf diese Weise Angaben zu knapp 32 Millionen Einwohnern zusammen, die neben ICD-10-Diagnosen auch demografische Angaben sowie Auskünfte zu wichtigen Risikofaktoren wie Rauchen, BMI, Blutdruck- und Blutfettwerten enthielten.

Die Forscher um Schwarzinger schauten nun, bei wem erstmals eine Demenz diagnostiziert worden war, und bei wem zugleich eine Alkoholabhängigkeit oder eine Alkoholfolgeerkrankung in den Akten auftauchte.

Zu Letzterem zählten sie etwa eine alkoholbedingte Leberzirrhose, Epilepsie, hepatische Enzephalopathie, Kopfverletzung durch Stürze im Suff oder ein Wernicke-Korsakoff-Syndrom. Um eine reverse Kausalität etwas einzuschränken, konzentrierten sie sich auf neu aufgetretene Demenzerkrankungen in den Jahren 2011 bis 2013.

Zwei Drittel der jüngeren Männer mit Demenz haben ein Alkoholproblem

Etwas mehr als 4 % der Franzosen wurden mit einer Demenzdiagnose aus der Klinik entlassen und etwas mehr als 3 % mit einer Alkoholstörung. Unter den Männern betrug der Anteil der Alkoholkranken 5,5 %, unter Frauen 1,3 %. Bei 86 % dieser Patienten war eine Alkoholabhängigkeit festgestellt worden.

Insgesamt betrug der Anteil der Demenzkranken mit einem Alkoholproblem knapp 8 %: Dies betraf 15,7 % der Männer und 3,6 % der Frauen.

Etwas über 57.000 Personen hatten eine Demenz im Alter von weniger als 65 Jahren entwickelt – das sind nur 5,2 % aller registrierten Demenzkranken. Insgesamt waren in dieser Altersgruppe zwei Drittel der Demenzkranken Männer, über alle Altersgruppen hinweg beträgt der Männeranteil jedoch nur ein Drittel.

Von den unter 65-Jährigen Demenzkranken hatten 57 % ein Alkoholproblem oder eine Alkoholfolgeerkrankung, und zwar 67 % der Männer sowie 39 % der Frauen. Bei 46 % der Männer war die Demenz durch einen alkoholbedingten Hirnschaden verursacht.

Ein übermäßiger Bier-, Wein- und Schnapsgenuss scheint nach diesen Daten also mehr als jeder andere Faktor zu einer früh beginnenden Demenz beizutragen.

Alkoholmissbrauch vervierfacht Demenzrisiko

Umgekehrt ist eine Alkoholerkrankung unabhängig vom Alter nach diesen Daten der stärkste modifizierbare Risikofaktor für eine Demenz: Die Demenzinzidenz ist bei Alkoholkranken rund viereinhalbfach höher als in der übrigen Bevölkerung. Werden andere bekannte Risikofaktoren wie Tabakrauchen, Adipositas, Diabetes oder Hörverlust berücksichtigt, ist sie immer noch mehr als dreimal höher – und zwar bei Männern wie bei Frauen.

Für andere Risikofaktoren ergebe sich hingegen ein maximal zweifach erhöhtes Demenzrisiko, berichten Schwarzinger und Mitarbeiter. Die anderen Faktoren haben jedoch – da sie meist häufiger auftreten als eine Alkoholerkrankung – bezogen auf die Gesamtbevölkerung ein größeres Gewicht. So sind knapp 17 % der aus französischen Kliniken entlassenen Demenzkranken alkoholabhängig, aber 56 % hyperton.

Bei den Alkoholabhängigen ist nach diesen Resultaten jedoch nicht nur das Risiko für einen direkten alkoholassoziierten Hirnschaden deutlich erhöht, sondern auch für eine Alzheimerkrankheit sowie vaskuläre und andere Demenzen, und zwar um mehr als das Doppelte.

Die Forscher um Schwarzinger gehen davon aus, dass der Effekt von übermäßigem Alkoholgenuss auf das Demenzrisiko noch stärker sein könnte als die Studiendaten nahelegen. So haben andere Untersuchungen die Prävalenz von Alkoholstörungen in Frankreich mit rund 17 % unter Männern und 5 % unter Frauen beziffert. Möglicherweise werde dieser Anteil in den Kliniken nur teilweise mit ICD-Codes erfasst.

Doch auch so sehen die Forscher im übermäßigen Alkoholgenuss einen der wichtigsten modifizierbaren Risikofaktoren für einen Demenz – für eine frühe beginnende Demenz scheint Alkohol sogar der mit Abstand wichtigste Risikofaktor zu sein.

Das Wichtigste in Kürze

Frage: Welchen Beitrag liefert Alkoholmissbrauch zu Demenzerkrankungen?

Antwort: Nach Daten einer französischen Studie haben oder hatten etwa 8 % aller Demenzkranken ein Alkoholproblem, bei den unter 65-Jährigen sind es 57 %.

Bedeutung: Alkoholmissbrauch ist der häufigste Grund für eine Demenz im Alter von weniger als 65 Jahren.

Einschränkung: Die Diagnosen waren ICD-10-basiert, der Anteil der Alkoholkranken ist möglicherweise noch deutlich höher.

Mehr zum Thema

Kommunikation zwischen Nervenzellen

Schlecht isolierte Nervenzellen fördern Alzheimer im Alter

Serotonin-Rezeptoren

Schizophrenie-Medikament möglichweise als neue Demenz-Therapie

Das könnte Sie auch interessieren
Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

© Aleksandr | colourbox.de

Fatal verkannt

Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

© polkadot - stock.adobe.com

Vitamin-B12-Mangel

Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
B12-Mangel durch PPI & Metformin

© Pixel-Shot - stock.adobe.com

Achtung Vitamin-Falle

B12-Mangel durch PPI & Metformin

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Ihr Partner in der Hausarztpraxis

© MSD Sharp & Dohme GmbH (Symbolbild mit Fotomodellen)

MSD Fokus Allgemeinmedizin

Ihr Partner in der Hausarztpraxis

Anzeige | MSD Sharp & Dohme GmbH
Vom Säugling bis zum Senior

© Juanmonino | iStock (Symbolbild mit Fotomodellen)

Impfungen

Vom Säugling bis zum Senior

Anzeige | MSD Sharp & Dohme GmbH
Herausforderung Diabetes mellitus Typ 2

© MSD Sharp & Dohme GmbH

Allgemeinmedizin

Herausforderung Diabetes mellitus Typ 2

Anzeige | MSD Sharp & Dohme GmbH
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Die Newsletter der Ärzte Zeitung

» kostenlos und direkt in Ihr Postfach

Am Morgen: Ihr individueller Themenmix

Zum Feierabend: das tagesaktuelle Telegramm

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Wochenkolumne aus Berlin

Die Glaskuppel: Von Paragrafen und wie sie gelesen werden können

Beratung für sozial Benachteiligte

Gesundheitskioske: Auch Apotheker beteiligen