Deutscher Krebskongress

Viele Hirnmetastasen sind heute radiochirurgisch therapierbar

Moderne strahlentherapeutische Verfahren wie die Radiochirurgie ermöglichen es, Hirnmetastasen zu entfernen. Oft geschieht dies sogar mit einem kurativen Ansatz.

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Patientin vor dem Gerät zur stereotaktischen Radiochirurgie: Damit lassen sich inzwischen auch multiple Metastasen entfernen.

Patientin vor dem Gerät zur stereotaktischen Radiochirurgie: Damit lassen sich inzwischen auch multiple Metastasen entfernen.

© MedicalWorks / stock.adobe.com

Berlin. Wurden bisher bei Tumorpatientinnen oder -patienten Hirnmetastasen diagnostiziert, war damit klar, dass die Endphase der Krebserkrankung erreicht war. Das hat sich mittlerweile geändert. Moderne strahlentherapeutische Verfahren, allem voran die Radiochirurgie, ermöglichen die Entfernung der Metastasen, oft sogar mit kurativem Ansatz. Hirnmetastasen sind somit zunehmend beherrschbar, oft sind nun das Wachstum des Primärtumors oder Metastasen außerhalb des Gehirns die „Mortalitätstreiber“.

Hirnmetastasen treten bei ca. 20-40 Prozent aller Menschen mit Krebs in fortgeschrittenen Stadien auf. Mit 50 Prozent sind Hirnmetastasen auch die häufigsten Tumoren des Gehirns, berichtet die Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) in einer Mitteilung aus Anlass des Deutschen Krebskongresses in Berlin. Die moderne Hochpräzisionsbestrahlung ermöglicht heutzutage eine punktgenaue, hochdosierte Bestrahlung von Hirnmetastasen. Die stereotaktische Bestrahlung erfolgt nach detaillierter 3D-Planung anhand von CT- und MRT-Bildern mit Berechnung des Bestrahlungsfelds. Man spricht bei der stereotaktischen Bestrahlung auch von „Radiochirurgie“, weil die Ablation des Tumorgewebes so gründlich und millimetergenau wie mit dem Skalpell erfolgen kann.

Der Eingriff erfolgt oft in einer einzigen Behandlungssitzung. Die Metastasen werden dann mit sehr hohen Dosen bestrahlt, das umliegende Hirngewebe wird aber nicht geschädigt. „Eine ablative Hochpräzisionsbestrahlung ist heute genauso effektiv wie eine Metastasen-Operation, aber nicht invasiv und daher sicherer für die Patientinnen und Patienten“, wird DEGRO-Pressesprecherin Professorin Stephanie E. Combs zitiert.

Therapie auch bei mehr als vier Hirnmetastasen erfolgreich

Bislang wurde die radiochirurgische Entfernung von Metastasen nur bei vereinzelten Metastasen eingesetzt, heißt es in der Mitteilung weiter. Hatten Betroffene mehr als drei Krebsherde im Gehirn, wurde die Therapie nicht durchgeführt. Hier hat sich zwischenzeitlich ein Paradigmenwechsel vollzogen: Die Radiotherapie ist auch bei multiplen Läsionen im Gehirn hocheffektiv, auch in der Rezidivsituation. „Früher waren multiple Hirnmetastasen letztlich oft die Ursache für das Versterben der Patientinnen und Patienten. Das ist heute nicht mehr der Fall. Hirnmetastasen sind dank der Radiochirurgie gut behandelbar. Heute ist es eher das Fortschreiten des Primärtumors oder Metastasen außerhalb des Gehirns, die das Überleben der Betroffenen einschränken“, berichtet die Münchner Radioonkologin in der Mitteilung.

Dass die Anzahl der Läsionen nicht für das Überleben entscheidend ist, zeigte bereits 2018 eine japanische Studie (J Neurosurg. 2018. 29 (Suppl1): 86-94). Sie analysierte die Therapieergebnisse von 784 Menschen mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) und Hirnmetastasen, bei denen die Hirnmetastasen radiochirurgisch behandelt worden waren. Die Betroffenen wurden in drei Gruppen unterteilt, je nach Anzahl der Hirnmetastasen (1 Metastase, 2-4 Metastasen und bis zu 10 Metastasen). Das mediane Überleben war zwischen Gruppe 2 und 3 nicht signifikant unterschiedlich (12,3 vs. 12,8 Monate), auch im Hinblick auf neurologisch bedingte Todesfälle, Abnahme der neurologischen Funktion, Auftreten neuer Läsionen oder leptomeningealer Metastasen gab es keine Unterschiede. „Diese Studie zeigte, dass auch die Bestrahlung von bis zu 10 Metastasen problemlos möglich und ebenso erfolgreich ist, und daher die Therapie den Betroffenen nicht vorenthalten werden sollte“, erklärt Combs.

Stereotaktische Bestrahlung vor oder nach Metastasenresektion

Werden Hirnmetastasen neurochirurgisch entfernt, wird nach der Op eine hypofraktionierte stereotaktische Bestrahlung empfohlen. 558 Patientinnen und Patienten mit Hirnmetastasen wurden in einer Studie (JAMA Oncol. 2020; 6: 1985) im Median mit einer Gesamtdosis von 30 Gy (aufgeteilt auf Einzeldosen von im Median 6 Gy) bestrahlt. Das Gesamtüberleben betrug 65 Prozent nach einem Jahr, 46 Prozent nach zwei Jahren und 33 Prozent nach drei Jahren. Die Studie untersuchte, welche Kriterien mit einem guten Überleben assoziiert waren. Ausschlaggebend für eine gute Prognose waren ein Karnofsky-Index von 80 Prozent oder höher, ein Zeitraum von 22–33 Tagen zwischen Operation und Radiotherapie und ein kontrollierter Primärtumor. „Auch hier deutete sich an, dass das Wachstum des Primärtumors mehr negative Auswirkungen auf das Überleben hatte als die Hirnmetastasen“, erklärte Combs.

Eine weitere Option ist die stereotaktische Bestrahlung vor der Operation. Vorteile sehen Onkologinnen und Onkologen vor allem in der bessern Abgrenzbarkeit des Zielvolumens vor einer Operation. Ziel einer in München laufenden Phase-I-Dosiseskalationsstudie NepoMUC (Cancer Commun (Lond). 2019; 39: 73) ist es, die maximal tolerierte Dosis für dieses Vorgehen zu finden. „Wenn wir wissen, mit welchen Dosen wir die Betroffenen neoadjuvant bestrahlen können, möchten wir Vergleichsstudien durchführen, um herauszufinden, von welchem Therapieschema die Betroffenen am meisten profitieren – der Bestrahlung der Metastasen vor der chirurgischen Entfernung oder der Bestrahlung des Tumorbetts nach der chirurgischen Entfernung der Metastasen“, so die DEGRO-Sprecherin.

Ganzhirnbestrahlung hat ausgedient

Die Standardbehandlung von multiplen Hirnmetastasen war seit Jahrzehnten die sogenannte Ganzhirnbestrahlung. Dabei wird das gesamte Gehirn (Metastasen wie gesunde Bereiche) mit einer einheitlichen Dosis bestrahlt. Diese Behandlung kann das Überleben der Patientinnen und Patienten verglichen mit keiner Strahlentherapie zwar verlängern, geht aber häufig mit Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit einher, was auch die Lebensqualität stark beeinträchtigen kann. Eine 2022 publizierte Studie (JAMA Oncol. 2020; 6: 1028) zeigte, dass die Ganzhirnbestrahlung bei kleinzelligen Bronchialkarzinomen mit einer erhöhten Neurotoxizität einherging als die stereotaktische Bestrahlung der einzelnen Metastasen, aber nicht zu einem besseren Überleben führte.

„Das Verfahren der Ganzhirnbestrahlung hat somit in den meisten Fällen ausgedient. Es ist nicht wirksamer, aber nebenwirkungsreicher. Die Optionen bei Hirnmetastasen sind heute die radiochirurgische Entfernung einzelner Läsionen oder die Kombination aus chirurgischer Entfernung und Bestrahlung. Mit beiden Verfahren können wir eine gute Kontrolle der Hirnmetastasen erreichen. In vielen Fällen sind es nicht mehr die Hirnmetastasen, die das Überleben der Betroffenen limitieren, wie das vor wenigen Jahren noch der Fall war, sondern das Fortschreiten des Primärtumors oder von Metastasen außerhalb des Gehirns. Hirnmetastasen hingegen sind zunehmend beherrschbar“, lautetet das Fazit der DEGRO-Pressesprecherin. (eb)

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