Wenn ein Stromausfall zur Bedrohung wird

Deutschland verfügt über eines der weltweit fortschrittlichsten Gesundheitssysteme. Und doch, warnen Experten, könnte die Versorgung auch hierzulande unvermittelt auf den Stand eines Entwicklungslandes zurückfallen.

Von Bülent Erdogan Veröffentlicht:
Ein Frühchen im Inkubator: Im Falle eines mehrwöchigen bundesweiten Blackouts wären besonders sie gefährdet.

Ein Frühchen im Inkubator: Im Falle eines mehrwöchigen bundesweiten Blackouts wären besonders sie gefährdet.

© Foto: dpa

BERLIN. Tagebau Nochten in der Oberlausitz am Silvesterabend 1978: Ein in der DDR bis dahin noch nicht erlebter Wintereinbruch mit einem Temperatursturz von über 20 Grad Celsius legt in kürzester Zeit die Kohleförderung des Landes und damit die Stromproduktion lahm. Zu Neujahr 1979 bricht in weiten Teilen der DDR daraufhin für zwei Tage die Energieversorgung zusammen.

Münsterland im November 2005: Rund 250 000 Menschen in den Kreisen Steinfurt, Borken und Coesfeld sind tagelang ohne Strom, weil betagte Überlandleitungen durch große Schneelasten zusammenbrechen wie Streichhölzer.

In dem einen Fall war die Stromversorgung für wenige Tage unterbrochen, in dem anderen regional begrenzt. Was aber passieren kann, wenn es zu einem flächendeckenden und länger andauernden Blackout kommt, haben die Autoren des Grünbuchs des "Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit" (ZÖS) auch und gerade mit Blick auf die medizinische Versorgung untersucht. Ihr Fazit: Im Falle eines mehrtägigen oder gar mehrwöchigen bundesweiten Stromausfalls müssen die Deutschen mit massiven Folgen für ihre gesundheitliche Akutversorgung rechnen. Danach dürfte es in einem solchen Szenario insbesondere auf den Intensivstationen der Krankenhäuser zu einer Reihe von Todesopfern kommen, so die Warnung der Katastrophenschutzexpertin Marie-Luise Beck auf einer Konferenz zum Gesundheitsschutz im Katastrophenfall in Berlin anlässlich des 60. Weltgesundheitstages. Beck ist Mitautorin des im September 2008 vorgestellten Grünbuchs des ZÖS. Ein Grund für die düstere Prognose: Die in den Kliniken eingesetzten Notstromaggregate sind Beck zufolge in der Regel nicht auf einen Dauerbetrieb ausgelegt. Fallen diese aus, können lebenserhaltende Maschinen oder die Vitalfunktionen überwachende Geräte nicht mehr betrieben, Operationsbesteck nicht mehr sterilisiert werden, zudem verderben Blutkonserven. Operationen wären so nicht mehr oder nur unter Missachtung üblicher Standards möglich.

Außer Patienten auf Intensivstationen oder Frühchen im Inkubator wäre durch einen massiven Stromausfall auch ein Großteil der bundesweit 80 000 Dialysepatienten akut gefährdet, so Beck weiter. Sie rechnet zudem mit einem Patientenansturm auf die Kliniken. Auf der anderen Seite werde es diesen wohl nicht gelingen, Patienten mit nur leichten Erkrankungen oder Verletzungen - wie in den bisherigen Notfallszenarien vorgesehen - nach Hause zu entlassen, so Beck.

Um die Krankenhäuser im Ernstfall zumindest teilweise zu entlasten, schlägt die Expertin daher die Ausstattung eines Teils der Arztpraxen mit Notstromaggregaten vor. Anderenfalls rechnet sie damit, dass die ambulante Versorgung bereits mit dem Stromausfall komplett zusammenbricht und keine Puffer- und Steuerungsfunktion für die Kliniken mehr übernehmen kann.

Ein weiteres Konferenzthema waren die möglichen Folgen einer Influenzapandemie in Deutschland. Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Jörg Hacker, rechnet pro Pandemiewelle ohne Vorhandensein eines Impfstoffes mit mehreren zehntausend Toten. Ihm zufolge muss jederzeit mit einer neuerlichen Pandemie gerechnet werden, da die letzte mit der Hongkong-Grippe von 1968 bereits weit zurückliegt.

Der aktuelle Pandemieplan der Bundesregierung sieht vor, die Bevölkerung nach Vorliegen eines Impfstoffes zweimal durchzuimpfen. Zudem liegen für 20 Prozent der Bundesbürger Neuraminidasehemmer vor. Diese sollten lediglich nach ärztlicher Diagnose, nicht aber zur Prophylaxe eingenommen werden, mahnte Hacker auf der Konferenz.

Weltgesundheitstag der WHO

Mit dem Weltgesundheitstag am 7. April erinnert die Weltgesundheitsorganisation WHO an ihre Gründung im Jahr 1948. In Deutschland wird der Tag seit 1954 begangen. Jedes Jahr stellt die WHO dabei ein Thema in den Mittelpunkt. 1954 lautete es "Die Krankenschwester, Wegbereiterin der Gesundheit". In diesem Jahr stand der Gesundheitstag unter dem Motto "Maßnahmen des Gesundheitswesens im Katastrophenfall".

Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit

Das "Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit" ist eine fraktionsübergreifende Initiative der Berichterstatter für Bevölkerungsschutz und Öffentliche Sicherheit im Innenausschuss des Deutschen Bundestages. Neben den Abgeordneten Ralf Göbel (CDU), Gerold Reichenbach (SPD), Hartfrid Wolff (FDP) und Silke Stokar von Neuforn (Grüne) besteht die Initiative aus Vertretern von Hilfsorganisationen, Wissenschaft, Behörden und Industrie.

Lesen Sie dazu auch: Experten diskutieren den Katastrophenfall

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